Dienstag, 30. April 2024

Blindenfußballerinnen
Fiasko bei der WM

Es hatte der deutschen Nationalmannschaft der Blindenfußballerinnen einige Mühen gekostet, um zur WM nach Birmingham zu reisen. Denn Unterstützung von Sportverbänden hierzulande gibt es keine. Doch das Turnier lief dann komplett anders als geplant.

Von Benedict Haupt | 03.10.2023
Die Fussball-Damen des ASC Leone Wanne-Eickel Herne sammeln in einer Trainingseinheit Erfahrungen im Blindenfußball.
Die deutschen Blindenfußballerinnen haben bei der WM in Birmingham ordentlich Lehrgeld bezahlt. (Symbolbild) (IMAGO / Funke Foto Services / Fischer)
Die deutschen Spielerinnen konnten schon vor der eigentlichen WM einen großen Erfolg verzeichnen, denn für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Birmingham musste das Team um Trainer Wolf Schmidt Spendengelder sammeln.
Eine offizielle Förderung und Anerkennung als Paralympische Sportart gibt es bei den Frauen bisher nicht. Diese ist nur möglich, wenn es einen aktiven Wettbewerb auf Länder- und Kontinentalebene gibt. Wie in vielen anderen Ländern existiert auch in Deutschland bisher keine eigene Bundesliga für Blindenfußballerinnen. Die Weltmeisterschaft in diesem Sommer war das erste große internationale Turnier für Frauen mit Teams aus allen Teilen der Welt.

Schock für Top-Stürmerin Thoya Küster

Wie in allen anderen Para-Sportarten findet auch im Blindenfußball eine Klassifizierung statt: Um auf internationaler Ebene spielen zu dürfen, dürfen die Spielerinnen visuellen Fähigkeiten von B1, Vollblind, bis maximal B3 haben – also eine Restsehschärfe von maximal 10 Prozent . Diese Klassifizierung wird vorgenommen, um sicher zu stellen, dass alle die gleichen Voraussetzungen haben. Thoya Küster, die Top-Stürmerin der Deutschen, beschreibt ihre Klassifizierung so:
„Meine Untersuchung dort vor Ort hat ein bisschen länger gedauert als die von den anderen. Und ich musste nochmal ein paar extra Untersuchungen machen, dass da irgendwas nochmal nachgeprüft werden sollte. Und deswegen hatten ich dann dort im Untersuchungsraum schon so ein bisschen die Vermutung: Ja, es könnte ein bisschen knapp werden. Und dann hat der Klassifizierer mir gesagt, dass ich knapp unter B3 bin.“

Zu starke Sehfähigkeit lässt WM-Traum platzen

Thoya Küster sieht also noch zu gut, um an der Weltmeisterschaft teilnehmen zu dürfen. Ein totaler Schock für die 17-Jährige, die Deutschland quasi im Alleingang zur Weltmeisterschaft geschossen hat: Bei der EM in Pescara letztes Jahr hatte sie alle acht  deutschen Tore erzielt.
„Meine Krankheit, da gibt es keine Verschlechterung oder Verbesserung, aber meine Werte verändern sich. Und dadurch, dass meine Werte sich vom letzten Jahr wieder etwas verändert hatten, durfte ich nicht mitspielen und wurde nicht klassifiziert."

Ohne Thoya geht nichts

Die Mannschaft ist gemeinsam mit Thoya über die B4-Klassifizierung enttäuscht. Vor Ort bleibt, einen Tag vor dem ersten Spiel, aber keine Zeit, um auf die schlechte Nachricht zu reagieren.
Ohne ihre Spitzenspielerin startet das Team In die Vorrunde und spielt sowohl gegen Indien, als auch gegen Österreich 0:0. Gegen die Top-Favoritinnen aus Argentinien setzt es eine 0:3-Niederlage. Letztendlich landen die Deutschen im Penalty-Schießen gegen England auf Platz 7.

