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Brasiliens Kultur unter Bolsonaro
Wie es ihm gefällt

Er schaffte das Kulturministerium ab, will die Filmförderung kürzen und stört sich an queeren Fernsehserien: Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro nutzt die Kulturpolitik für seine ultrarechte Agenda. Brasiliens Kulturszene beklagt Zensur - und die Justiz schreitet ein.

Von Victoria Eglau | 29.09.2019
Durch eine schmale Lücke zwischen zwei Personen im Vordergrund ist Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro zu sehen. Vor ihm stehen mehrere Mikrofone.
Hat der Filmbranche den Krieg erklärt: Brasiliens ultrarechter Präsident Jair Bolsonaro (imago/ Joedson Alves)
"Das Brasilien Bolsonaros" - so der Titel der September-Ausgabe der französischen "Cahiers du Cinéma". