Stephan Detjen: Herr Bosbach, wir sitzen hier in Potsdam zusammen, wo Sie gerade mit der Föderalismus-, oder wie es richtig heißt, mit der Bundesstaatskommission beraten haben über die Neuordnung der föderalen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland. Das war jetzt zum ersten Mal eine intensive Klausurtagung mit intensiven Sachdiskussionen. Wie weit sind Sie denn gekommen, wie viele Bundesländer haben Sie denn schon aufgelöst oder zusammengelegt?
Wolfgang Bosbach: Das ist ja gerade nicht Gegenstand unserer Beratungen in der Föderalismuskommission. Dafür gibt es einen guten Grund. Das ist ja nicht Aufgabe des Bundesgesetzgebers, sondern Länderneuordnung setzt ja voraus die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger, man kann das nicht über die Köpfe der Bürger hinweg machen. Das ist ja der einzige Punkt in unserem Grundgesetz, wo wir ein plebiszitäres Element eingeführt haben. Und wir hatten ja bereits einen Versuch, zwei Bundesländer zu fusionieren – Brandenburg und Berlin, und die Bürgerinnen und Bürger beider Länder haben das abgelehnt. Aber ich gebe gerne zu, dass es des ungeachtet gute Gründe gäbe für eine Neuordnung der Bundesländer, denn die 16 Länder, die wir jetzt haben, sind sehr unterschiedlich groß und haben eine sehr unterschiedliche Wirtschaftskraft. Vor diesem Hintergrund könnte eine Länderneugliederung Sinn machen.
Detjen: Ist damit nicht aber vielleicht das wesentliche Thema, auch der wesentliche Hemmschuh in der föderalen Ordnung aus dieser Kommission ausgeklammert?
Bosbach: Ja und nein. Wir hätten uns übernommen aus zwei Gründen. Den einen habe ich gerade schon angedeutet, dass wir hier die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger aller Länder brauchen. Und zum anderen gibt es nun viele Vorschläge, die in der Vergangenheit schon gemacht wurden und immer wieder gescheitert sind. Denken Sie mal an den häufigsten Vorschlag, die beiden Länder Saarland und Rheinland-Pfalz zu fusionieren. Das Saarland ist das einzige Bundesland, das aus zwei Volksabstimmungen heraus entstanden ist. Und ich persönlich habe gar nicht die Phantasie, dass es dort eine Mehrheit gäbe in er Bevölkerung für einen Zusammenschluss mit dem Land Rheinland-Pfalz. Und im übrigen glaube ich auch nicht, dass beide Landesregierungen dem zustimmen würden.
Detjen: Aber lassen Sie uns ruhig noch mal bei dem ganz Grundsätzlichen bleiben, bei der ganz grundsätzlichen Frage: Wie zeitgemäß ist eigentlich die Idee einer bundesstaatlichen Ordnung noch? Wenn man mal schaut, wie das angefangen hat 1949: Der Auftrag der Alliierten an die Ministerpräsidenten der Länder damals, einen Staat – Bundesrepublik Deutschland – zu gründen, hatte ja auch damit zu tun, dass man zentrale mächtige Entscheidungsstrukturen in diesem Nachkriegsdeutschland vermeiden wollte. Heute, wenn wir uns die Reformdebatten der Gegenwart anschauen, ist es eigentlich das, wo man das Gefühl hat, das braucht man – stärkere Entscheidungsstrukturen, vielleicht auch stärkere zentrale Entscheidungsstrukturen.
Bosbach: Auf der anderen Seite diskutieren wir auch immer über die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips. Das heißt, die Ebene sollte die Aufgabe wahrnehmen, die ortsnäher ist, die auch näher an den Problemen ist, näher an den Menschen ist. Also, die höhere Ebene soll nur das an Aufgaben und Kompetenzen an sich ziehen, was auf den unteren Ebenen nicht optimal gelöst werden kann. Und ich glaube, dass wir jetzt in einem Spannungsfeld leben. Auf der einen Seite zieht Europa immer mehr Kompetenzen an sich, regelt immer mehr, was früher Bund oder die Länder geregelt haben. Aber auf der anderen Seite gibt es auch eine Renaissance der Regionen, eine Renaissance des Begriffes 'Heimat und Nation’. Europa ist für viele etwas unscharf, und deswegen überlegen wir auch hier in der Kommission sehr ausdrücklich und auch ausführlich, was unbedingt bundesweit einheitlich geregelt werden muss – also so viel Bundeseinheitlichkeit wie notwendig, aber auch so viel Differenzierung, auch so viel Wettbewerb zwischen den Ländern wie möglich
Detjen: Schildern Sie doch einfach mal, an welchem Thema konkret – an welchem Granit – haben Sie sich hier in den letzten Tagen die Zähne ausgebissen?
Bosbach: Das ist höchst kompliziert, und ich glaube sagen zu dürfen, ohne dass ich den Mitgliedern der Kommission jetzt zu nahe trete: Viel weitergekommen sind wir hier auf der Klausurtagung nun wirklich nicht . .
Detjen: . . . was haben Sie denn erreicht?
Bosbach: Hier gelten die beiden politischen Leitsätze. Erstens: Alles hängt mit allem zusammen. Und zweitens: Schwierig wird’s, wenn es ins Detail geht. Wenn Sie mich nach einem Ergebnis fragen würden, könnte ich Ihnen die Frage gar nicht konkret beantworten. Wir haben die Punkte praktisch immer nur so weit angesprochen, bis es ins Detail ging und damit schwierig wurde und auch kontrovers. Denn Sie können hier in der politischen Diskussion der Kommission nicht unterscheiden, wie das traditionell passiert zwischen der Regierung auf der einen Seite und der Opposition auf der anderen Seite, also dem A-Lager und den B-Lagern. Es gibt ganz unterschiedliche Interessen in den unionsgeführten Bundesländern – die kleinen und die größeren, die wirtschaftlich stärkeren und die schwächeren, alte und neue Bundesländer, Unterschiede zwischen der Sichtweise der Landesparlamente und dem Bundesparlament, zwischen der Bundesregierung, aber auch SPD-geführten Bundesländern. Wir haben hier eine richtige Gemengenlage.
Detjen: Was muss man denn tun? Welche Voraussetzungen müssen denn überhaupt zunächst mal geschaffen werden, damit überhaupt die Möglichkeit besteht, diese betoniert wirkenden Interessen zusammenzubringen?
Bosbach: Ich glaube, ein Punkt ist von überragender Bedeutung, er ist sozusagen der 'rote Faden’ unserer Beratungen Die Länder sind bereit, übrigens unterschiedlich, ob SPD- oder unionsgeführt, auf ihre sehr starken Mitwirkungsrechte im Bundesrat weitestgehend zu verzichten – es sind ja fast zwei Drittel aller Gesetze zustimmunspflichtig, sie können also nur in Kraft treten, wenn auch die Mehrheit im Bundesrat zustimmt –, Zug um Zug gegen eine stärkere Politikmöglichkeit in den Ländern. Das heißt, die Länder sind bereit, Einfluss auf die Bundesgesetzgebung zu reduzieren, wollen aber gleichzeitig neue politische Gestaltungsspielräume erhalten. Das heißt, alleine mit den Themen 'Versammlungsrecht’ oder 'Bekämpfung des lokalen Freizeitlärms’, 'Notariatswesen’ – die Themen sind ja alle schon genannt worden – werden sich die Länder ganz, ganz sicher nicht zufrieden geben, sondern sie wollen wirkliche Politikfelder haben, in denen sie eigenständig gestalten können.
Detjen: Gibt es ein einziges Beispiel, wo man sagen kann, da zeichnet sich tatsächlich ab: Hier wird den Ländern etwas wieder- oder zurückgegeben? Sie hatten ja zeitweise am Anfang der Bundesrepublik auch mehr Kompetenzen als heute.
