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Brand (CDU) zum Lübcke-Prozess
"Der Rechtsextremismus steht in der Tür"

Michael Brand, CDU-Bundestagsabgeordneter und persönlicher Freund des ermordeten Walter Lübcke, hat zum Auftakt des Prozesses gegen den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten vor Rechtsextremismus als "größte Gefahr im extremistischen Bereich in Deutschland" gewarnt.

Michael Brand im Gespräch mit Christine Heuer | 16.06.2020
Prozessauftakt im Fall des nordhessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke: Markus H. (M) ist wegen Beihilfe zum Mord an dem Politiker angeklagt
Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen hat am Dienstag vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt der Prozess um die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke begonnen. Markus H. (M) ist wegen Beihilfe zum Mord an dem Politiker angeklagt. (dpa / Getty Images Europe / Pool)
Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen hat vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt am Main der Prozess um die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke begonnen. Der Generalbundesanwalt wirft dem Hauptverdächtigen vor, Lübcke aus rechtsextremistischen Motiven erschossen zu haben. Der mutmaßliche Mörder soll sein Verbrechen mehrere Jahre vorbereitet haben. Mitangeklagt wegen Beihilfe zum Mord ist ein 44-jähriger Mann. Er soll unter anderem den Kauf der späteren Tatwaffe ermöglicht haben.
Lübcke hatte sich als Regierungspräsident für die Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt. Juristisch wie politisch weist der Fall weit über sich hinaus. Weitere dem Angeklagten zugeschriebene Taten und Verbindungen zum NSU-Komplex werden Hessens Richter und Politiker noch länger beschäftigen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand war ein langjähriger persönlicher Freund von Walter Lübcke und beim Prozessauftakt dabei. Er sagte im Dlf, die Familie von Walter Lübcke verdiene jegliche Unterstützung, denn die Heimtücke der Tat, mache viele bis heute unfassbar.
Der Stuhl auf der Ehrentribühne, der für den erschossenen Kasseler Regierungspäsidenten Walter Lübcke reserviert war, ist am Tag des Festumzugs mit einem Foto und einem Blumenstrauß geschmückt. Der Festumzug markiert auch in diesem Jahr wieder das Ende des Hessentages.
Ein Jahr nach Mord an Walter Lübcke
Mit einem Kopfschuss wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke am 1. Juni 2019 vor seinem Haus getötet. Als Hauptverdächtiger und Komplize gelten der Neonazi Stephan E. und sein Freund Markus H. Die Hintergründe der Tat.
Christine Heuer: Herr Brand, das muss ein schwerer Tag für Sie gewesen sein. Wie schwer genau?
Michael Brand: Ja, es war wirklich ein schwerer Tag, weil natürlich viele Gedanken mir durch den Kopf gingen, Begegnungen mit Walter auch kurz vor dem Mord. Aber besonders schwer war es heute für die Familie, das erste Mal den Tätern gegenüberzutreten, und das ist das eigentlich Bewundernswerte für mich heute, mit welcher Kraft, weil ich weiß, wie schwer es ihnen gefallen ist, sich dort hinzustellen im Gerichtssaal und mit Haltung für Walter ein Zeichen zu setzen und vor allen Dingen auch für die Werte, für die er sein ganzes politisches Leben eingestanden hat. Das hat mich heute sehr berührt.
"Es ging darum, den Tätern ins Auge zu schauen"
Heuer: Sie haben es gerade geschildert: Da stand die Witwe von Walter Lübcke, da standen seine Söhne – aufrecht, die Angeklagten ihnen direkt gegenüber -, und die Familie hat diese Angeklagten fixiert, hat ihnen stundenlang versucht, in die Augen zu gucken. Auf welche Reaktionen haben die denn gehofft?
Brand: Ich glaube, es ging weniger um eine Reaktion, die man sich erhofft hat, sondern darum, den Tätern ins Auge zu schauen und das klare Signal zu geben, dass man sich nicht wegduckt und dass man für die Werte steht, für die der eigene Ehemann und Vater sein ganzes politisches Leben eingetreten ist.
Heuer: Mit welchen Gefühlen sind Sie heute nach diesem ersten Prozesstag aus dem Gericht gegangen?
Brand: Ich bin vor allen Dingen heute als Freund in den Gerichtssaal gekommen, einfach um eine moralische Unterstützung und Beistand zu geben während des Prozesses mit Blickkontakten, mit Gesprächen in der Verhandlungspause. Das war das Wichtige für mich.
