Jean Françaix: Bei diesem Namen leuchten Bläser-Augen, und die Backenmuskeln straffen sich von ganz allein. Dabei war er selbst gar kein Bläser, sondern wie der Vater Pianist – ein ganz ausgezeichneter sogar. Seine Mutter leitete einen Frauenchor in der Heimatstadt Le Mans. Komponieren konnte er schon als Kind, und was er nicht von Haus aus mitbrachte, lernte er im Handumdrehen in Paris bei Nadia Boulanger. Harmonielehre war überflüssig, er hatte sie einfach "drauf". "Ich weiß zwar nicht woher", sagte die berühmte Lehrerin nach zwei Monaten Unterricht, "aber er kennt die Harmonik. Er ist wissend geboren." Geschmeidiger Kontrapunkt, rhythmische Fantasie und sicherer Forminstinkt kamen hinzu, vor allem aber die Fähigkeit, sich einzufühlen in die Seele eines Instruments und dessen, der es spielt. Nirgendwo kommt diese Gabe mehr zum Tragen als in Françaix' Werken für kleine Bläserbesetzungen, ohnehin ja eine Domäne französischer Musik.
Einen historischen Längsschnitt durch diesen wichtigen Bereich seines langen und schaffensreichen Komponistenlebens liefert eine neue Platte, erschienen beim Label BIS aus Anlass von Françaix' 100. Geburtstag am 23. Mai. Dazu begrüßt Sie am Mikrofon Johannes Jansen.
"Quintet No. 1 (1948)
3. Satz: Tema con variazioni (Ausschnitt)
Bergen Woodwind Quintet
CD-Track 3"
Jean Françaix' Werke fast aller Gattungen erreichten Aufführungszahlen weit über dem Durchschnitt Neuer Musik im 20. Jahrhundert. Das machte ihn zum Außenseiter. Für die tonangebenden Köpfe der musikalischen Avantgarde nach 1945 gehörte er bald schon zu den Ewiggestrigen. In ihren musikästhetischen Debatten spielte seine Name keine Rolle. Das hinderte ihn nicht, munter bis ins hohe Alter weiter zu komponieren – und sich durch diese Munterkeit vollends suspekt zu machen: ein gut gelaunter Neoklassizist, der sich auch gerne einmal lustig machte über die Verfechter serieller und anderer Verfahrensweisen der Musica Nova. Françaix bekannte sich zu einer Musik, die "Plaisir" bereiten soll, und sagte von sich selbst, er sei gedanklich lieber auf Waldwegen als auf Autobahnen unterwegs. Ideologische Leitplanken waren ihm zuwider. Er hatte Mut, den eigenen Verstand zu gebrauchen, und ermunterte sein Publikum, es ebenfalls zu tun. Françaix schöpfte aus dem Vollen eines freien, mit ungeheurem Talent begabten Geistes, tief wurzelnd in der französischen Tradition, und das befähigte ihn wohl in besonderer Weise, zum Vergnügen seiner selbst und seiner Hörer eine bei vielen anderen komponierenden Zeitgenossen eher knappe Ressource zu erschließen: Humor. Hier der zweite Satz seines Divertissements für Oboe, Klarinette und Fagott aus dem Jahr 1947: eine Art Ländler, aber über den Leisten eines Zweiertakts geschlagen.
"Divertissement (1947)
2. Satz: Allegretto assai (Ausschnitt)
CD-Track 15"
Auf den meisten Fotos von Jean Françaix sieht man ihn schmunzeln oder lachen. Nur die Hornbrille – früher eine runde, später das Heiner-Müller-Modell – verleiht ihm eine gewisse Strenge, doch ein leicht spöttischer Zug um die Mundwinkel verrät dem Betrachter etwas anderes. Sinn für Ironie spricht schon aus den Titeln mancher seiner Werke wie etwa der "Ode an die Gastronomie", aber auch aus der Sammlung "Bis": fünf Zugabenstücke für Klavier, aufsteigend geordnet vom ersten, "um das Publikum auf den Geschmack zu bringen", über das Zweite "für sentimentale Damen" bis zum Eintritt des "Deliriums" als höchstem Grad der Begeisterung. BIS heißt zufälligerweise auch die Plattenfirma, bei der nun diese brillante Neueinspielung von vier Bläser-Kammermusikwerken aus fünf Jahrzehnten seines Schaffens herausgekommen ist. Es ist ein schwedisches Label, bestens bekannt durch die Bach-Kantaten-Edition mit dem japanischen Dirigenten Masaaki Suzuki und die Aufnahmen des schwedischen Ausnahme-Klarinettisten Martin Fröst. Die an der neuen Platte beteiligten Musiker kommen aus Norwegen, genauer, aus einem der Spitzenorchester dieses Landes und haben sich als "Bergen Woodwind Quintet" internationales Renommee erspielt: Gro Sandvik (Flöte), Steinar Hannevold (Oboe), Fredrik Fors (Klarinette), Ilene Chanon (Horn) und Per Hannevold (Fagott). Hier sind noch einmal alle Fünf zu hören im Quintett No. 1 aus dem Jahr 1948, das Françaix seinerzeit dem Bläserquintett des Orchestre National de Paris auf den Leib geschrieben hat.