Bosbach: Ich kann das ganz kurz machen. Bei der Rahmengesetzgebung geht es um die Frage, ob wir diesen Gesetzgebungstyp zukünftig überhaupt noch haben wollen, und wenn ja – in welchen Feldern. Bei den Gemeinschaftsaufgaben geht es um die Frage, ob es die Gemeinschaftsaufgaben in dieser Form noch geben soll, und wenn es noch Gemeinschaftsaufgaben in Zukunft geben soll, in welchen Politikbereichen. Man kann ein ganz konkretes Beispiel nehmen – im Bereich des öffentlichen Dienstes, denn die Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, insbesondere die Beamten, sind ja keine Bundesbeamten. Nur etwa 10 oder 11 Prozent der Beamten in Deutschland sind Bundesbeamte, weit überwiegend arbeiten die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in Ländern und in den Gemeinden. In den Länderhaushalten sind über 40 Prozent der Ausgaben Personalausgaben, und deswegen reklamieren die Länder Personalhoheit für sich und wollen viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben im Hinblick auf ihr eigenes Personal.
Detjen: Aber gerade bei diesen Themen werden ja auch die unterschiedlichen Interessenlagen, auch die unterschiedlichen Möglichkeiten der Länder immer wieder sehr deutlich. Nehmen wir ein anderes Thema, den Bereich Hochschulbau, der als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern bisher definiert wird. Es gibt reiche Länder – wie Bayern –, die sagen: Das wollen wir wieder ganz in unsere Kompetenz zurück haben. Es gibt andere Länder wie Sachsen, wo der Wissenschaftsminister vorrechnet, wie viel ihn das kosten würde, wenn die Finanzierung des Bundes da wegfallen würde – 80 Millionen Euro sagt der sächsische Wissenschaftsminister. Lassen sich diese Gegensätze – zunächst mal auf der Länderseite, und da geht’s ja jetzt auch um rein unionsregierte Länder – überhaupt zusammenführen?
Bosbach: Das ist möglich, wenn wir immer beides im Auge behalten, nämlich auf der einen Seite die Entflechtung der Aufgaben und auf der anderen Seite die Konsequenzen in den Finanzbeziehungen, die es gibt. Wenn man eine Gemeinschaftsaufgabe nicht mehr als solche definiert, sondern die Aufgabe beispielsweise alleine den Ländern alleine zuordnen würde, käme man sofort zu der nächsten Frage: Was ändert sich dadurch in den Finanzbeziehungen – in den Ausgabenströmen aus Sicht der Länder und in Einnahmeströmen aus Sicht des Bundes. Das heißt, wenn man zu einer Entflechtung der Aufgaben kommt, wird man auch zu einer Neuordnung der Finanzbeziehungen kommen müssen, denn immer sitzen im Hintergrund die Finanzminister des Bundes und der Länder und rechnen ganz genau aus, welche Entscheidung wem wie viel Geld kostet oder bringt.
Detjen: Inwieweit ist das Problem des Föderalismus – wenn wir es konkret betrachten, auch im politischen Prozess betrachten, etwa im Reformprozess Ende letzten Jahres – inwieweit ist das tatsächlich die Verflechtung von Aufgaben und Kompetenzen, oder inwieweit ist es nicht auch die Institution des Bundesrates – Sie haben bereits gesagt, es geht auch darum Mitspracherechte der Ministerpräsidenten im Bundesrat zu reduzieren, also den Bundesrat in seiner Struktur als einen Hemmschuh im Reformprozess in der Bundesrepublik Deutschland zu reformieren?
Bosbach: Die Länder argumentieren etwas anders. Sie sagen: Im Anfang waren die Länder, der Bund ist aus den Ländern heraus entstanden. Und in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben die Länder Stück für Stück Kompetenzen an den Bund abgegeben, Zug um Zug gegen mehr Einfluss auf die Bundesgesetzgebung . . .
Detjen: . . und gegen Geld . . .
Bosbach: . . . und gegen Geld. Und wenn das jetzt wieder teilweise rückabgewickelt werden soll, dann wollen die Länder auch eigenständige Gestaltungsspielräume in wichtigen politischen Feldern zurückerhalten. Ich nehme mal ein ganz praktisches Beispiel: Ein ganz großer Teil der Gesetze sind ausschließlich deshalb zustimmungspflichtige Gesetze, weil dort Verwaltungsverfahren geregelt werden. Und so könnte man sich ja vorstellen, dass der Bund sagt: Wir regeln das Verwaltungsverfahren – damit wird das Gesetz zustimmungspflichtig –, aber wir stellen es den Ländern frei, im jeweiligen Land eine völlig andere Verwaltungsregelung zu organisieren. Dann wäre das Gesetz nicht mehr zustimmungspflichtig, dann wäre es zustimmungsfrei und könnte ohne Mehrheit im Bundesrat auf Bundesebene in Kraft treten. Die Länder sagen: Das können wir uns vorstellen, aber dann möchten wir wieder mehr politischen Gestaltungsspielraum zurückgewinnen.
Detjen: Aber das betrifft ja faktisch die Macht der Ministerpräsidenten. Der Veränderungsprozess, den Sie geschildert haben, hat ja im Ergebnis nicht zu einem Machtzuwachs der Länder, sondern ganz persönlich der Ministerpräsidenten geführt, die sich im Bundesrat auf der Bühne des Bundes – der Bundespolitik – entfalten können. Ist ein Ministerpräsident, ein machtbewusster Ministerpräsident wie Edmund Stoiber bereit, diese Macht auf der Bühne des Bundes abzugeben und sich auf Landespolitik zu beschränken?
Bosbach: Na gut, das ist völlig richtig. Es gibt ja viele Ministerpräsidenten, insbesondere in der Union, die eher als Bundespolitiker wahrgenommen werden denn als Landespolitiker. Sie sind dennoch bereit, Einfluss auf die Bundesgesetzgebung zu reduzieren, wenn sie im Gegenzug wieder auf wirklich wichtigen Politikfeldern eigenständige Gesetzgebungsbefugnis bekommen und sozusagen den politischen Gestaltungsspielraum in ihren Ländern vergrößern können. Und da treffen sich ja zwei Interessen, nämlich die Interessen der Ministerpräsidenten mit den Interessen der Landtage, denn im Bundesrat sitzen ja nicht die Vertreter der Länder im Sinne der Vertreter der Länderparlamente, sondern die Vertreter der Landesregierungen, die Mitglieder des Bundesrates sind. Und deswegen sind ja auch die Vertreter der Landtage Mitglieder hier in dieser Kommission.
Detjen: Sie sind es aber nur in einem verminderten Status, sie sind es, faktisch gesagt, in einem Gästestatus, ebenso die Vertreter der Kommunen. Wäre es nicht wichtig gewesen, gerade die aufzuwerten in dieser Kommission, um sozusagen – bildlich gesprochen – gerade die Ministerpräsidenten in einen Zangengriff der Parlamente nehmen zu können?
Bosbach: Ich habe für das Argument Verständnis, aber es gibt auch zwei wichtige Gegenargumente. Das erste ist: Die Mitwirkungsmöglichkeit in der Kommission ist ja nicht eingeschränkt. Sie haben Rederecht wie jedes andere Kommissionsmitglied auch. Und wir wollen ja die Verfassung ändern, das Grundgesetz. Dafür brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und auch eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat. Und deswegen macht es Sinn, das abstimmungsberechtigt hier nur die Vertreter sind des Bundesrates und des Bundestages, weil ja dort jeweils eine Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Grundgesetzes sichergestellt werden muss. Wir könnten hier, indem wir auch anderen eine Abstimmungsbefugnis geben, ein – in Anführungszeichen – "schiefes Abstimmungsbild" herstellen, was dann in der Länderkammer und im Bundestag keine Entsprechung fände.
Detjen: Es gab ja ohnehin Überlegungen, diese Föderalismusdiskussion auch in einem anderen Forum, in einem anderen Verfahren zu diskutieren. Die Initiative ging ja zunächst von den Ministerpräsidenten einerseits und von der Bundesregierung aus. Die waren ja vor einem Jahr – im Frühjahr 2003 – schon relativ weit. Es gab Papiere von den Ministerpräsidenten, es gab ein Papier der Bundesregierung, in denen sich auch Deckungen abgezeichnet haben. Erst dann hat sich der Bundestag eingeschaltet mit dieser Kommission. Hat das das Verfahren nicht eigentlich noch komplizierter gemacht?