Nicht viele Gegnerinnen

Am Ende steht Platz 7 von acht teilnehmenden Mannschaften. Trainer Wolf Schmidt sagt, das hätte auch anders ausgehen können: „Also mit Thoya hätten wir eine Medaille gewinnen können, das ist ja auch immer hätte, hätte, hätte. Die Argentinierinnen sind mit zwei Spielerinnen im Sturm. Da war klar, dass Argentinien der Favorit ist. Wir wussten, dass Japan stark ist. Alle anderen wäre für uns kein Hindernis gewesen.“ 
Trainer Wolf Schmidt war selbst nicht bei den Spielen in Birmingham dabei. Die Anspannung zwischen seiner Mannschaft und den offiziellen Verbänden, die ihnen die Anerkennung und Förderung verwehren, beschäftigen ihn so sehr, dass er in den Wochen vor Birmingham Alpträume bekommt. 
„Es ist einfach eine absolut tiefgreifende Machtstruktur, die der DFB dort in dem eigentlich schönen Fußball-Sonderentwicklungsbereich trotzdem lebt.“   

Keine Strukturen vorhanden für die Sportart

Seine Entscheidung nicht mitzufahren teilt er der Mannschaft im letzten Trainingslager vor der Weltmeisterschaft mit. „Es hat mir niemand gesagt, ich darf nicht mitfahren, mir ist nur klar geworden: wir können Weltmeister werden, aber es wird an der Struktur der Sportartentwicklung nichts, aber auch rein gar nichts verändern.“
Die Spielerinnen reagieren mit gemischten Gefühlen. "Also, man hat ihn verstanden, aber es war auch so ein bisschen unverständlich, dass es zu so einer Situation gekommen ist. Die Mannschaft war enttäuscht, als Wolf seine Entscheidung bekannt gegeben hat."

Lehren können gezogen werden

In Birmingham übernehmen Co-Trainer Sven Gronau und Michel Hain, der auch als Guide im Blindenfußball aktiv ist. Cheftrainer Wolf Schmidt verfolgt jedes Spiel im Livestream aus Deutschland und unterstützt bei Fragen immer per Telefon.
Aus der WM ziehen die Spielerinnen und Trainer Wolf Schmidt mehrere Lehren: "Dass wir wirklich an der Basis arbeiten müssen, also Spielerinnen müssen ausgebildet werden in Richtung defensivem und offensivem Spiel.“
Ein besonders ausgeglichenes Athletinnen-Profil ist im Blindenfußball besonders wichtig, da man sich mit nur vier Feldspielerinnen Spezialisten nicht wirklich leisten kann. Im deutschen Team war bisher nur Thoya Küster fürs Toreschießen zuständig.
„Ganz viel von dem Offensivspiel war Thoya. Ist ein Fehler. Die kann sich auch verletzen. Wenn man so eine Top-Spielerin hat, dann stellt man die in den Sturm und lässt sie spielen. Die anderen wachsen in der Defensivarbeit mit so einer tollen Stürmerin.“

Thoya Küster wird nicht aufhören

Für Thoya Küster steht fest: Dem Blindenfußball den Rücken zu kehren kommt für sie nicht in Frage. Im Gegenteil: Sie hat im Training direkt nach dem ausgesprochenen Startverbot schon wieder die Liebe zu Ihrem Sport entdeckt: „Dann merke ich einfach so, wie Blindenfußball einen da wieder so motiviert.“
Aber für das nächste internationale Turnier möchte sie so einen Vorfall wie in Birmingham vermeiden: „Keine Ahnung, ob ich es nochmal möchte, dass ich irgendwo hinfahre und dann vor Ort gesagt bekommen, dass ich nicht spielen werden kann. Wenn, dann möchte ich vorher in Deutschland strenge Untersuchungen machen lassen.“
Aus dem Turnier nimmt die 17-Jährige außerdem eine große Bewunderung für das schöne Spiel der Argentinierinnen mit, die die Weltmeisterschaft gewonnen haben. Sie freut sich jetzt besonders, endlich wieder spielen zu dürfen und zusammen mit dem Team die Mannschaft breiter und flexibler aufzustellen.