"Quintet No. 1 (1948)
4. Satz: Tempo di Marcia francese (Ausschnitt)
Bergen Woodwind Quintet
CD-Track 4"
Schon 1933 – im gleichen Jahr gelingt ihm mit dem Concertino für Klavier und Orchester der internationale Durchbruch – bringt Françaix jene schwer nachahmliche Mischung aus "Machiavelli und Zauberkunst" zuwege, die es seiner eigenen Einschätzung zufolge braucht, um gänzlich "disparate Bestandteile" – hier die im Unterschied zum Streichquartett viel weniger homogenen Klangcharaktere vierer Blasinstrumente – in ein stimmiges Ganzes zu verwandeln.
"Quartet (1933)
1. Satz: Allegro
Bergen Woodwind Quintet (Quartettbesetzung)
CD-Track 10"
"Auf der Bühne muss man sich immer etwas wie ein Scharlatan bewegen, sonst wird man vom Publikum gesteinigt." Diesen Satz von Nicolas Chamfort hat Françaix den bereits erwähnten Zugabenstücken vorangestellt und sich als sein eigener Interpret natürlich auch daran gehalten. Wenn er für andere schrieb, hat er den etwas gauklerischen Gestus gleich mit einkomponiert. Seine Musik erlaubt es jedem Ausführenden, auch wenn er nicht als Solist dasteht, solistisch zu agieren. Und das tun mit hörbarer Begeisterung auch die Mitglieder des Bergen Woodwind Quintet, obwohl sie sich als Kollektiv verstehen und gewiss alles andere als geborene Selbstdarsteller sind. Zum Paradestück wechselnder, spielerisch und unbeschwert wie Kinder miteinander rangelnder Protagonisten wird die Toccata aus dem Quintett Nr. 2 von 1987.
"Quintet No. 2 (1987)
1. Satz (2. Hälfte): Toccata.
Bergen Woodwind Quintet
CD-Track 6"
Voraus geht dieser putzmunteren Toccata des 75-jährigen Jean Françaix ein seiner Zeit enthoben scheinendes "Preludio", das noch einmal eine Brücke schlägt zum eingangs gehörten Quintett des Jahres 1948: anrührend, aber nicht wehmutsvoll, retrospektiv, aber nicht nostalgisch, kurzum: ein Werk, wie es wohl nur ein Komponist hat schreiben können, der mit sich und seiner Kunst im Reinen ist.
"Quintet No. 2 (1987)
1. Satz (2. Hälfte): Toccata.
Bergen Woodwind Quintet
CD-Track 5"
CD-Infos:
Jean Françaix
Bergen Woodwind Quartet
BIS-SACD 2008
Bestellnr.: 7318599920085
Einen historischen Längsschnitt durch diesen wichtigen Bereich seines langen und schaffensreichen Komponistenlebens liefert eine neue Platte, erschienen beim Label BIS aus Anlass von Françaix' 100. Geburtstag am 23. Mai. Dazu begrüßt Sie am Mikrofon Johannes Jansen.
"Quintet No. 1 (1948)
3. Satz: Tema con variazioni (Ausschnitt)
Bergen Woodwind Quintet
CD-Track 3"
Jean Françaix' Werke fast aller Gattungen erreichten Aufführungszahlen weit über dem Durchschnitt Neuer Musik im 20. Jahrhundert. Das machte ihn zum Außenseiter. Für die tonangebenden Köpfe der musikalischen Avantgarde nach 1945 gehörte er bald schon zu den Ewiggestrigen. In ihren musikästhetischen Debatten spielte seine Name keine Rolle. Das hinderte ihn nicht, munter bis ins hohe Alter weiter zu komponieren – und sich durch diese Munterkeit vollends suspekt zu machen: ein gut gelaunter Neoklassizist, der sich auch gerne einmal lustig machte über die Verfechter serieller und anderer Verfahrensweisen der Musica Nova. Françaix bekannte sich zu einer Musik, die "Plaisir" bereiten soll, und sagte von sich selbst, er sei gedanklich lieber auf Waldwegen als auf Autobahnen unterwegs. Ideologische Leitplanken waren ihm zuwider. Er hatte Mut, den eigenen Verstand zu gebrauchen, und ermunterte sein Publikum, es ebenfalls zu tun. Françaix schöpfte aus dem Vollen eines freien, mit ungeheurem Talent begabten Geistes, tief wurzelnd in der französischen Tradition, und das befähigte ihn wohl in besonderer Weise, zum Vergnügen seiner selbst und seiner Hörer eine bei vielen anderen komponierenden Zeitgenossen eher knappe Ressource zu erschließen: Humor. Hier der zweite Satz seines Divertissements für Oboe, Klarinette und Fagott aus dem Jahr 1947: eine Art Ländler, aber über den Leisten eines Zweiertakts geschlagen.