Bosbach: Das Verfahren ist sicherlich komplizierter, je mehr Personen und Institutionen sich an diesem Verfahren beteiligen. Aber hier sind ja nicht nur – mit Verlaub – Interessen der Bundesexekutive und Interessen der Länderexekutiven berührt, sondern insbesondere Interessen der Parlamente des Bundes und der Länder. Wir sprechen hier über Gesetzgebungsbefugnisse, wir sprechen hier über zentrale Politikfelder. Das ist – mit Verlaub – in erster Linie eine Sache der Parlamente und erst in zweiter Linie eine Sache der Exekutive, denn die entscheidenden politischen Weichenstellungen finden ja im Gesetzgebungsprozess statt. Und das ist immer noch Sache der Legislative.
Detjen: Wie frei ist denn diese Kommission, die da tagt, wirklich, grundsätzlich auch ganz neue Gedanken zu denken, zum Beispiel einen Gedanken, der vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts kam – in bezug auf den Bundesrat, über den wir geredet haben –, der gesagt hat: Man müsste den Bundesrat eigentlich durch ein ganz neues Gremium ersetzen, durch einen Senat, wie ihn die amerikanische Verfassung kennt?
Bosbach: Ja, das ist erstens ein origineller Gedanke, zweitens dürfte er in der Praxis keine Chance haben. Wir haben auch über dieses Thema hier überhaupt nicht gesprochen. Die Länder haben in unserem Verfassungsgefüge eine sehr starke Stellung, sie sind sich dieser starken Stellung auch bewusst und treten hier aus meiner Sicht verständlicherweise auch sehr bewusst auf. Und deswegen wird es in dieser Hinsicht keine Änderung des Verfassungsgefüges geben, da bin ich ziemlich sicher.
Detjen: Herr Bosbach, es gab im Vorfeld dieser Klausurtagung eine Debatte über den Status der Hauptstadt Berlin. Der Regierende Bürgermeister von Berlin Wowereit hat gefordert, den Hauptstadtstatus im Grundgesetz festzuschreiben. Auch von den Grünen kam eine ähnliche Forderung, verbunden mit der Idee, ein Hauptstadtgesetz zu erlassen. Wurde das in der Kommission diskutiert, und wie ist Ihre Haltung dazu?
Bosbach: Nein, überhaupt nicht. Herr Wowereit hat da vor wenigen Tagen eine publizistische Wunderkerze abgebrannt, und er hat eigentlich einen Gedanken noch einmal aufgewärmt, der weder neu ist noch besonders originell, und der vor allen Dingen so weit unscharf ist, wie es ihm offensichtlich nur um eine Ergänzung des Grundgesetzes geht mit der Behauptung, man müsse die Stellung Berlins stärker im Grundgesetz verankern, um die Hauptstadtfunktion in der Verfassung deutlich hervorzuheben. Das ist ja nett gemeint, aber sagen hätte er eigentlich müssen, dass es ihm ums Geld geht. Das wird er natürlich bestreiten. Er wird sagen, in erster Linie ginge es ihm um die Stellung der Hauptstadt Berlin. Und jeder, der das Geschäft kennt, weiß, dass es am Ende ums Geld geht.
Detjen: Was ja nicht illegitim ist. Das Geld spielt bei allen Diskussionen, die Sie da führen, eine erhebliche Rolle. Aber man kann es ja auch trennen. Es ist ja legitim, das zu trennen und zu überlegen: Wäre es nicht angemessen in einem föderalen Staat, die Frage der Hauptstadt auch in einer Verfassung zu regeln, festzuschreiben.
Bosbach: Ja, dann sollte er es aber auch so sagen und nicht den Eindruck erwecken, als ginge es ihm nicht in erster Linie um das Geld, also um eine stärkere finanzielle Beteiligung des Bundes an den Lasten, die das Land Berlin trägt. Und hier habe ich folgende Bedenken. Das erste ist: Das Land Berlin befindet sich in einer finanziell dramatischen Situation, in einer völlig desolaten Haushaltslage. Und man darf auch als Bund gar nicht den Anschein erwecken, als könne man durch eine solche Änderung des Grundgesetzes nun die desolate Haushaltslage von Berlin lösen. Das Zweite ist: Herr Wowereit erweckt den Eindruck, wenn das Grundgesetz so ergänzt wird, dann gäbe es die Auseinandersetzungen nicht mehr zwischen dem Bund und Berlin, weil dann klar sei, dass der Bund die hauptstadtbedingten Kosten tragen müsse. Dann beginnt allerdings erst der Streit, denn es finden ja regelmäßig Verhandlungen statt, das hat es auch schon zu Bonner Zeiten gegeben: Was sind hauptstadtbedingte Kosten und was nicht. Und das Dritte ist, was mich schon etwas unangenehm berührt, dass nunmehr Herr Wowereit – ob bewusst oder unbewusst, das weiß ich nicht – den Eindruck erweckt, als sei Hauptstadt zu sein für Berlin in allererster Linie eine finanzielle Belastung. Wenn das so ist, dann verstehe ich nicht, wieso sich Berlin darum bemüht, ständig neue Bundesinstitutionen nach hier zu holen, wenn das nur eine Belastung ist. Es ist wahrscheinlich beides, eine finanzielle Belastung, das will ich gar nicht bestreiten, aber doch eine Bereicherung auch für die Stadt. Es sind doch gewaltige Milliarden-Investitionen hier in Berlin getätigt worden durch die Umzugsentscheidung von Bonn nach Berlin. Es sind viele neue Arbeitsplätze hier entstanden, und Herr Wowereit sollte das nicht immer nur unter dem Gesichtspunkt der Belastung bewerten.
Detjen: Aber man kann das ja auch aus einer anderen Perspektive sehen. Man kann sehen, dass gerade der Bund und auch die anderen Länder ein Interesse daran haben könnten, die Aufgaben Berlins als Hauptstadt, die ja die gemeinsame Hauptstadt aller Länder ist, von dieser desolaten Haushaltslage des Landes Berlin abzukoppeln. Auch das könnte ein Effekt sein – eine Regelung, die im Grundgesetz oder in einem Hauptstadtgesetz getroffen werden könnte.
Bosbach: Das ist völlig richtig. Wir hatten ja auch schon mal eine andere Debatte, nämlich ob Berlin nicht eine Art Stellung bekommen soll wie Washington DC in den Vereinigten Staaten . . .
Detjen: . . das war ha ein Vorschlag, der auch aus der Union kam . . .
Bosbach: . . . genau. Dann muss man natürlich sehen, dass das auch politische Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten bedeutet und nicht nur finanzielle Zuwendungen an das Land Berlin. Heute beteiligt sich der Bund ja schon an den sogenannten Hauptstadtlasten der Stadt beziehungsweise des Landes Berlin. Mein Hauptansatzpunkt ist: Wer eine Änderung des Grundgesetzes fordert, möge doch bitte auch sagen, welche Erwartungen oder welche Forderungen er damit verknüpft, damit er nicht den Eindruck erweckt, als ginge es ihm in erster Linie nicht ums Geld. Insofern gilt für diese Klausel im Grundgesetz das, was auch für die Arbeit der Kommission gilt: Kompliziert und richtig schwierig wird es, wenn es ins Detail geht.
Detjen: Ist der Gedanke, den Sie gerade erwähnt haben, nämlich die Rolle Berlins als Hauptstadt aus den Fingern der bankrotten Berliner Politik herauszulösen, etwa in einem Status wie Washington DC als bundesunmittelbare Körperschaft – ist das ein Gedanke, den die Union noch vertritt?
Bosbach: Nein, das ist nicht meine Idee, das ist nicht mein Gedanke. Ich habe das nur zitiert, weil ein solcher Gedanke auch aus den Reihen der Union, auch aus den Reihen der CDU/CSU-Bundestagfraktion einmal formuliert worden ist. Mir geht es in erster Linie darum, dass wir hier mit Klarheit und Wahrheit operieren und dass jeder sagt, was er sich denn nun an praktischen Konsequenzen vorstellt. Alleine mit einer Änderung des Grundgesetzes werden Sie diese beiden Fragen nicht erschöpfend beantworten können.