Der Täter interessiert mich, ehrlich gesagt, wenig. Es berührt mich auch nicht diese kriminelle Laufbahn, die dort eingeschlagen worden ist und die sich immer mehr radikalisiert hat. Was mich wirklich berührt und bewegt hat, nach Frankfurt zu kommen, ist die Familie, weil die hat jegliche Unterstützung verdient, denn das, was dort passiert ist, dass ein so blühendes Leben heimtückisch und geplant ausgelöscht worden ist, das macht mich wie viele bis heute unfassbar.
Schatten von Menschen, Text: Rechtsextremismus
Heuer: Trotzdem haben auch Sie heute erstmals die Angeklagten persönlich erlebt. Wie war das für Sie?
Brand: Für mich war zum Teil unerträglich, wie die Anwälte der dringend Tatverdächtigen hier versucht haben, durch Anträge, durch Interventionen sich selbst zum Opfer zu stilisieren, und das angesichts der Opferfamilie. Das muss ich sagen, das war an Zynismus kaum zu überbieten.
Ich finde, dass man auch im Gerichtssaal angesichts der Opfer dann so ein Schauspiel abzieht, das ist wirklich schwer erträglich gewesen.
"Es ist eine Tat gegen den Staat und gegen die Art, wie wir leben"
Heuer: Stephan Ernst hat heute jede Aussage verweigert. Der mit angeklagte Markus H. hat sich nicht einmal erhoben, als die Richter den Saal betraten. Das ist ja eigentlich üblich. Was sagt Ihnen ein solches Verhalten über die Haltung der Angeklagten zur Tat und vielleicht auch zu unserem Staat?
Brand: Der mutmaßliche Täter hat ja eine ganze Latte von Taten vorher schon begangen und Angriffe, die er durchgeführt hat. Insofern ist völlig klar, dass da eine kriminelle Karriere dahinter steckt. Aber ich glaube, man darf nicht übersehen, dass wir uns in einer Zeit bewegen, wo das erste Mal – und das ist die Zäsur – mit dem Mord an Walter Lübcke ein Repräsentant unseres Staates von Rechtsextremisten ermordet worden ist.
Wir hatten nach der Tat in Istha die Taten in Halle und in Hanau und das muss wirklich dem Letzten auch vor Augen führen, dass der Rechtsextremismus nicht vor der Tür steht, sondern in der Tür steht. Deswegen ist es auch ganz wichtig zu sehen: Es ist nicht allein der Mord an Walter Lübcke, sondern es ist der Mord, der uns alle betrifft und der uns alle angeht, weil es hätte jeden treffen können, und es ist eine Tat gegen den Staat und gegen die Art, wie wir leben, für eine offene Gesellschaft, für Demokratie, für Rechtsstaatlichkeit. Dafür hat Walter Lübcke gestanden und dafür ist er ermordet worden, für die Werte, für die er eingestanden ist. Deswegen ist es auch ein Angriff gegen uns alle.
02.07.2019, Baden-Württemberg, Karlsruhe: Stephan E., Tatverdächtiger im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, wird nach einem Haftprüfungstermin beim Bundesgerichtshof (BGH) zu einem Hubschrauber gebracht. Foto: Uli Deck/dpa | Verwendung weltweit
Mord an Walter Lübcke: Welche Rolle spielte der NSU in Hessen?
Die Hintergründe des Mordes an dem früheren Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke sind unklar: Gab es neben dem mutmaßlichen Täter E. und dessen mutmaßlichen Mitwisser Markus H. auch Verbindungen zum rechten NSU?
Heuer: Der mutmaßliche Täter war viele Jahre als Rechtsextremist im Fokus der Behörden. Er galt dann aber als "abgekühlt", obwohl er es, wie wir heute wissen, überhaupt nicht war. Haben die Ermittler Fehler gemacht, ohne die Walter Lübcke vielleicht heute noch leben würde?
Brand: Erstens muss man sagen, die Ermittlungsbehörden haben eine sehr gute Arbeit gemacht, dass überhaupt der Täter dingfest gemacht werden konnte durch die DNA-Analyse, und es war wirklich ein Glück, dass die DNA noch nicht gelöscht wurde. Die hätte zwei Monate später gelöscht werden müssen. Insofern ist natürlich auch der Prozesstag heute ein wichtiges Signal, dass der Staat wehrhaft ist.
"Die größte Gefahr im extremistischen Bereich in Deutschland ist der Rechtsextremismus"
Heuer: Herr Brand, aber trotzdem: Der Täter war auffällig und ist dann aus dem Fokus geraten.
Brand: Ja, das wäre mein zweiter Satz gewesen, dass die rechtsextremistische Gefahr in den letzten Jahren unterschätzt worden ist. Das sehe ich so und in den letzten Monaten auch nach dem Mord sind viele Anstrengungen unternommen worden.
