Dienstag, 23. April 2024

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Boy George
Angekommen im Paradies

Er war eines der Popmusik-Gesichter der 80er, danach: Schlagzeilen als Junkie und übergewichtiger Glatzkopf. Jetzt ist Boy George wieder da. Mit neuem Album präsentiert er sich im Deutschlandfunk aufgeräumt und als stolzes Rollenvorbild.

04.02.2014
    Bernd Lechler: Sie haben ja durchaus viel Musik gemacht, die letzten zwanzig Jahre - aber diesmal fühlt es sich wirklich wie ein Comeback an. Sind Sie auch so an das Album rangegangen?
    Boy George: Ich glaube, ich bin diesmal einfach ein anderer. Ich bin viel engagierter bei der Sache. Ich war mit dem Album ja schon auf Tour, und es fühlt sich definitiv anders an. Auch das Publikum: Die Leute scheinen jetzt zuzuhören, statt auf mich als Person fixiert zu sein. Früher war alles, was ich tat, irgendwie überschattet von dem, was aus mir geworden war. Ich war nie einfach nur in einer Band und hab Musik gemacht. Es ging immer auch um das, was der Ruhm mit sich bringt, und um diesen Druck, ganz vielen Aspekten so einer Popkarriere gerecht zu werden. Das war ein Riesenstress. Ich hab auch, als ich jünger war, nie zu irgendetwas mal "Nein" gesagt. Immer nur "okay, okay". Heute sag ich oft "Nein".
    Lechler: Wann, zum Beispiel?
    Boy George: "Willst du um halb sieben aufstehen und im Frühstücksfernsehen besprechen, wie groß dein Hintern ist?" Nee, mach ich nicht. Wenn man erfolgreich ist, wollen halt alle noch mehr Erfolg sehen und so viele Platten verkaufen wie nur möglich. Heute kauft eh keiner mehr Platten, da ist längst nicht mehr so viel Druck, ich hab keine große Plattenfirma - das ganze Setup ist anders.
    Lechler: Haben Sie sich bestimmte Regeln gesetzt, wie das Album werden sollte?
    Boy George: Überhaupt keine. Ich wollte nur nicht so klingen wie die Popmusik von heute. Ich wollte, dass es nach meinen Wurzeln klingt, nach dem, was mich als Teenager beeinflusst hat, nach den 1970er Jahren. Das war das Jahrzehnt, das alles prägt, was ich liebe. Ich finde, durch das ganze Album zieht sich so ein 70er-Jahre-Flavour, viel Reggae, Funk - und es steckt viel David Bowie drin, der sehr wichtig war für mich, und das darf man ruhig hören. Ich wollte ganz ungeniert meine Einflüsse zeigen.
    Lechler: Und Sie waren kein bisschen versucht, etwas Plakativeres zu machen und auf die Charts zu zielen?
    Boy George: Nein. Überhaupt nicht. Ich meine, ich bin ja ein Dance-DJ, und auch da spiele ich nicht das Zeug, das man im Radio hört. Was ich auflege, ist viel dunkler, sexier und verwegener. Und in den oberen Regionen des Pop machen doch zur Zeit alle das Gleiche. Alle machen diesen langweiligen Dancepop nach demselben Muster. Der Break kommt immer an der gleichen Stelle, die Keyboard-Sounds sind die gleichen, genauso dieser komische, automatisierte Gesangseffekt... so was wollte ich einfach nicht machen!
    "Manchmal muss man gar nicht direkt politisch sein"
    Lechler: Im Song "Live Your Life" singen Sie: Man kann nicht zurückspulen. Handelt das von der Kraft der Gegenwart, von der Sie öfter sprechen in letzter Zeit - oder von Reue?
    Boy George: Es geht ums Leben im Moment. Wie sagt man auf Deutsch? Im "Jetzt"! Es gibt einen großen deutschen spirituellen Lehrer, Eckart Tolle, der mich da sehr ermutigt hat. Es gibt nur das Leben im Jetzt. Und mehr noch sagt der Song: Was immer Du bist, wozu immer Mutter Natur Dich gemacht hat - Du musst Dich ganz offen dazu bekennen, dann gibt es dir Kraft. Gerade aus einer schwulen Perspektive. Wenn du ein Junge bist, der gerade entdeckt hat, dass er anders ist als die anderen - damit umzugehen, kann ganz schön schwierig sein. Und ich sag immer allen: Es beginnt damit, dass man sich zu dem bekennt, was man ist. Sich anzunehmen und zu lieben und daraus Kraft zu ziehen, ist ein guter Anfang.
    Lechler: Für diese Haltung standen Sie ja von Anfang an, als selbstbewusstes Vorbild für schwule Jungs - sind Sie stolz drauf?
    Boy George: Sehr stolz. Und es gibt da ja noch viel zu tun. Die Welt ist liberaler geworden, stimmt schon, aber nicht überall. Und als älterer Mann fühle ich mich da auch verantwortlich und hab schon das Bedürfnis, da eine Rolle zu spielen. Musik ist ein ganz guter Weg, diese Dinge anzusprechen.
    Lechler: Kommen Leute auf Sie zu und sagen Ihnen, dass Sie ihnen wichtig sind?