Detjen: Herr Bosbach, wir haben im Zusammenhang mit dem Föderalismus über Reformkraft, über Reformfähigkeit des Landes gesprochen. Das kann man am Ende unseres Gesprächs auch noch einmal an anderen Beispielen ganz konkret machen, nämlich am Thema 'Steuerreform’ – das betrifft auch Ihre Partei –, auch am Thema 'Zuwanderungsgesetz’. Beides hat in der zurückliegenden Woche, in den vergangenen Tagen eine Rolle gespielt, und man konnte den Eindruck gewinnen, dass beide großen Reformprojekte zum Ende gekommen sind. Diesen Eindruck hat auch die Union gerade mit verstärkt.
Bosbach: Das kann ich weder für die Steuerreform noch für die Zuwanderung bestätigen. Zum Thema Steuerreform: Wir haben auf dem CDU-Bundesparteitag in Leipzig mit überwältigender Mehrheit fast einstimmig einen Beschluss gefasst für eine Steuerreform, die diesen Namen wirklich verdient, also ein einfacheres, transparentes und damit gerechteres Steuerrecht, für eine Änderung des Steuertarifes, also deutliche Tarifabsenkung, Einführung eines neuen Tarifes, des sogenannten Stufentarifs – allerdings unter gleichzeitiger Streichung von vielen, auch zum Teil sehr komplizierten Ausnahmevorschriften, die das deutsche Steuerrecht jetzt kennt. Es besteht überhaupt keine Veranlassung, diese Ziele aufzugeben. Allerdings haben wir keine Mehrheit im Deutschen Bundestag . . .
Detjen: . . . aber es gab Veranlassung zu fragen, ob die Union noch ein Interesse hat, es in der Praxis durchzusetzen. Frau Merkel hat am Anfang der Woche gesagt, die Steuerreform hat keine Chance mehr. Dann gab es wieder andere Äußerungen. Man wusste nicht, woran man ist mit der Union.
Bosbach: Also, gelegentlich sind in der Tat verwirrende Signale ausgesendet worden, aber ich glaube, dass die Lage klar ist. Wir haben ja auch ein etwas abweichendes Steuerkonzept der CSU . . .
Detjen: . . . das kommt dann noch hinzu . . .
Bosbach: . . das kommt erschwerend hinzu. Wir sind nun einmal zwei Parteien, das unterscheidet uns von der SPD. Die Leute wollen ja nicht wissen, was die Union in Sachen Steuern alles im Angebot hat, sondern was wir machen würden, wenn wir eine Parlamentsmehrheit hätten. Und deswegen brauchen wir ein gemeinsames Steuerkonzept von CDU/CSU so schnell wie möglich. Ich gehe davon aus, dass wir das Anfang/Mitte März auch vorstellen können. Ob es eine Steuerreform gibt, die den Namen auch verdient, hängt allerdings nicht von uns ab. Durch eine bedauerliche Entscheidung der Wählerinnen und Wähler im Herbst 2002 haben wir keine Mehrheit im Deutschen Bundestag. Das hängt nun von der rot-grünen Parlamentsmehrheit ab beziehungsweise von der Haltung der Bundesregierung. Ich kann jetzt nicht abschließend beurteilen, ob es tatsächlich so ist, dass die Bundesregierung ihr Interesse an einer wirklichen Steuerreform aufgegeben hat. Ich befürchte, dass das so sein könnte. Und dann würde es keine Steuerreform geben, das läge dann allerdings nicht an der Union.
Detjen: Die Frage an die Union ist aber auch: Wie werden Sie weiter vorgehen? Es gab ja auch unterschiedliche Einlassungen dazu, ob die Union ihre Vorschläge in einen eigenen Gesetzentwurf gießen wird oder ob es da bei mehr oder weniger unverbindlichen Eckpunkten bleiben wird.
Bosbach: Also ich glaube, dass die Frage noch nicht abschließend jetzt beurteilt werden kann, denn wir müssen ja die Schritte in der richtigen Reihenfolge gehen. Und die Reihenfolge ist zunächst einmal ein gemeinsames Konzept von CDU und CSU. Und dann möge doch bitte einmal die Bundesregierung die Frage beantworten, ob sie denn an einer wirklichen Steuerreform noch interessiert ist. Sie kann dann einen Gesetzentwurf einbringen. Wir könnten auch einen Gesetzentwurf einbringen. Tatsache ist aber, wenn
Detjen: . . . Rüttgers hat das gesagt, der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende . .
Bosbach: . . . genau, mein Landesvorsitzender hat das selber auch vorgeschlagen . .
Detjen: . . . das ist auch Ihre Position, die Union sollte einen Gesetzentwurf einbringen?
Bosbach: Also ich meine, dass zunächst einmal die rot-grüne Bundesregierung am Zuge wäre. Sie wollte Regierung werden, sie ist wieder Regierung geworden. Und wir leben schon in einem schon etwas komischen Zustand, nämlich dass die Bundesregierung täglich die Opposition auffordert, Gesetzentwürfe vorzulegen. Ich habe fast den Eindruck, sie wäre gar nicht traurig, wenn wir die Regierungsgeschäfte übernehmen – solange die in ihren Ämtern bleiben können. Aber es gibt auch gute Gründe für die Vorlage eines Gesetzentwurfes von CDU und CSU, den wir aber nicht alleine im Bundestag durchsetzen können.
Detjen: Herr Bosbach, wir hatten eben noch das zweite Thema angesprochen: Zuwanderung. Ich hatte es angesprochen, weil Sie da ja auch als der für die Innenpolitik zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ihrer Partei sehr involviert waren. Habe ich das falsch verstanden, dass das Thema in den zuständigen Ausschüssen des Bundsrates beerdigt worden ist?
Bosbach: Nein, überhaupt nicht. Wir haben nun mehrere Verhandlungsrunden mit dem Bundesinnenminister und mit den Vertretern der Koalition geführt. Die fünf Verhandlungsrunden, die wir bisher hatten, waren wirklich sehr ausführlich, sehr sachlich und wirklich sehr zielbezogen hin auf eine Einigung von beiden Seiten. Aber wir können leider zum jetzigen Zeitpunkt nicht feststellen, dass die Koalition bereit ist, zumindest die Kernforderungen der Union nach einer deutlichen Begrenzung, nach einer besseren Steuerung der Zuwanderung so weit zu übernehmen, dass das Gesetz aus unserer Sicht zustimmungsfähig werden könnte. Jetzt verhandeln wir darüber, ob mit einer kleineren Runde – mit einer 7er Runde – weiter diskutiert werden soll. Wir werden in den nächsten Tagen dem Innenminister in einem Brief noch einmal deutlich machen, dass Voraussetzung hierfür ist, dass die Bundesregierung einmal zwei Punkte zur Kenntnis nimmt, nämlich: Das Erste ist, Zuwanderung aus demographischen Gründen ohne Arbeitsplatznachweis wird es mit der Union nicht geben. Und das gilt auch für die geplante undifferenzierte Aufhebung des Anwerbestopps von Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten. Auch dieser Punkt ist für uns nicht verhandlungsfähig, weder in großer Runde noch in kleiner.
Detjen: Wir haben ein Jahr mit mehr als einem Duzend Wahlen vor uns. Ist es da überhaupt denkbar, dass solche Themen – Zuwanderung, Steuerreform – in nüchterner Atmosphäre in Fachgremien besprochen werden, oder geraten die da nicht automatisch auf die Straße - in den Wahlkampf?
Bosbach: Wir haben wieder ein Super-Wahljahr mit 14 Wahlen, einer unplanmäßigen in Hamburg und 13 planmäßigen. Aber Herr Detjen, Sie können mir wirklich glauben: Die letzten Verhandlungsrunden sind völlig unabhängig von irgendwelchen Wahlen und Wahlterminen sehr sachlich geführt worden. Und ich glaube auch nicht, dass man sagen kann: Je näher wir an Wahltermine heranrücken, desto schwieriger wird eine Einigung. In Deutschland wird ständig gewählt. Ich kann mich an kein Jahr erinnern, wo wir nicht wichtige Wahlen hatten. Und wenn wir uns davon wirklich beeinflussen lassen würden, kämen wir nie zu einem Ende. Und deswegen sollten wir die Verhandlungen fortsetzen, ganz gleich, wann wo welches Parlament gewählt wird.
