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Biografie über Bernd Alois Zimmermann
Ein Porträt aus allernächster Nähe

Bernd Alois Zimmermann zählt heute zu den herausragenden Komponisten der zeitgenössischen Musik. In der öffentlichen Wahrnehmung herrscht aufgrund seines Selbstmordes das Bild des depressiven Künstlers vor. Mit dem Buch "Con tutta forza" zeigt seine Tochter nun weitere Seiten Zimmermanns.

Von Raoul Mörchen | 16.04.2018
    Der Komponist Bernd Alois Zimmermann (1918-1970, l.) unterhält sich mit dem Dirigenten Michael Gielen
    Der Komponist Bernd Alois Zimmermann (1918-1970, l.) unterhält sich mit dem Dirigenten Michael Gielen (picture alliance / dpa / Otto Noecker)
    Musik und Sprecher: "Ich wandte mich um und sah an alles Unrecht das geschah unter der Sonne."
    Fünf Tage bleiben Bernd Alois Zimmermann nach dem Abschluss seiner Partitur, dann setzt er seinem Leben ein Ende. Kompositorisch zumindest wüsste man auch wirklich nicht zu sagen, wie es hätte weiter gehen können. "Ich wandte mich um", diese Ekklesiastische Aktion, wie Zimmermann sie nannte, lässt keinen Platz für Hoffnung und kaum einen für Zukunft. In erschreckender Düsternis verklammert das Werk Verse des Alten Testaments mit Auszügen aus Dostojewskis "Großinquisitor". Am Ende zitiert Zimmermann Bachs Choral "Es ist genug", und der Prediger Salomo warnt: "Weh dem, der allein ist."
    Musik: Zimmermann "Ich wandte mich um …"
    Es sind Werke wie "Ich wandte mich um", wie das "Requiem" oder die Oper "Die Soldaten" mit ihren finalen Katastrophen, die bis heute das Bild prägen von Bernd Alois Zimmermann – das Bild eines Getriebenen, der sich fortwährend am Abgrund bewegt und schließlich hinab stürzt.
    Das vorherrschende Bild ihres Vaters erweitern
    Das Bild, das uns seine Tochter Bettina mit auf den Weg gibt, am Ende ihres Buches "Con tutta forza", ist ein anderes. Da lehnt ein offenbar quietsch-vergnügter Mann mit T-Shirt und Sandalen lässig an einen Baum, um ihn herum erstrahlt die Welt in hellem Licht. "Südfrankreich 1957" steht darunter. Man denkt sich gleich dazu: Das Leben ist schön.
    Bettina Zimmermann: "Das etwas einseitige Bild, das, wie ich finde, doch vorherrschte in Blick auf meinen Vater – da wurde doch sehr das Depressive und Finstere und Schwere hervorgehoben und auch die Bilder: Das waren immer die Fotos aus den letzten Jahren, es ist immer nur der depressive und so … – und das war mir ein Anliegen, dieses Bild aufzubrechen und zu erweitern."
    Musik: Zimmermann "Capriccio 0.20"
    Dem Mann, der da lässig in Südfrankreich unter einem Baum steht, der etwas macht, was man Komponisten und schon gar nicht ihm zutraut: nämlich tatsächlich Urlaub; dem Mann, der das Leben genießt, der lacht und andere zum Lachen bringt, der vergnügt ist und übermütig, ihm begegnen wir andauernd, beim Blättern und Lesen und Stöbern.
    Ein Fotoalbum, eine Chronik, ein Porträt
    Natürlich ist da auch der andere, der Bernd Alois Zimmermann, dessen Blick sich immer wieder und zum Ende hin immer öfter und länger verdunkelt, der Vater, der schließlich seine Familie traumatisiert zurücklässt, auch die damals 18-jährige Bettina. Die ergreift dann erst einmal die Flucht, verbringt Jahre im Ausland, um schließlich Ethnologie zu studieren und irgendwie klar zu kommen mit der Tragödie, unbemerkt von anderen. Umso überraschender jetzt dieses Buch: Ein Fotoalbum, eine Chronik, ein Porträt aus allernächster Nähe. Ein ganzes Leben, gespiegelt in Bildern, Texten, Noten, Briefen, Fotos und vor allem in den Erinnerungen von Freunden und Kollegen.
    Bettina Zimmermann: "Auf dem Musica-Festival in Straßburg, da habe ich den Komponisten Hans Zender nach langer Zeit wiedergesehen und ich hatte ihn so mit seinen dunklen Haaren in Erinnerung, und da stand ein weißhaariger Mann vor mir. Natürlich: Die Zeit vergeht."
    Musik: Zimmermann "Tratto"
    "Und das war so eine Eingebung, dass ich dachte: Das ist nicht mehr lange, dass ich Leute befragen kann zu den Erinnerungen. Und da war dann die Entscheidung da: ich muss ein Mikrofon einpacken und Stift und Papier und Stimmen einfangen. Und dann habe ich mich aufgemacht und habe das dann im Januar 2011 begonnen. Ich hatte auch erst gar kein Buch vor, sondern wollte nur sammeln."
    Nirgendwo ist Zimmermann allein
    Gottseidank ist dann doch ein Buch daraus geworden, eines, das es in seiner Fülle und Vielschichtigkeit aufnehmen will mit einem Komponisten, der auf keinen Nenner zu bringen ist. In Anlehnung an die Collage als zentrale künstlerische Idee ihres Vaters und seine Vorstellung vom Pluralismus, hat Bettina Zimmermann die strenge Chronologie der Ereignisse bereichert um thematische Einschübe, um Intermezzi, wie sie das nennt: Da bekommen wir den Familienmenschen zu Gesicht, begegnen dem Komponisten bei der Lektüre, beim Briefeschreiben oder beim Zeichnen und Fotografieren.
    Nirgendwo ist Zimmermann allein. Überall begleiten ihn die Gedanken seiner Tochter, seiner Freunde und Kollegen. Sie ergänzen, wägen ab und ziehen auch manches in Zweifel. Zum Beispiel die Legende vom verkannten Komponisten, der immer in der zweiten Reihe stand: Tatsächlich ist Zimmermann schon früh gefördert worden, hatte lange vor seinem ewigen Antipoden Karlheinz Stockhausen Preise gewonnen und Stipendien und einen Ruf erhalten als Professor an die Musikhochschule Köln. Es stimmt wohl. An der Hochschule wurde er gemobbt: Doch der Spott der Kollegen galt weniger ihm persönlich, als der Musik, die er schrieb, sie galt der Avantgarde überhaupt.
    "Mein Vater hatte als Mensch viel Energie"
    Trotz aller Widrigkeiten: Klein beigegeben hat Bernd Alois Zimmermann nie und sich auch nicht weggeduckt: Großzügig und kämpferisch, so hat Bettina Zimmermann ihren Vater in Erinnerung, als einen Mann "con tutta forza" – mit aller Kraft.
    Bettina Zimmermann: "Mein Vater hatte als Mensch viel Energie und brauchte aber auch viel Energie, um dieses Werk stemmen zu können und er hat sich wirklich 'con tutta forza' in seine Kompositionsarbeit hineingegeben, immer. Noch zwei andere Aspekte dieses Titels: dass sich auch das Leben meinem Vater 'con tutta forza' zugemutet hat und mein Vater aber auch mit seinen Stücken sich uns, den Hörerinnen und Hörern, auch 'con tutta forza' zumutet."