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"Billy Budd" ja, "Madame Butterfly" nein

Keine Disco, keine Party, keine Komödie im Theater. Die Diskussion um Karfreitag geht weiter: Angesichts rückläufiger christlicher Gläubigkeit seien die Einschränkungen zu stark, sagen die einen. Die anderen sind der Auffassung, der Karfreitag tue gut als Tag der Ruhe und Besinnung.

Von Christian Gampert |
    Für denjenigen, der sein Leb en auf den bisweilen harten Strafbänken des deutschen Stadttheaters verbringt, um über das Treiben zumeist sehr junger Regisseure zu berichten – für denjenigen ist das eine erstaunliche, ja euphorisierende Nachricht: Das deutsche Theater ist nicht tot, nicht langweilig, nicht konzeptuell verkopft, textflächenartig kaputtmoderiert oder videotisch verblendet. Nein, das deutsche Theater ist unter der Kategorie "Unterhaltung" und "Vergnügen" zu führen.

    Misstrauisch macht nur, dass diese gute Nachricht nicht aus den theaterkritischen Zentralredaktionen kommt, sondern von den Ordnungsämtern der Republik. Anlässlich des heute zu begehenden Karfreitags hat die Bezirksregierung Düsseldorf die Stadt Essen auf das nordrhein-westfälische Feiertagsgesetz aufmerksam gemacht, nach dem am Tag der Kreuzigung des Herrn "alle der Unterhaltung dienenden öffentlichen Veranstaltungen einschließlich Tanz bis zum nächsten Tag 6 Uhr verboten" sind.

    Das ist zwar irgendwie verständlich, wer möchte am höchsten evangelischen Feiertag schon von karnevaleskem Entfremdungs-Gehampel à la René Pollesch behelligt werden oder sich von den superkorrekten, stampfenden Bürger-Chören des Volker Lösch politisch indoktrinieren lassen. Nein, da sei die Kirche vor.

    Allerdings stimmt es bedenklich, dass nun eine völlig harmlose Veranstaltung wie Puccinis "Madame Butterfly" der verwaltungstechnischen Reglementierung zum Opfer fällt. Was am Gründonnerstag erlaubt ist, darf am Karfreitag nämlich noch lange nicht sein. Wir sind ein europäisches Land, fest verwurzelt in christlicher Tradition, besonders in Bayern. Zwar darf man am Tag von Christi Tod in vielen Städten Porno-Kinos und Oben-ohne-Bars besuchen, nicht aber das Staats-, Landes- oder auch Stadttheater. Am Karfreitag bitte keinen Fußball, keine Party, keinen Buden- und Bühnenzauber; erlaubt sind nur ernste und von ihrem Gestus her irgendwie staatstragende Veranstaltungen.

    Schaut man sich einmal an, wo in der Republik heute überhaupt Theater gespielt und was dann da gespielt wird, so ist Richard Wagner absoluter Spitzenreiter der Karfreitags-Hitliste: "Tristan und Isolde" sowie das Bühnenweihfestspiel vom "Parsifal" sind beliebte Alternativen zur Karfreitagsmesse.

    Es gibt allerdings auch Rebellen in der sogenannten Theaterlandschaft, es gibt Ulm, wo man "Die lustigen Weiber von Windsor" spielt, es gibt Düsseldorf, da lässt man aggressive Homoerotik in Gestalt von Benjamin Brittens "Billy Budd" über die Bühne – aber vielleicht ist das ja ganz im Sinne von Jesu Jüngerschar. Gelsenkirchen singt und springt beschwingt mit "Anatevka" und in Bielefeld zelebriert man Anarcho-Sex von Mattias Feldbakken ("Unfun" heißt das Stück). Den Bielefeldern hat dann aber doch das Gewissen geschlagen, im Sinne der christlichen Botschaft spielen sie zusätzlich noch "Wie im Himmel" von Kay Pollak, eine, wie es in der Ankündigung heißt, "tief bewegende Geschichte" über einen Star-Dirigenten, der zusammenbricht und in seinem Heimatdorf dann den Kirchenchor übernimmt.

    Das ist brav von ihm und sicher im Sinne des Feiertagsgesetzes. Und es besteht durchaus die Hoffnung, dass auch der berühmte Regisseur Volker Lösch demnächst die Leitung eines Kirchenchores übernimmt, statt in Stuttgart die Chöre der Wutbürger zu dirigieren.