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Biographie über Miroslav Klose
Fußballprofi gegen jede Wahrscheinlichkeit

Miroslav Klose ist so etwas wie der Letzte seiner Art, glaubt der Sportjournalist und Autor Ronald Reng: Der Letzte, der den unwahrscheinlichen Sprung vom Amateurfußball in die Nationalmannschaft geschafft hat. Eine Geschichte, die Reng in seiner Biographie "Miro" anschaulich beschreibt.

Von Moritz Küpper | 15.09.2019
Miroslav Klose im August 2018 bei seinem Debüt als U17-Cheftrainer beim FC Bayern München.
Ex-Fußballprofi Miroslav Klose im August 2018 bei seinem Debüt als U17-Cheftrainer beim FC Bayern München. (dpa / picture alliance / Matthias Balk)
Es waren die Momente, in denen die Karriere von Miroslav Klose gekrönt wurde: "Miroslav Klose, herzlichen Glückwunsch zu einem Spiel, das in die Geschichte eingeht und auch zu einem Torrekord, der in die Geschichte eingeht."
Wenige Augenblicke, nachdem das WM-Halbfinale 2014, das 7:1 der deutschen Mannschaft gegen Gastgeber Brasilien, abgepfiffen wurde, empfängt ZDF-Moderator Jochen Breyer eben Klose zum Interview: "Ich glaube, das Wort Rausch wäre noch eine krasse Untertreibung, oder?"
"Ja, gut, wir analysieren die Gegner ja auch dementsprechend ganz gut", entgegnet Klose, "ich hab es beim letzten Spiel betont: Es ist auch wichtig, dass unsere Standards fruchten, ja." Selbst in diesem Moment, in dem Sportgeschichte geschrieben wurde, bleibt Klose nüchtern, ruhig, fast schon kalt - und rettet sich in die Fußballer-Sprache.
Interviews als Stresssituation
"Miroslav Klose, in dem Moment des Interviews funktioniert er", sagt Ronald Reng. In den letzten drei Jahren hat sich der Sportjournalist und Buchautor intensiv mit Kloses Leben befasst und nun die Biographie "Miro" veröffentlicht:
"Er hat mir erzählt, was wir eigentlich gar nicht wissen: Er kann einfach nicht so gut deutsch. Mittlerweile kann er es halbwegs gut, aber wir müssen uns vorstellen, er kam mit neun Jahren aus Polen, ohne eine Wort Deutsch zu können. Er hat danach auf dem Bau gearbeitet, wo jetzt auch nicht ein Vokabular von 200.000 Wörtern benutzt wird und deswegen waren Interviews für ihn immer Stresssituationen."
Und das trotz seiner großen fußballerischen Erfahrung: Rekordschütze bei Weltmeisterschaften, Weltmeister, Stürmer beim 1. FC Kaiserslautern, bei Werder Bremen, Bayern München und Lazio Rom. Doch, so Reng: "Ich hatte auch das Gefühl, so richtig kenne ich ihn nicht, so richtig kennen wir ihn alle nicht, weil er oft in den Interviews immer sehr leise, sehr sanft, durchaus mit hintergründigem Humor geredet hat, aber nie sehr viel von sich preisgegeben hatte."
Und das sei die perfekte Mischung um eine Biografie zu schreiben: Ein sehr berühmter Mensch, "über den aber eigentlich noch nicht sehr viel bekannt ist. Und so habe ich ihn dann kontaktiert vor ziemlich genau drei Jahren."
Aus dem Amateurfußball in die Nationalmannschaft
Klose war einverstanden. Es folgten viele Treffen, weitere Gespräche mit seiner Familie und vielen Begleitern aus denen letztendlich knapp 450 Seiten entstanden sind, die eine - so Reng - einzigartige Geschichte erzählen. Miroslav Klose als der Letzte, der es aus dem Amateurfußball in die Nationalmannschaft geschafft hat:
"Das gab es immer ganz, ganz selten sowieso und durch die Einführung der Nachwuchsleistungszentren, ist Fußball ja eigentlich schon ein Profisport heute geworden, für achtjährige Kinder. Und Miroslav hat ja tatsächlich, bis er 20 Jahre alt war, in der Bezirksliga gespielt und hat acht Stunden am Tag, manchmal auch neun oder zehn, auf Dächern gestanden und hat den Dachstuhl gebaut als Zimmermann. Und da noch, in der heutigen Zeit, den Sprung zu schaffen, in die Bundesliga, die Nationalmannschaft, das ist, viele sagen, ein Märchen. Ich glaube schon: So einen wird es nie mehr geben."
