Der kanadische Opernregisseur Robert Carsen ist in Paris zurzeit ein gefragter Mann. Auf dem Spielplan der Oper stehen zwei seiner Inszenierungen, und auch im Pariser Ausstellungsbetrieb ist Carsen gerade für großes Spektakel zuständig. Das Musée d'Orsay engagierte den Theatermann für eine Ausstellung über Impressionismus und Mode, und im Grand Palais hat Carsen "Bohèmes" inszeniert: Eine Ausstellung, die, so die Ankündigung, den modernen Mythos der "Bohème" untersuchen will. Doch während die Impressionismus-und-Moden-Schau im Musée d'Orsay durchaus ihre Reize hat, präsentiert die "Bohèmes"-Austellung im Grand Palais ziemlich unerträglichen Kulissenzauber.
Düstere Wände mit abgerissenen Tapeten, ein von der Decke baumelndes Ofenrohr oder mit Farbe befleckte Staffeleien sollen hier für Bohème-Ambiente des 19. Jahrhunderts sorgen – der arme Poet lässt grüßen. Plakativer und klischeehafter geht es wohl kaum. Was als Bühnenbild für Puccinis "Bohème"-Oper möglicherweise noch funktionieren könnte, taugt als Ausstellungsdekor jedenfalls nicht. Denn die Kunst gerät inmitten dieser Künstlermisere-Inszenierung leider zur Nebensache; fast schon lächerlich wirken die aufwendig gerahmten Gemälde über Pappmaché-Kaminen ohne Feuer oder an den Wänden eines nachgebauten "Bohème"-Cafés.
Ob die Absinth-Trinkerin von Edgar Degas, eine Atelier-Szene von Paul Cézanne oder das Gemälde mit den abgetragenen Schuhen von Vincent Van Gogh – die Bilder der Bohème ersticken im Bohème-Dekor. Das ist umso ärgerlicher, als die Ausstellung sehr vielversprechend beginnt. Sie nimmt nämlich zunächst die Vorgeschichte der künstlerischen Bohème in den Blick und zeigt, wie Künstler seit dem 15. Jahrhundert das sogenannte 'fahrende Volk' dargestellt haben. "Ein Mann wird von Zigeunern betrogen" heißt da eine Zeichnung von Leonardo da Vinci, bekannt auch unter dem Titel "groteske Köpfe". Gleich daneben hängt, anmutig und schön wie eine Madonna, "Die kleine Zigeunerin", ein Porträt des Renaissance-Malers Boccacio Boccaccino. Diese beiden Extreme – groteske Gaunerfratzen und engelsgleiche Schönheit – prägen die Zigeuner-Bildwelten der Künstler bis ins 18. Jahrhundert. Der Legende nach kamen diese Bohemiens aus Ägypten, die englische Sprache und ihre "gypsies" erinnern auch heute noch daran – und die Gemälde zeigen sie deshalb dunkelhäutig und fremdartig – oft auch gefährlich.
So auf dem berühmten Bild "Die Wahrsagerin" von Georges de la Tour, wo ein sehr hellhäutiger Jüngling von dunklen und diebischen Zigeunerinnen umringt ist. Und im 18. Jahrhundert, auf einem Gemälde von Antoine Watteau, sorgt die Figur einer düsteren schlampigen Zigeuner-Wahrsagerin dafür, dass die Damen und Herren der höfischen Gesellschaft umso strahlender und eleganter erscheinen. Mysteriös und naturverbunden-kreatürlich werden insbesondere die Zigeunerinnen oft dargestellt, sie erscheinen als wilde Wesen, die in der Natur hausen, in Höhlen oder auf Waldlichtungen.
Erst im 19. Jahrhundert werden aus diesen Fantasiegestalten der Kunst Identifikationsfiguren der Künstler: Gustave Courbet ist einer der Pioniere der neuen Bohemiens, als er beschließt, ein – wie er es nennt - "wildes (...) großes unabhängiges Vagabundenleben" zu führen und sich selbst 1854 als heimatlosen Wanderer auf der Landstraße malt. Die neue Bohème des 19. Jahrhunderts erhebt das Leben am Rand der Gesellschaft zum Ideal, zum Inbegriff der Freiheit der Kunst. Von Courbets "Grand Chemin" ist es dann nicht mehr weit in die kalten Ateliers, armen Stuben und düsteren Cafés der Pariser Bohème, die der Opernregisseur Carsen so klischeehaft im Grand Palais nachgebaut hat.