Detjen: Herr Bosbach, vielen Dank für das Gespräch.
Wolfgang Bosbach: Das ist ja gerade nicht Gegenstand unserer Beratungen in der Föderalismuskommission. Dafür gibt es einen guten Grund. Das ist ja nicht Aufgabe des Bundesgesetzgebers, sondern Länderneuordnung setzt ja voraus die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger, man kann das nicht über die Köpfe der Bürger hinweg machen. Das ist ja der einzige Punkt in unserem Grundgesetz, wo wir ein plebiszitäres Element eingeführt haben. Und wir hatten ja bereits einen Versuch, zwei Bundesländer zu fusionieren – Brandenburg und Berlin, und die Bürgerinnen und Bürger beider Länder haben das abgelehnt. Aber ich gebe gerne zu, dass es des ungeachtet gute Gründe gäbe für eine Neuordnung der Bundesländer, denn die 16 Länder, die wir jetzt haben, sind sehr unterschiedlich groß und haben eine sehr unterschiedliche Wirtschaftskraft. Vor diesem Hintergrund könnte eine Länderneugliederung Sinn machen.
Detjen: Ist damit nicht aber vielleicht das wesentliche Thema, auch der wesentliche Hemmschuh in der föderalen Ordnung aus dieser Kommission ausgeklammert?
Bosbach: Ja und nein. Wir hätten uns übernommen aus zwei Gründen. Den einen habe ich gerade schon angedeutet, dass wir hier die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger aller Länder brauchen. Und zum anderen gibt es nun viele Vorschläge, die in der Vergangenheit schon gemacht wurden und immer wieder gescheitert sind. Denken Sie mal an den häufigsten Vorschlag, die beiden Länder Saarland und Rheinland-Pfalz zu fusionieren. Das Saarland ist das einzige Bundesland, das aus zwei Volksabstimmungen heraus entstanden ist. Und ich persönlich habe gar nicht die Phantasie, dass es dort eine Mehrheit gäbe in er Bevölkerung für einen Zusammenschluss mit dem Land Rheinland-Pfalz. Und im übrigen glaube ich auch nicht, dass beide Landesregierungen dem zustimmen würden.
Detjen: Aber lassen Sie uns ruhig noch mal bei dem ganz Grundsätzlichen bleiben, bei der ganz grundsätzlichen Frage: Wie zeitgemäß ist eigentlich die Idee einer bundesstaatlichen Ordnung noch? Wenn man mal schaut, wie das angefangen hat 1949: Der Auftrag der Alliierten an die Ministerpräsidenten der Länder damals, einen Staat – Bundesrepublik Deutschland – zu gründen, hatte ja auch damit zu tun, dass man zentrale mächtige Entscheidungsstrukturen in diesem Nachkriegsdeutschland vermeiden wollte. Heute, wenn wir uns die Reformdebatten der Gegenwart anschauen, ist es eigentlich das, wo man das Gefühl hat, das braucht man – stärkere Entscheidungsstrukturen, vielleicht auch stärkere zentrale Entscheidungsstrukturen.
Bosbach: Auf der anderen Seite diskutieren wir auch immer über die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips. Das heißt, die Ebene sollte die Aufgabe wahrnehmen, die ortsnäher ist, die auch näher an den Problemen ist, näher an den Menschen ist. Also, die höhere Ebene soll nur das an Aufgaben und Kompetenzen an sich ziehen, was auf den unteren Ebenen nicht optimal gelöst werden kann. Und ich glaube, dass wir jetzt in einem Spannungsfeld leben. Auf der einen Seite zieht Europa immer mehr Kompetenzen an sich, regelt immer mehr, was früher Bund oder die Länder geregelt haben. Aber auf der anderen Seite gibt es auch eine Renaissance der Regionen, eine Renaissance des Begriffes 'Heimat und Nation’. Europa ist für viele etwas unscharf, und deswegen überlegen wir auch hier in der Kommission sehr ausdrücklich und auch ausführlich, was unbedingt bundesweit einheitlich geregelt werden muss – also so viel Bundeseinheitlichkeit wie notwendig, aber auch so viel Differenzierung, auch so viel Wettbewerb zwischen den Ländern wie möglich
Detjen: Schildern Sie doch einfach mal, an welchem Thema konkret – an welchem Granit – haben Sie sich hier in den letzten Tagen die Zähne ausgebissen?
Bosbach: Das ist höchst kompliziert, und ich glaube sagen zu dürfen, ohne dass ich den Mitgliedern der Kommission jetzt zu nahe trete: Viel weitergekommen sind wir hier auf der Klausurtagung nun wirklich nicht . .
Detjen: . . . was haben Sie denn erreicht?
Bosbach: Hier gelten die beiden politischen Leitsätze. Erstens: Alles hängt mit allem zusammen. Und zweitens: Schwierig wird’s, wenn es ins Detail geht. Wenn Sie mich nach einem Ergebnis fragen würden, könnte ich Ihnen die Frage gar nicht konkret beantworten. Wir haben die Punkte praktisch immer nur so weit angesprochen, bis es ins Detail ging und damit schwierig wurde und auch kontrovers. Denn Sie können hier in der politischen Diskussion der Kommission nicht unterscheiden, wie das traditionell passiert zwischen der Regierung auf der einen Seite und der Opposition auf der anderen Seite, also dem A-Lager und den B-Lagern. Es gibt ganz unterschiedliche Interessen in den unionsgeführten Bundesländern – die kleinen und die größeren, die wirtschaftlich stärkeren und die schwächeren, alte und neue Bundesländer, Unterschiede zwischen der Sichtweise der Landesparlamente und dem Bundesparlament, zwischen der Bundesregierung, aber auch SPD-geführten Bundesländern. Wir haben hier eine richtige Gemengenlage.
Detjen: Was muss man denn tun? Welche Voraussetzungen müssen denn überhaupt zunächst mal geschaffen werden, damit überhaupt die Möglichkeit besteht, diese betoniert wirkenden Interessen zusammenzubringen?
Bosbach: Ich glaube, ein Punkt ist von überragender Bedeutung, er ist sozusagen der 'rote Faden’ unserer Beratungen Die Länder sind bereit, übrigens unterschiedlich, ob SPD- oder unionsgeführt, auf ihre sehr starken Mitwirkungsrechte im Bundesrat weitestgehend zu verzichten – es sind ja fast zwei Drittel aller Gesetze zustimmunspflichtig, sie können also nur in Kraft treten, wenn auch die Mehrheit im Bundesrat zustimmt –, Zug um Zug gegen eine stärkere Politikmöglichkeit in den Ländern. Das heißt, die Länder sind bereit, Einfluss auf die Bundesgesetzgebung zu reduzieren, wollen aber gleichzeitig neue politische Gestaltungsspielräume erhalten. Das heißt, alleine mit den Themen 'Versammlungsrecht’ oder 'Bekämpfung des lokalen Freizeitlärms’, 'Notariatswesen’ – die Themen sind ja alle schon genannt worden – werden sich die Länder ganz, ganz sicher nicht zufrieden geben, sondern sie wollen wirkliche Politikfelder haben, in denen sie eigenständig gestalten können.
Detjen: Gibt es ein einziges Beispiel, wo man sagen kann, da zeichnet sich tatsächlich ab: Hier wird den Ländern etwas wieder- oder zurückgegeben? Sie hatten ja zeitweise am Anfang der Bundesrepublik auch mehr Kompetenzen als heute.
Bosbach: Ich kann das ganz kurz machen. Bei der Rahmengesetzgebung geht es um die Frage, ob wir diesen Gesetzgebungstyp zukünftig überhaupt noch haben wollen, und wenn ja – in welchen Feldern. Bei den Gemeinschaftsaufgaben geht es um die Frage, ob es die Gemeinschaftsaufgaben in dieser Form noch geben soll, und wenn es noch Gemeinschaftsaufgaben in Zukunft geben soll, in welchen Politikbereichen. Man kann ein ganz konkretes Beispiel nehmen – im Bereich des öffentlichen Dienstes, denn die Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, insbesondere die Beamten, sind ja keine Bundesbeamten. Nur etwa 10 oder 11 Prozent der Beamten in Deutschland sind Bundesbeamte, weit überwiegend arbeiten die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in Ländern und in den Gemeinden. In den Länderhaushalten sind über 40 Prozent der Ausgaben Personalausgaben, und deswegen reklamieren die Länder Personalhoheit für sich und wollen viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten haben im Hinblick auf ihr eigenes Personal.