    Boy George: Ständig, ja! Es ist zutiefst schmeichelhaft und macht mich stolz, wenn jemand sagt: "Ich hab dich mit 15 auf MTV gesehen, und da wurde mir klar, dass ich nicht allein bin, dass ich nicht als Einziger anders bin." Das ist schon schön zu hören - so wie ich ja auch mit 13 das erste Mal bei David Bowie im Konzert war und plötzlich das Gefühl hatte, da ist jemand, der mich versteht. Vielleicht stimmte das ja gar nicht, aber für mich als Jungen war das das Licht am Ende des Tunnels.
    Lechler: Dabei waren Sie damals doch gar nicht politisch.
    Boy George: Seh ich nicht so. Man selbst zu sein ist manchmal der politischste Akt überhaupt. Und zu sich zu stehen. Man kann auf viele Arten politisch sein. Neulich erzählte mir jemand, dass Cher eine Konzertanfrage aus Russland bekam - und abgelehnt hat. Ich glaube, wenn Cher hingegangen wäre und eine Riesenshow abgeliefert hätte, mit vielen Kostümwechseln - das hätte eine total politische Sache sein können. Sie hätte viele schwule russische Kids richtig glücklich gemacht. Manchmal muss man gar nicht direkt politisch sein und kann trotzdem etwas tun, was die Menschen berührt.
    "Platte ist Tribut an meine Abkehr von den Drogen"
    Lechler: Ich war bei Ihrem neuen Album nicht zuletzt davon beeindruckt, wie gut Ihre Stimme klingt. Auch wenn sie ein bisschen rauchiger geworden ist. Müssen Sie sich da manchmal sorgen? Sie haben ja lange Zeit nicht besonders gesund gelebt...
    Boy George: Nein, meine Stimme ist ziemlich gut in Form. Ich mag, wie sie klingt, ich hab vor drei Jahren aufgehört zu rauchen, was enorm geholfen hat. Es ist eine ältere, erfahrenere Stimme - eben die, die ich nun mal habe. Wäre doch unsinnig, wenn ich sie nicht mögen würde!
    Lechler: Ist das jetzt ein großer Teil Ihres Lebens: Auf dem Pfad der Tugend bleiben, clean bleiben, schlank bleiben, all das?
    Boy George: Ja. Nicht so sehr, was die schlanke Linie betrifft, aber clean bleiben ist sehr, sehr wichtig. Ich meine, dieses Album ist von vorn bis hinten ein Tribut an meine Abkehr von den Drogen. Anders hätte ich es unmöglich hinbekommen.
    Lechler: Wieso? Sie haben früher doch auch Platten gemacht.
    Boy George: Aber nicht so eine.
    Lechler: Was ist der Unterschied?
    Boy George: Es ist eine gute Platte!
    Lechler: War etwas Spezielles passiert, dass Sie irgendwann gesagt haben: Ich hör auf mit den Drogen?
    Boy George: Ich kann Ihnen das genau Datum sagen, an dem ich mich besonnen habe. Das war der 2. März 2008. Da fing das an, da hab ich gesagt: Wisst ihr was, mein Leben ist wichtig. Und was ich tue, ist wichtig. Und ich muss jetzt mit diesem Mist aufhören. Da hab ich angefangen, mein Haus in Ordnung zu bringen, wenn man so will.
    Lechler: Was war an diesem Tag passiert?
    Boy George: Ich wurde nüchtern.
    Lechler: Schon klar, aber warum gerade da - ging dem etwas voraus?
    Boy George: Nein! Nein, es reichte einfach. Ich wachte auf und dachte: Ich hasse mein Leben. Ich hasse, was ich tue. Und ein guter Freund von mir kam und nahm mit zu einem Treffen einer Suchthilfegruppe mit. Und ab da hab ich gemerkt: Das will ich, ich will auch diese Freude, die kommt, wenn man clean ist. Und alles, was ich heute habe, hat definitiv damit zu tun.
    "Was ich heute tue, ist das Paradies!"
    Lechler: War es dann nicht gefährlich, DJ zu sein? Die Clubkultur ist ja auch eine Drogenkultur - haben Sie sich da nicht in die Höhle des Löwen begeben?
    Boy George: Als ich mit dem Auflegen anfing, fand ich’s nicht wegen irgendwelcher Versuchungen schwierig - sondern weil die Leute so nerven, wenn sie betrunken sind oder high! Man denkt: Oh Gott, war ich auch so? Ich fragte einen Freund, der auch DJ und früher abhängig gewesen war: "Wird das irgendwann leichter?" Und er sagte: "Ja. Halt einfach durch, und irgendwann stört’s dich nicht mehr." Und genau so kam’s. Aber das Wichtigste ist: Ohne Drogen bin ich ein viel besserer DJ! Ich bin gerade richtig gut, ich hab eine Riesenfreude daran - also, da spricht einfach nichts mehr für Alkohol oder Drogen. Das spürt auch jeder, der kommt.
    Lechler: Sind Sie jetzt also "angekommen"?
    Boy George: Ach, es ist einfach, dass ich genieße, was ich tue, und Spaß dran habe. Alles ist neu, ich hab mein Management gewechselt, und ich arbeite mit Leuten, die mich nehmen, wie ich heute bin, und nicht von dem besessen sind, was ich war. Weil - das war ich damals ja schon nicht! Was die Leute in den 80ern alles von mir dachten, war so unsinnig, wie es manchmal heute noch ist. Mit Leuten zu arbeiten, die mögen und auch begreifen und verstehen, was ich heute tue - das ist das Paradies!