"Bohèmes" hätte eine sehr politische Ausstellung sein können, und ansatzweise zeigt sie auch, wie sehr der künstlerische Blick auf Zigeuner, Sinti und Roma geprägt war von Mythen, Legenden und Träumereien und wie wenig von deren tatsächlichen Lebensbedingungen. Doch über ihren stereotypen Künstlerbohème-Kulissen verliert die "Bohèmes"-Ausstellung die Bohémiens leider etwas aus dem Blick. Erst ganz am Ende – kurz bevor es in den Museumsshop geht – erinnert ein Schild an Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus. Das Foto daneben zeigt die Eröffnung der Ausstellung "Entartete Kunst" in München 1937 – im Hintergrund die "Zigeuner"-Bilder des deutschen Expressionisten Otto Mueller.
Düstere Wände mit abgerissenen Tapeten, ein von der Decke baumelndes Ofenrohr oder mit Farbe befleckte Staffeleien sollen hier für Bohème-Ambiente des 19. Jahrhunderts sorgen – der arme Poet lässt grüßen. Plakativer und klischeehafter geht es wohl kaum. Was als Bühnenbild für Puccinis "Bohème"-Oper möglicherweise noch funktionieren könnte, taugt als Ausstellungsdekor jedenfalls nicht. Denn die Kunst gerät inmitten dieser Künstlermisere-Inszenierung leider zur Nebensache; fast schon lächerlich wirken die aufwendig gerahmten Gemälde über Pappmaché-Kaminen ohne Feuer oder an den Wänden eines nachgebauten "Bohème"-Cafés.
Ob die Absinth-Trinkerin von Edgar Degas, eine Atelier-Szene von Paul Cézanne oder das Gemälde mit den abgetragenen Schuhen von Vincent Van Gogh – die Bilder der Bohème ersticken im Bohème-Dekor. Das ist umso ärgerlicher, als die Ausstellung sehr vielversprechend beginnt. Sie nimmt nämlich zunächst die Vorgeschichte der künstlerischen Bohème in den Blick und zeigt, wie Künstler seit dem 15. Jahrhundert das sogenannte 'fahrende Volk' dargestellt haben. "Ein Mann wird von Zigeunern betrogen" heißt da eine Zeichnung von Leonardo da Vinci, bekannt auch unter dem Titel "groteske Köpfe". Gleich daneben hängt, anmutig und schön wie eine Madonna, "Die kleine Zigeunerin", ein Porträt des Renaissance-Malers Boccacio Boccaccino. Diese beiden Extreme – groteske Gaunerfratzen und engelsgleiche Schönheit – prägen die Zigeuner-Bildwelten der Künstler bis ins 18. Jahrhundert. Der Legende nach kamen diese Bohemiens aus Ägypten, die englische Sprache und ihre "gypsies" erinnern auch heute noch daran – und die Gemälde zeigen sie deshalb dunkelhäutig und fremdartig – oft auch gefährlich.
So auf dem berühmten Bild "Die Wahrsagerin" von Georges de la Tour, wo ein sehr hellhäutiger Jüngling von dunklen und diebischen Zigeunerinnen umringt ist. Und im 18. Jahrhundert, auf einem Gemälde von Antoine Watteau, sorgt die Figur einer düsteren schlampigen Zigeuner-Wahrsagerin dafür, dass die Damen und Herren der höfischen Gesellschaft umso strahlender und eleganter erscheinen. Mysteriös und naturverbunden-kreatürlich werden insbesondere die Zigeunerinnen oft dargestellt, sie erscheinen als wilde Wesen, die in der Natur hausen, in Höhlen oder auf Waldlichtungen.
Erst im 19. Jahrhundert werden aus diesen Fantasiegestalten der Kunst Identifikationsfiguren der Künstler: Gustave Courbet ist einer der Pioniere der neuen Bohemiens, als er beschließt, ein – wie er es nennt - "wildes (...) großes unabhängiges Vagabundenleben" zu führen und sich selbst 1854 als heimatlosen Wanderer auf der Landstraße malt. Die neue Bohème des 19. Jahrhunderts erhebt das Leben am Rand der Gesellschaft zum Ideal, zum Inbegriff der Freiheit der Kunst. Von Courbets "Grand Chemin" ist es dann nicht mehr weit in die kalten Ateliers, armen Stuben und düsteren Cafés der Pariser Bohème, die der Opernregisseur Carsen so klischeehaft im Grand Palais nachgebaut hat.
"Bohèmes" hätte eine sehr politische Ausstellung sein können, und ansatzweise zeigt sie auch, wie sehr der künstlerische Blick auf Zigeuner, Sinti und Roma geprägt war von Mythen, Legenden und Träumereien und wie wenig von deren tatsächlichen Lebensbedingungen. Doch über ihren stereotypen Künstlerbohème-Kulissen verliert die "Bohèmes"-Ausstellung die Bohémiens leider etwas aus dem Blick. Erst ganz am Ende – kurz bevor es in den Museumsshop geht – erinnert ein Schild an Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus. Das Foto daneben zeigt die Eröffnung der Ausstellung "Entartete Kunst" in München 1937 – im Hintergrund die "Zigeuner"-Bilder des deutschen Expressionisten Otto Mueller.