Detjen: Aber gerade bei diesen Themen werden ja auch die unterschiedlichen Interessenlagen, auch die unterschiedlichen Möglichkeiten der Länder immer wieder sehr deutlich. Nehmen wir ein anderes Thema, den Bereich Hochschulbau, der als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern bisher definiert wird. Es gibt reiche Länder – wie Bayern –, die sagen: Das wollen wir wieder ganz in unsere Kompetenz zurück haben. Es gibt andere Länder wie Sachsen, wo der Wissenschaftsminister vorrechnet, wie viel ihn das kosten würde, wenn die Finanzierung des Bundes da wegfallen würde – 80 Millionen Euro sagt der sächsische Wissenschaftsminister. Lassen sich diese Gegensätze – zunächst mal auf der Länderseite, und da geht’s ja jetzt auch um rein unionsregierte Länder – überhaupt zusammenführen?
Bosbach: Das ist möglich, wenn wir immer beides im Auge behalten, nämlich auf der einen Seite die Entflechtung der Aufgaben und auf der anderen Seite die Konsequenzen in den Finanzbeziehungen, die es gibt. Wenn man eine Gemeinschaftsaufgabe nicht mehr als solche definiert, sondern die Aufgabe beispielsweise alleine den Ländern alleine zuordnen würde, käme man sofort zu der nächsten Frage: Was ändert sich dadurch in den Finanzbeziehungen – in den Ausgabenströmen aus Sicht der Länder und in Einnahmeströmen aus Sicht des Bundes. Das heißt, wenn man zu einer Entflechtung der Aufgaben kommt, wird man auch zu einer Neuordnung der Finanzbeziehungen kommen müssen, denn immer sitzen im Hintergrund die Finanzminister des Bundes und der Länder und rechnen ganz genau aus, welche Entscheidung wem wie viel Geld kostet oder bringt.
Detjen: Inwieweit ist das Problem des Föderalismus – wenn wir es konkret betrachten, auch im politischen Prozess betrachten, etwa im Reformprozess Ende letzten Jahres – inwieweit ist das tatsächlich die Verflechtung von Aufgaben und Kompetenzen, oder inwieweit ist es nicht auch die Institution des Bundesrates – Sie haben bereits gesagt, es geht auch darum Mitspracherechte der Ministerpräsidenten im Bundesrat zu reduzieren, also den Bundesrat in seiner Struktur als einen Hemmschuh im Reformprozess in der Bundesrepublik Deutschland zu reformieren?
Bosbach: Die Länder argumentieren etwas anders. Sie sagen: Im Anfang waren die Länder, der Bund ist aus den Ländern heraus entstanden. Und in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben die Länder Stück für Stück Kompetenzen an den Bund abgegeben, Zug um Zug gegen mehr Einfluss auf die Bundesgesetzgebung . . .
Detjen: . . und gegen Geld . . .
Bosbach: . . . und gegen Geld. Und wenn das jetzt wieder teilweise rückabgewickelt werden soll, dann wollen die Länder auch eigenständige Gestaltungsspielräume in wichtigen politischen Feldern zurückerhalten. Ich nehme mal ein ganz praktisches Beispiel: Ein ganz großer Teil der Gesetze sind ausschließlich deshalb zustimmungspflichtige Gesetze, weil dort Verwaltungsverfahren geregelt werden. Und so könnte man sich ja vorstellen, dass der Bund sagt: Wir regeln das Verwaltungsverfahren – damit wird das Gesetz zustimmungspflichtig –, aber wir stellen es den Ländern frei, im jeweiligen Land eine völlig andere Verwaltungsregelung zu organisieren. Dann wäre das Gesetz nicht mehr zustimmungspflichtig, dann wäre es zustimmungsfrei und könnte ohne Mehrheit im Bundesrat auf Bundesebene in Kraft treten. Die Länder sagen: Das können wir uns vorstellen, aber dann möchten wir wieder mehr politischen Gestaltungsspielraum zurückgewinnen.
Detjen: Aber das betrifft ja faktisch die Macht der Ministerpräsidenten. Der Veränderungsprozess, den Sie geschildert haben, hat ja im Ergebnis nicht zu einem Machtzuwachs der Länder, sondern ganz persönlich der Ministerpräsidenten geführt, die sich im Bundesrat auf der Bühne des Bundes – der Bundespolitik – entfalten können. Ist ein Ministerpräsident, ein machtbewusster Ministerpräsident wie Edmund Stoiber bereit, diese Macht auf der Bühne des Bundes abzugeben und sich auf Landespolitik zu beschränken?
Bosbach: Na gut, das ist völlig richtig. Es gibt ja viele Ministerpräsidenten, insbesondere in der Union, die eher als Bundespolitiker wahrgenommen werden denn als Landespolitiker. Sie sind dennoch bereit, Einfluss auf die Bundesgesetzgebung zu reduzieren, wenn sie im Gegenzug wieder auf wirklich wichtigen Politikfeldern eigenständige Gesetzgebungsbefugnis bekommen und sozusagen den politischen Gestaltungsspielraum in ihren Ländern vergrößern können. Und da treffen sich ja zwei Interessen, nämlich die Interessen der Ministerpräsidenten mit den Interessen der Landtage, denn im Bundesrat sitzen ja nicht die Vertreter der Länder im Sinne der Vertreter der Länderparlamente, sondern die Vertreter der Landesregierungen, die Mitglieder des Bundesrates sind. Und deswegen sind ja auch die Vertreter der Landtage Mitglieder hier in dieser Kommission.
Detjen: Sie sind es aber nur in einem verminderten Status, sie sind es, faktisch gesagt, in einem Gästestatus, ebenso die Vertreter der Kommunen. Wäre es nicht wichtig gewesen, gerade die aufzuwerten in dieser Kommission, um sozusagen – bildlich gesprochen – gerade die Ministerpräsidenten in einen Zangengriff der Parlamente nehmen zu können?
Bosbach: Ich habe für das Argument Verständnis, aber es gibt auch zwei wichtige Gegenargumente. Das erste ist: Die Mitwirkungsmöglichkeit in der Kommission ist ja nicht eingeschränkt. Sie haben Rederecht wie jedes andere Kommissionsmitglied auch. Und wir wollen ja die Verfassung ändern, das Grundgesetz. Dafür brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und auch eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat. Und deswegen macht es Sinn, das abstimmungsberechtigt hier nur die Vertreter sind des Bundesrates und des Bundestages, weil ja dort jeweils eine Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Grundgesetzes sichergestellt werden muss. Wir könnten hier, indem wir auch anderen eine Abstimmungsbefugnis geben, ein – in Anführungszeichen – "schiefes Abstimmungsbild" herstellen, was dann in der Länderkammer und im Bundestag keine Entsprechung fände.
Detjen: Es gab ja ohnehin Überlegungen, diese Föderalismusdiskussion auch in einem anderen Forum, in einem anderen Verfahren zu diskutieren. Die Initiative ging ja zunächst von den Ministerpräsidenten einerseits und von der Bundesregierung aus. Die waren ja vor einem Jahr – im Frühjahr 2003 – schon relativ weit. Es gab Papiere von den Ministerpräsidenten, es gab ein Papier der Bundesregierung, in denen sich auch Deckungen abgezeichnet haben. Erst dann hat sich der Bundestag eingeschaltet mit dieser Kommission. Hat das das Verfahren nicht eigentlich noch komplizierter gemacht?