Es ist Rengs Spezialität, solche Märchen aufzuschreiben, egal ob über den verstorbenen Nationaltorhüter Robert Enke, über 50 Jahre Fußball-Bundesliga oder in seinem ersten Buch über einen Fan und Torwart, der es bis in die Premiere League schaffte. Dabei gelingt es Reng auch immer wieder, die Geschichten, die mitunter wahnwitzig anmutenden Entwicklungen des Profifußballes sozusagen parallel zu skizzieren - auch wenn Kloses einzigartige Karriere, sein Weg, sich dafür eigentlich überhaupt nicht eignet.
Fußballprofi - das war sein Teenager-Traum
"Oben auf dem Dach", schreibt Reng in "Miro", "arbeiten sie jetzt im Sommer mit nacktem Oberkörper, das ist wie eine Gehaltserhöhung, ein Bonus. Boah, du wirst auch noch braun auf der Arbeit!, sagen die Freunde, als sie nach Feierabend im Eissalon Campo zusammensitzen. (…) Er ist zwanzig, Geselle bei B+F Holzbau und hat einen Traum. Er wird die Meisterprüfung ablegen, seinen eigenen Zimmermannsbetrieb gründen und dann, mit seinen Angestellten und seinen Händen, den Eltern ein Haus bauen. Das ist ein echter Traum, vielleicht sollte er besser sagen: ein Ziel, um es von diesen Träumereien abzugrenzen, denen Jugendliche nachhängen; die er natürlich auch mal hatte. Er werde Fußballprofi, hat er früher immer gesagt, wie man das halt so sagt als Teenager. Er lächelt bei der Erinnerung."
So schildert Reng anschaulich, sehr szenisch-rekonstruktiv und daher leicht lesbar, Kloses Leben, seine Kindheit in Polen, Frankreich, die Flucht nach Deutschland, das Ankommen in der Pfalz und auch seinen fußballerischen Schritt 1998 in die Reservemannschaft des FC Homburg in die Verbandsliga.
"Theoretisch könnte er jetzt wirklich noch Fußballprofi werden", schreibt Reng, "die erste Mannschaft des FC Homburg spielt in der dritten Liga, Regionalliga, am unteren Rand des Berufsfußballs, und wenn er in der Reserveelf auffiele, dann könnte vielleicht der Trainer der ersten Mannschaft… Diese Träume lassen sich niemals stoppen. Miroslav Klose, der neue Stürmer mit den angeblich so wuchtigen Kopfbällen, fällt im Sommer 1998 bereits während der Saisonvorbereitung der Homburger Reserveelf auf. Weil er beim Waldlauf nicht hinterherkommt."
Eine Person und ihr "unwahrscheinlicher Weg"
Warum es glücklicher Zufall war, dass in dieser Phase ein Mittelfußbruch nicht diagnostiziert wurde, was Klose von Olaf Marschall lernte und natürlich die Karrierestationen in Bremen und in München, der Sprung ins Ausland nach Rom und zwischendrin - als einzelne Kapitel - die WM-Turniere, schreibt Reng unter Mithilfe von rund 50 Gesprächspartnern auf.
"Ich möchte eigentlich nur die Person und ihren unwahrscheinlichen Weg erklären", sagt der Autor und Sportjournalist, "und wenn dabei am Rand so ein paar Sachen klar werden: Wie hat sich Fußball-System verändert? Welche Freundschaften gibt es innerhalb des Fußballs? Wie arbeiten eigentlich Profis, wie gehen sie mit Verletzungen um? Dieses immer wieder spielen, wenn man eigentlich verletzt ist. All diese Sachen sind hoffentlich in dem Buch drin oder ich glaube, sie sind drin, aber die sind für mich in diesem Fall nebensächlich. Ich wollte nichts mehr erklären außer Miroslav Klose."
Den WM-Rekordtorschützen, dessen eigentliche Geschichte sich jedoch nicht an Zahlen und Statistiken ablesen lässt, sondern die eine Karriere entgegen jeder Wahrscheinlichkeit ist.