"Divertissement (1947)
2. Satz: Allegretto assai (Ausschnitt)
CD-Track 15"
Auf den meisten Fotos von Jean Françaix sieht man ihn schmunzeln oder lachen. Nur die Hornbrille – früher eine runde, später das Heiner-Müller-Modell – verleiht ihm eine gewisse Strenge, doch ein leicht spöttischer Zug um die Mundwinkel verrät dem Betrachter etwas anderes. Sinn für Ironie spricht schon aus den Titeln mancher seiner Werke wie etwa der "Ode an die Gastronomie", aber auch aus der Sammlung "Bis": fünf Zugabenstücke für Klavier, aufsteigend geordnet vom ersten, "um das Publikum auf den Geschmack zu bringen", über das Zweite "für sentimentale Damen" bis zum Eintritt des "Deliriums" als höchstem Grad der Begeisterung. BIS heißt zufälligerweise auch die Plattenfirma, bei der nun diese brillante Neueinspielung von vier Bläser-Kammermusikwerken aus fünf Jahrzehnten seines Schaffens herausgekommen ist. Es ist ein schwedisches Label, bestens bekannt durch die Bach-Kantaten-Edition mit dem japanischen Dirigenten Masaaki Suzuki und die Aufnahmen des schwedischen Ausnahme-Klarinettisten Martin Fröst. Die an der neuen Platte beteiligten Musiker kommen aus Norwegen, genauer, aus einem der Spitzenorchester dieses Landes und haben sich als "Bergen Woodwind Quintet" internationales Renommee erspielt: Gro Sandvik (Flöte), Steinar Hannevold (Oboe), Fredrik Fors (Klarinette), Ilene Chanon (Horn) und Per Hannevold (Fagott). Hier sind noch einmal alle Fünf zu hören im Quintett No. 1 aus dem Jahr 1948, das Françaix seinerzeit dem Bläserquintett des Orchestre National de Paris auf den Leib geschrieben hat.
"Quintet No. 1 (1948)
4. Satz: Tempo di Marcia francese (Ausschnitt)
Bergen Woodwind Quintet
CD-Track 4"
Schon 1933 – im gleichen Jahr gelingt ihm mit dem Concertino für Klavier und Orchester der internationale Durchbruch – bringt Françaix jene schwer nachahmliche Mischung aus "Machiavelli und Zauberkunst" zuwege, die es seiner eigenen Einschätzung zufolge braucht, um gänzlich "disparate Bestandteile" – hier die im Unterschied zum Streichquartett viel weniger homogenen Klangcharaktere vierer Blasinstrumente – in ein stimmiges Ganzes zu verwandeln.
"Quartet (1933)
1. Satz: Allegro
Bergen Woodwind Quintet (Quartettbesetzung)
CD-Track 10"
"Auf der Bühne muss man sich immer etwas wie ein Scharlatan bewegen, sonst wird man vom Publikum gesteinigt." Diesen Satz von Nicolas Chamfort hat Françaix den bereits erwähnten Zugabenstücken vorangestellt und sich als sein eigener Interpret natürlich auch daran gehalten. Wenn er für andere schrieb, hat er den etwas gauklerischen Gestus gleich mit einkomponiert. Seine Musik erlaubt es jedem Ausführenden, auch wenn er nicht als Solist dasteht, solistisch zu agieren. Und das tun mit hörbarer Begeisterung auch die Mitglieder des Bergen Woodwind Quintet, obwohl sie sich als Kollektiv verstehen und gewiss alles andere als geborene Selbstdarsteller sind. Zum Paradestück wechselnder, spielerisch und unbeschwert wie Kinder miteinander rangelnder Protagonisten wird die Toccata aus dem Quintett Nr. 2 von 1987.
"Quintet No. 2 (1987)
1. Satz (2. Hälfte): Toccata.
Bergen Woodwind Quintet
CD-Track 6"
Voraus geht dieser putzmunteren Toccata des 75-jährigen Jean Françaix ein seiner Zeit enthoben scheinendes "Preludio", das noch einmal eine Brücke schlägt zum eingangs gehörten Quintett des Jahres 1948: anrührend, aber nicht wehmutsvoll, retrospektiv, aber nicht nostalgisch, kurzum: ein Werk, wie es wohl nur ein Komponist hat schreiben können, der mit sich und seiner Kunst im Reinen ist.
"Quintet No. 2 (1987)
1. Satz (2. Hälfte): Toccata.
Bergen Woodwind Quintet
CD-Track 5"
CD-Infos:
Jean Françaix
Bergen Woodwind Quartet
BIS-SACD 2008
Bestellnr.: 7318599920085