Bosbach: Das Verfahren ist sicherlich komplizierter, je mehr Personen und Institutionen sich an diesem Verfahren beteiligen. Aber hier sind ja nicht nur – mit Verlaub – Interessen der Bundesexekutive und Interessen der Länderexekutiven berührt, sondern insbesondere Interessen der Parlamente des Bundes und der Länder. Wir sprechen hier über Gesetzgebungsbefugnisse, wir sprechen hier über zentrale Politikfelder. Das ist – mit Verlaub – in erster Linie eine Sache der Parlamente und erst in zweiter Linie eine Sache der Exekutive, denn die entscheidenden politischen Weichenstellungen finden ja im Gesetzgebungsprozess statt. Und das ist immer noch Sache der Legislative.
Detjen: Wie frei ist denn diese Kommission, die da tagt, wirklich, grundsätzlich auch ganz neue Gedanken zu denken, zum Beispiel einen Gedanken, der vom Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts kam – in bezug auf den Bundesrat, über den wir geredet haben –, der gesagt hat: Man müsste den Bundesrat eigentlich durch ein ganz neues Gremium ersetzen, durch einen Senat, wie ihn die amerikanische Verfassung kennt?
Bosbach: Ja, das ist erstens ein origineller Gedanke, zweitens dürfte er in der Praxis keine Chance haben. Wir haben auch über dieses Thema hier überhaupt nicht gesprochen. Die Länder haben in unserem Verfassungsgefüge eine sehr starke Stellung, sie sind sich dieser starken Stellung auch bewusst und treten hier aus meiner Sicht verständlicherweise auch sehr bewusst auf. Und deswegen wird es in dieser Hinsicht keine Änderung des Verfassungsgefüges geben, da bin ich ziemlich sicher.
Detjen: Herr Bosbach, es gab im Vorfeld dieser Klausurtagung eine Debatte über den Status der Hauptstadt Berlin. Der Regierende Bürgermeister von Berlin Wowereit hat gefordert, den Hauptstadtstatus im Grundgesetz festzuschreiben. Auch von den Grünen kam eine ähnliche Forderung, verbunden mit der Idee, ein Hauptstadtgesetz zu erlassen. Wurde das in der Kommission diskutiert, und wie ist Ihre Haltung dazu?
Bosbach: Nein, überhaupt nicht. Herr Wowereit hat da vor wenigen Tagen eine publizistische Wunderkerze abgebrannt, und er hat eigentlich einen Gedanken noch einmal aufgewärmt, der weder neu ist noch besonders originell, und der vor allen Dingen so weit unscharf ist, wie es ihm offensichtlich nur um eine Ergänzung des Grundgesetzes geht mit der Behauptung, man müsse die Stellung Berlins stärker im Grundgesetz verankern, um die Hauptstadtfunktion in der Verfassung deutlich hervorzuheben. Das ist ja nett gemeint, aber sagen hätte er eigentlich müssen, dass es ihm ums Geld geht. Das wird er natürlich bestreiten. Er wird sagen, in erster Linie ginge es ihm um die Stellung der Hauptstadt Berlin. Und jeder, der das Geschäft kennt, weiß, dass es am Ende ums Geld geht.
Detjen: Was ja nicht illegitim ist. Das Geld spielt bei allen Diskussionen, die Sie da führen, eine erhebliche Rolle. Aber man kann es ja auch trennen. Es ist ja legitim, das zu trennen und zu überlegen: Wäre es nicht angemessen in einem föderalen Staat, die Frage der Hauptstadt auch in einer Verfassung zu regeln, festzuschreiben.
Bosbach: Ja, dann sollte er es aber auch so sagen und nicht den Eindruck erwecken, als ginge es ihm nicht in erster Linie um das Geld, also um eine stärkere finanzielle Beteiligung des Bundes an den Lasten, die das Land Berlin trägt. Und hier habe ich folgende Bedenken. Das erste ist: Das Land Berlin befindet sich in einer finanziell dramatischen Situation, in einer völlig desolaten Haushaltslage. Und man darf auch als Bund gar nicht den Anschein erwecken, als könne man durch eine solche Änderung des Grundgesetzes nun die desolate Haushaltslage von Berlin lösen. Das Zweite ist: Herr Wowereit erweckt den Eindruck, wenn das Grundgesetz so ergänzt wird, dann gäbe es die Auseinandersetzungen nicht mehr zwischen dem Bund und Berlin, weil dann klar sei, dass der Bund die hauptstadtbedingten Kosten tragen müsse. Dann beginnt allerdings erst der Streit, denn es finden ja regelmäßig Verhandlungen statt, das hat es auch schon zu Bonner Zeiten gegeben: Was sind hauptstadtbedingte Kosten und was nicht. Und das Dritte ist, was mich schon etwas unangenehm berührt, dass nunmehr Herr Wowereit – ob bewusst oder unbewusst, das weiß ich nicht – den Eindruck erweckt, als sei Hauptstadt zu sein für Berlin in allererster Linie eine finanzielle Belastung. Wenn das so ist, dann verstehe ich nicht, wieso sich Berlin darum bemüht, ständig neue Bundesinstitutionen nach hier zu holen, wenn das nur eine Belastung ist. Es ist wahrscheinlich beides, eine finanzielle Belastung, das will ich gar nicht bestreiten, aber doch eine Bereicherung auch für die Stadt. Es sind doch gewaltige Milliarden-Investitionen hier in Berlin getätigt worden durch die Umzugsentscheidung von Bonn nach Berlin. Es sind viele neue Arbeitsplätze hier entstanden, und Herr Wowereit sollte das nicht immer nur unter dem Gesichtspunkt der Belastung bewerten.
Detjen: Aber man kann das ja auch aus einer anderen Perspektive sehen. Man kann sehen, dass gerade der Bund und auch die anderen Länder ein Interesse daran haben könnten, die Aufgaben Berlins als Hauptstadt, die ja die gemeinsame Hauptstadt aller Länder ist, von dieser desolaten Haushaltslage des Landes Berlin abzukoppeln. Auch das könnte ein Effekt sein – eine Regelung, die im Grundgesetz oder in einem Hauptstadtgesetz getroffen werden könnte.
Bosbach: Das ist völlig richtig. Wir hatten ja auch schon mal eine andere Debatte, nämlich ob Berlin nicht eine Art Stellung bekommen soll wie Washington DC in den Vereinigten Staaten . . .
Detjen: . . das war ha ein Vorschlag, der auch aus der Union kam . . .
Bosbach: . . . genau. Dann muss man natürlich sehen, dass das auch politische Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten bedeutet und nicht nur finanzielle Zuwendungen an das Land Berlin. Heute beteiligt sich der Bund ja schon an den sogenannten Hauptstadtlasten der Stadt beziehungsweise des Landes Berlin. Mein Hauptansatzpunkt ist: Wer eine Änderung des Grundgesetzes fordert, möge doch bitte auch sagen, welche Erwartungen oder welche Forderungen er damit verknüpft, damit er nicht den Eindruck erweckt, als ginge es ihm in erster Linie nicht ums Geld. Insofern gilt für diese Klausel im Grundgesetz das, was auch für die Arbeit der Kommission gilt: Kompliziert und richtig schwierig wird es, wenn es ins Detail geht.
Detjen: Ist der Gedanke, den Sie gerade erwähnt haben, nämlich die Rolle Berlins als Hauptstadt aus den Fingern der bankrotten Berliner Politik herauszulösen, etwa in einem Status wie Washington DC als bundesunmittelbare Körperschaft – ist das ein Gedanke, den die Union noch vertritt?
Bosbach: Nein, das ist nicht meine Idee, das ist nicht mein Gedanke. Ich habe das nur zitiert, weil ein solcher Gedanke auch aus den Reihen der Union, auch aus den Reihen der CDU/CSU-Bundestagfraktion einmal formuliert worden ist. Mir geht es in erster Linie darum, dass wir hier mit Klarheit und Wahrheit operieren und dass jeder sagt, was er sich denn nun an praktischen Konsequenzen vorstellt. Alleine mit einer Änderung des Grundgesetzes werden Sie diese beiden Fragen nicht erschöpfend beantworten können.
