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Blasses Boulevardstückchen

Auf einer Matratzenlandschaft kämpfen sich die Schauspieler durch Maxim Billers Stück "Menschen in falschen Zusammenhängen", das am Berliner Gorki Theater uraufgeführt wurde. Dabei bringt der Autor Menschen auf die Bühne, die heftig über Liebe und Sex, Einsamkeit und Angst disktutieren. Diese Emotionen sind den Figuren aber nur von außen angeheftet.

Von Hartmut Krug |
    In "Kühltransport", seinem 2002 in Dresden uraufgeführtem und in Mainz nachgespieltem ersten Theaterstück, erfand Maxim Biller für reale Menschen realistisch wirkende, aber fiktive Biografien. Es ging um vier von 58 toten Chinesen, die zwei Jahre zuvor erstickt in Dover aus einem Kühllaster geholt wurden. Und es ging um die Welt und die Globalisierung.

    In Billers neuem Stück "Menschen in falschen Zusammenhängen" geht es nur um die Möglichkeit von Liebe und Nähe und von Ehrlichkeit und Offenheit zwischen zwei sich irgendwie Liebenden. Dabei bringt der Autor Menschen aus seinem eigenen sozialen Milieu auf die Bühne, die trotz all ihrer heftigen Dialoge über Liebe und Sex, Einsamkeit und Angst erstaunlicherweise völlig konturenlos und ohne Eigenleben bleiben. Biller schrieb papierne Dialoge ohne Witz und Spannung. Man darf gar nicht an thematisch verwandelte Stücke zum Beispiel von Neil LaBute, David Mamet oder auch Yasmina Reza denken bei diesem unangenehm langatmigem und schwafeligem Stück.

    Da mögen Dina und ihr Liebhaber Michael, die sich in der Ehewohnung der Frau in Berlin Mitte zur angeblich letzten Liebesnacht treffen, noch so sexuell aufgedreht hantieren und zugleich davon reden, dass ihnen schlecht sei, dass sie Angst hätten oder dass sie ficken wollen oder auch nicht: immer bleiben die Figuren und ihre Haltungen konstruierte und abstrakte Behauptungen. Für die Abqualifizierung des zwar nie auftretenden, aber langjährigen Ehemannes gibt es die Information, dass er ein Sofageschäft betreibt und gerade auf einer Möbelmesse in Mailand weilt.

    Und dass er noch länger nicht in die Frau eindringenden durfte wie der Liebhaber, der dies erst während dieses Abschiedstreffens erstmals darf. Wovon die Frau natürlich schwanger wird, aber am kokett offenen Ende wahrscheinlich doch beim Ehemann geblieben ist. Bis dahin aber ist es ein weiter, trockener Dialogweg. Auf dem Michael als ein Mann gezeigt wird, der Liebesgedichte geschrieben hat, aber mit seinem "langen, hübschen und beschnittenen Schwanz" Dina auch von hinten beglückt, was ungewöhnlich für eine jüdische Frau sei.

    Das kleine Stück, das ins Studio gehört, wurde von Peter Kastenmüller im Maxim Gorki Theater auf die Vorbühne des großen Hauses gebracht. Auf und um eine Matratzenlandschaft kämpfen sich Isabella Parkinson und Peter René Lüdicke, die man schon weitaus lebendiger gesehen hat, handwerklich wacker durch das zwar vom Regisseur gnädigerweise um nackte Deutlichkeit bewahrte, aber leider auch recht konturen- und spannungslos eingerichtete Stück.

    Immerhin gibt es eine Videowand für den Blick durchs Fenster in die nächtliche Stadt und auf den Fernsehauftritt von Michael, den dieser als Nachfolger von Ignaz Bubis im Vorsitz der Jüdischen Gemeinde zwischendurch absolviert (womit er wohl als, wenn auch folgenlose Anspielung auf Michael Friedman verstanden werden soll). Dabei berichtet Michael, wie er einst gegen Fassbinders umstrittenes Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" und dessen Hauptfigur eines reichen, jüdischen Wohnungsspekulanten demonstrierte.

    So äußerlich und vage wie hier setzt Maxim Biller im gesamten Stück seine Wichtigkeitspunke. Dieser Text ist vor allem Konstrukt. Seinen Figuren sind keine Erfahrungen und Emotionen eingeschrieben, sondern nur von außen angeheftet. So wie ihr Judentum. Mit dem sie viele Möglichkeiten zu rhetorischen Kunststücken über jüdisches Dasein, über Schindler-Juden und Nazi-Vergangenheit, über Stalingrad und Bergen-Belsen geliefert bekommen. Doch das bleibt reine Reizwort-Dramatik.

    Billers Beschreibung von posttraumatischen, jüdischen Identitätsproblem hat letztlich mit den Figuren wenig zu tun. Schlimmer, sie wirkt, als versuche da jemand, ein harmloses Beziehungsstück mit unangreifbarer Bedeutung aufzumotzen. Billers Reißbrett-Stück ist in all seiner Plattheit von spekulativer Wirkungssüchtigkeit geprägt. Indem der Autor behauptet, seine Figuren bekämen allein durch ihre Jüdischsein Bedeutung, nimmt er sie aber letztlich nicht ernst.

    Natürlich versteht man: Dina kann nicht zu sich selbst stehen, kann keine Identität entwickeln, mag Michael lange nicht in sich eindringen lassen und wagt nicht, sich ihm auch emotional wirklich zu öffnen, weil, ja weil sie in sich und bei sich nie allein ist. Ihre Elterngeneration, die Erfahrungen des Holocaust, die gesamte Familiengeschichte sind immer in ihr.

    Doch man stelle sich einmal vor, was ein Woody Allen mit seinem selbstreflexiven Witz oder ein George Tabori mit seiner zuspitzend übersteigerten, grotesken Darstellungsweise aus der Geschichte dieses unmöglichen Liebespaares entwickelt hätten. Maxim Biller aber hat nur ein blasses Boulevardstückchen mit behaupteter tieferer Bedeutung abgeliefert. Positiv an diesem Theaterabend war allein, dass er mit 70 Minuten angenehm kurz war.