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Bio-Raffinerien

Ökosteuer hin, Benzinsparen her - irgendwann ist Schluss mit dem Erdöl. Und was dann? Man kann Energie sparen, man kann Plastiktüten durch Jutetaschen ersetzen und Autositze mit Hanffasern polstern. Aber lauter solche kleinen Lückenbüßer können keine durchorganisierte Erdölindustrie ersetzen. Da muss man systematisch herangehen, glaubt eine Gruppe von Chemikern, Biologen, Biotechnologen und Landwirten in Brandenburg. Sie arbeiten an dem Konzept Grüne Bioraffinerie. Und danach könnte Grassaft der Rohstoff der Zukunft sein.

von Katja Neppert |
    Zigtausend Hektar Grünland gibt es im Landkreis Havelland. Da wächst mehr Gras, als die Bauern an ihr Vieh verfüttern können. Doch bewirtschaftet werden müssen die Wiesen trotzdem. Auch die 9000 Hektar Stillegungsflächen. Wenn hier nicht gemäht wird, dann verbuscht die Kulturlandschaft. Mit all dem Gras etwas Sinnvolles anzufangen - das ist das Ziel vom Praxisverbund Grüne Bioraffinerie. Seit 2 Jahren arbeiten darin Chemiker, Biologen und Biotechnologen von der Universität Potsdam mit ländlichen Forschungseinrichtungen in der Region zusammen, und entwickeln ein Konzept. Für Bauern ist Gras ein nahrhaftes Tierfutter. Aber auch für Chemiker ist Gras ein interessanter Rohstoff.

    Gras ernte ich vier Mal im Jahr. Das bringt den höchsten Ertrag von Proteinen pro Hektar, das muss man dabei wissen.

    Birgit Kamm ist Vorstand im Praxisverbund Grüne Bioraffinerie. Die Stoffe, die im Erdöl stecken, können auch aus Grassaft gewonnen werden, sagt die Chemikerin. Und noch eine ganze Menge mehr. Lässt man den Grassaft gären, entsteht Milchsäure. Und die liefert die chemische Basis für biologisch abbaubare Kunststoffe.

    Es gab vor ein paar Jahren einen biologisch abbaubaren Joghurtbecher von Danone. Der war aus dieser Poly-Milchsäure hergestellt.

    Ein Rohstoffkreislauf, der die Umwelt erhält und nicht belastet, bei dem zahlreiche Stoffe gewonnen werden und der sich rechnet. - Das ist das Ziel einer Grünen Bioraffinerie. Und damit geht sie über andere Projekte mit nachwachsenden Rohstoffen hinaus.

    Andere Projekte mit nachwachsenden Rohstoffen konzentrieren sich auf eine Substanz, zum Beispiel Hanffasern. Aber wir fragen zum Beispiel auch, was man mit den Hanfblättern anfangen könnte. Man könnte Alkohol daraus herstellen oder Chlorophyll herausziehen zur Farbstoffproduktion.

    Nachhaltig soll sie wirtschaften, die Grüne Bioraffinerie der Zukunft. Doch bis zu einer Grassaft-Industrie im brandenburgischen Havelland ist noch ein weiter Weg: Was im Labor funktioniert, muss sich in der Praxis bewähren, Maschinen müssen entwickelt und erprobt, Verfahren verbessert werden. Das Futtermittelwerk Selbelang, im Landkreis Havelland gelegen, soll der Ausgangspunkt für die praktische Umsetzung des Projekts sein. Bernd Mueller leitet das Werk:

    Mit der Grünfuttertrocknungsanlage werden Gras und Luzerne getrocknet. Idee ist, vorher den Saft abzupressen. So spare ich Energie beim Trocknen und kann aus dem Saft verschiedene Sachen machen.

    20 Tonnen Grassaft täglich wird das Futtermittelwerk produzieren, sobald die Saftpresse in Betrieb geht. Aber das Projekt ist ja noch im Laborstadium. So an die 50 Liter Grassaft täglich reichen, um weiter zu experimentieren. Der Rest würde vorerst auf die Felder verbracht als Düngemittel. Nach und nach würde man dann Biogas und Strom für die Trockenanlage aus dem Grassaft erzeugen. Und eine Fermentierungsanlage aufbauen, die chemisch interessante Basisrohstoffe herstellen kann. Das Futtermittelwerk erklärt sich bereit, bei dem Projekt mitzumachen. Aber wer trägt die Kosten?

    Wir sind optimistisch, dass das Ministerium Gelder bewilligt, damit wir die nächsten Maschinen aufstellen und neue Produktlinien erforschen können.

    Der Praxisverbund hofft auf Geld aus dem Programm "Innovative Wachstumskerne" des Bundesforschungsministeriums. Ende Januar war eine hochrangige Delegation vor Ort, um das Projekt unter die Lupe zu nehmen. Das Havelland - eines Tages eine Region mit grünen Wiesen und einer sanften chemischen Industrie? So futuristisch klingt die Sache gar nicht mehr, wenn man weiss, dass die Clinton-Regierung im vergangenen Jahr eine halbe Milliarde Dollar ausgelobt hat: für die Forschung an Bioraffinerien mit nachwachsenden Rohstoffen.