Aber man muss eins sagen: Mit dem Mord an Walter Lübcke ist auch deutlich geworden, dass diejenigen, die dann vielleicht fünf Jahre nicht mehr auffallen als Rechtsextremisten, dass man daraus als Sicherheitsbehörden nicht die Schlussfolgerung ziehen darf, Akte weg und da passiert nichts, sondern es ist eine ähnliche Radikalisierung wie im Islamismus. Da gibt es wirklich große Ähnlichkeiten: Abgeschlossenes Weltbild, keine Toleranz und zu allem bereit. Deswegen gibt es keine Entwarnung, sondern die größte Gefahr im extremistischen Bereich in Deutschland ist der Rechtsextremismus.
Heuer: "Akte weg" ist ein gutes Stichwort, Herr Brand, weil ich wollte Sie auch fragen, ob nicht nur die Ermittler, sondern vielleicht auch die Politik, vielleicht auch die Landesregierung in Hessen da Fehler gemacht hat. Wir haben ja nach den NSU-Urteilen zum Beispiel erfahren, dass der Ministerpräsident Volker Bouffier von Ihrer Partei die NSU-Akten für 120 Jahre wegschließen wollte.
Brand: Ich habe kein Verständnis dafür, dass eine Akte 120 Jahre weggeschlossen werden soll. Deswegen ist es ja im Übrigen korrigiert worden. Auch dort, muss man sagen, sind Fehler gemacht worden. Ich würde sagen, das ist nicht nur ein hessisches Problem, aber zugegebenermaßen gibt es eine Reihe von Ereignissen in Hessen, die einen nicht zum Schluss kommen lassen dürfen, man hätte dort kein Problem.
Aber ich würde davor warnen zu sagen, es gibt ein hessisches Problem, sondern wir haben regionale Netzwerke über ganz Deutschland verteilt. Da gibt es losere und geschlossenere und deswegen bedarf es eines hohen Aufwands, personell bei den Sicherheitsbehörden und auch mit den entsprechenden technischen Mitteln, den Extremismus und Kriminalität zu bekämpfen und die Täter dingfest zu machen. Insofern würde ich mir auch bei mancher aktuellen Bundestagsdebatte – wir beraten gerade über das Bundespolizeigesetz, über das Verfassungsschutzgesetz – wünschen, dass man bei den Parteien auch Rituale überspringt, auch bei denen, die sagen, na ja, Speicherung, Online-Durchsuchung brauchen wir nicht.
Der Fall Lübcke ist das beste Beispiel dafür. Zwei Monate später hätten wir wegen der Speicherfristen den Täter nicht mehr dingfest machen können. Insofern braucht es auch hier Aktionen von allen Beteiligten in den Parlamenten, von allen Demokraten.
Blick in einen Gerichtssaal in Frankfurt am Main, wo der Prozess gegen die Angeklagten im Mordfall Walter Lübcke verhandelt wird. 
Schwieriger Start in den Lübcke-Prozess
Der Prozess im Mordfall Walter Lübcke ist von großem öffentlichen Interesse. Der Prozess werde hoffentlich Klarheit schaffen, ob die Angeklagten Teil eines überregionalen Netzwerks seien, meint Ludger Fittkau.
"Es gibt auch moralische Mittäter"
Heuer: Sie selbst haben ja nach der Tat Hass und Hetze und auch die AfD mitverantwortlich gemacht für die Ermordung Ihres Freundes und Parteikollegen. Inzwischen stehen große Teile dieser Partei unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Hoffen Sie, Herr Brand, auf ein Ende der AfD oder wenigstens auf ein Ende ihrer radikalen oder der radikalsten Teile?
Brand: Ich habe keine Illusion. Die AfD ist im Kern eine radikale extremistische Partei. Das heißt nicht, dass das gleich jeder Wähler ist, aber das nicht sehen zu wollen, das ist aus meiner Sicht eine riesen Bedrohung, wenn man das einfach zur Seite schiebt. Es gibt auch moralische Mittäter und das muss man einfach aussprechen. Da gibt es klammheimliche, offene Freude, da gibt es Mitwisser, da gibt es Mittäter, und es gibt ein Umfeld, das geschaffen wird, das solche Taten erst möglich macht.
Deswegen gibt es eine klare Linie von der Hetze, von der massiven Hetze und dem jahrelangen Aufheizen von Höcke und Co. zu diesem Mord und zu anderen Taten. Und die Antwort darauf kann nur sein, die AfD politisch zu bekämpfen und gleichzeitig natürlich überall, wo Extremismus ist, jeder an seiner Stelle eingreift, da wo Hass startet, ob am Arbeitsplatz, im Verein oder in der Familie, weil der Fall Lübcke gezeigt hat, dass am Ende aus Worten Taten werden. Deswegen ist diese Gefahr nicht zu unterschätzen. Die Gefahr ist nach wie vor da.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.