Detjen: Herr Bosbach, wir haben im Zusammenhang mit dem Föderalismus über Reformkraft, über Reformfähigkeit des Landes gesprochen. Das kann man am Ende unseres Gesprächs auch noch einmal an anderen Beispielen ganz konkret machen, nämlich am Thema 'Steuerreform’ – das betrifft auch Ihre Partei –, auch am Thema 'Zuwanderungsgesetz’. Beides hat in der zurückliegenden Woche, in den vergangenen Tagen eine Rolle gespielt, und man konnte den Eindruck gewinnen, dass beide großen Reformprojekte zum Ende gekommen sind. Diesen Eindruck hat auch die Union gerade mit verstärkt.
Bosbach: Das kann ich weder für die Steuerreform noch für die Zuwanderung bestätigen. Zum Thema Steuerreform: Wir haben auf dem CDU-Bundesparteitag in Leipzig mit überwältigender Mehrheit fast einstimmig einen Beschluss gefasst für eine Steuerreform, die diesen Namen wirklich verdient, also ein einfacheres, transparentes und damit gerechteres Steuerrecht, für eine Änderung des Steuertarifes, also deutliche Tarifabsenkung, Einführung eines neuen Tarifes, des sogenannten Stufentarifs – allerdings unter gleichzeitiger Streichung von vielen, auch zum Teil sehr komplizierten Ausnahmevorschriften, die das deutsche Steuerrecht jetzt kennt. Es besteht überhaupt keine Veranlassung, diese Ziele aufzugeben. Allerdings haben wir keine Mehrheit im Deutschen Bundestag . . .
Detjen: . . . aber es gab Veranlassung zu fragen, ob die Union noch ein Interesse hat, es in der Praxis durchzusetzen. Frau Merkel hat am Anfang der Woche gesagt, die Steuerreform hat keine Chance mehr. Dann gab es wieder andere Äußerungen. Man wusste nicht, woran man ist mit der Union.
Bosbach: Also, gelegentlich sind in der Tat verwirrende Signale ausgesendet worden, aber ich glaube, dass die Lage klar ist. Wir haben ja auch ein etwas abweichendes Steuerkonzept der CSU . . .
Detjen: . . . das kommt dann noch hinzu . . .
Bosbach: . . das kommt erschwerend hinzu. Wir sind nun einmal zwei Parteien, das unterscheidet uns von der SPD. Die Leute wollen ja nicht wissen, was die Union in Sachen Steuern alles im Angebot hat, sondern was wir machen würden, wenn wir eine Parlamentsmehrheit hätten. Und deswegen brauchen wir ein gemeinsames Steuerkonzept von CDU/CSU so schnell wie möglich. Ich gehe davon aus, dass wir das Anfang/Mitte März auch vorstellen können. Ob es eine Steuerreform gibt, die den Namen auch verdient, hängt allerdings nicht von uns ab. Durch eine bedauerliche Entscheidung der Wählerinnen und Wähler im Herbst 2002 haben wir keine Mehrheit im Deutschen Bundestag. Das hängt nun von der rot-grünen Parlamentsmehrheit ab beziehungsweise von der Haltung der Bundesregierung. Ich kann jetzt nicht abschließend beurteilen, ob es tatsächlich so ist, dass die Bundesregierung ihr Interesse an einer wirklichen Steuerreform aufgegeben hat. Ich befürchte, dass das so sein könnte. Und dann würde es keine Steuerreform geben, das läge dann allerdings nicht an der Union.
Detjen: Die Frage an die Union ist aber auch: Wie werden Sie weiter vorgehen? Es gab ja auch unterschiedliche Einlassungen dazu, ob die Union ihre Vorschläge in einen eigenen Gesetzentwurf gießen wird oder ob es da bei mehr oder weniger unverbindlichen Eckpunkten bleiben wird.
Bosbach: Also ich glaube, dass die Frage noch nicht abschließend jetzt beurteilt werden kann, denn wir müssen ja die Schritte in der richtigen Reihenfolge gehen. Und die Reihenfolge ist zunächst einmal ein gemeinsames Konzept von CDU und CSU. Und dann möge doch bitte einmal die Bundesregierung die Frage beantworten, ob sie denn an einer wirklichen Steuerreform noch interessiert ist. Sie kann dann einen Gesetzentwurf einbringen. Wir könnten auch einen Gesetzentwurf einbringen. Tatsache ist aber, wenn
Detjen: . . . Rüttgers hat das gesagt, der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende . .
Bosbach: . . . genau, mein Landesvorsitzender hat das selber auch vorgeschlagen . .
Detjen: . . . das ist auch Ihre Position, die Union sollte einen Gesetzentwurf einbringen?
Bosbach: Also ich meine, dass zunächst einmal die rot-grüne Bundesregierung am Zuge wäre. Sie wollte Regierung werden, sie ist wieder Regierung geworden. Und wir leben schon in einem schon etwas komischen Zustand, nämlich dass die Bundesregierung täglich die Opposition auffordert, Gesetzentwürfe vorzulegen. Ich habe fast den Eindruck, sie wäre gar nicht traurig, wenn wir die Regierungsgeschäfte übernehmen – solange die in ihren Ämtern bleiben können. Aber es gibt auch gute Gründe für die Vorlage eines Gesetzentwurfes von CDU und CSU, den wir aber nicht alleine im Bundestag durchsetzen können.
Detjen: Herr Bosbach, wir hatten eben noch das zweite Thema angesprochen: Zuwanderung. Ich hatte es angesprochen, weil Sie da ja auch als der für die Innenpolitik zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ihrer Partei sehr involviert waren. Habe ich das falsch verstanden, dass das Thema in den zuständigen Ausschüssen des Bundsrates beerdigt worden ist?
Bosbach: Nein, überhaupt nicht. Wir haben nun mehrere Verhandlungsrunden mit dem Bundesinnenminister und mit den Vertretern der Koalition geführt. Die fünf Verhandlungsrunden, die wir bisher hatten, waren wirklich sehr ausführlich, sehr sachlich und wirklich sehr zielbezogen hin auf eine Einigung von beiden Seiten. Aber wir können leider zum jetzigen Zeitpunkt nicht feststellen, dass die Koalition bereit ist, zumindest die Kernforderungen der Union nach einer deutlichen Begrenzung, nach einer besseren Steuerung der Zuwanderung so weit zu übernehmen, dass das Gesetz aus unserer Sicht zustimmungsfähig werden könnte. Jetzt verhandeln wir darüber, ob mit einer kleineren Runde – mit einer 7er Runde – weiter diskutiert werden soll. Wir werden in den nächsten Tagen dem Innenminister in einem Brief noch einmal deutlich machen, dass Voraussetzung hierfür ist, dass die Bundesregierung einmal zwei Punkte zur Kenntnis nimmt, nämlich: Das Erste ist, Zuwanderung aus demographischen Gründen ohne Arbeitsplatznachweis wird es mit der Union nicht geben. Und das gilt auch für die geplante undifferenzierte Aufhebung des Anwerbestopps von Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten. Auch dieser Punkt ist für uns nicht verhandlungsfähig, weder in großer Runde noch in kleiner.
Detjen: Wir haben ein Jahr mit mehr als einem Duzend Wahlen vor uns. Ist es da überhaupt denkbar, dass solche Themen – Zuwanderung, Steuerreform – in nüchterner Atmosphäre in Fachgremien besprochen werden, oder geraten die da nicht automatisch auf die Straße - in den Wahlkampf?
Bosbach: Wir haben wieder ein Super-Wahljahr mit 14 Wahlen, einer unplanmäßigen in Hamburg und 13 planmäßigen. Aber Herr Detjen, Sie können mir wirklich glauben: Die letzten Verhandlungsrunden sind völlig unabhängig von irgendwelchen Wahlen und Wahlterminen sehr sachlich geführt worden. Und ich glaube auch nicht, dass man sagen kann: Je näher wir an Wahltermine heranrücken, desto schwieriger wird eine Einigung. In Deutschland wird ständig gewählt. Ich kann mich an kein Jahr erinnern, wo wir nicht wichtige Wahlen hatten. Und wenn wir uns davon wirklich beeinflussen lassen würden, kämen wir nie zu einem Ende. Und deswegen sollten wir die Verhandlungen fortsetzen, ganz gleich, wann wo welches Parlament gewählt wird.
Detjen: Herr Bosbach, vielen Dank für das Gespräch.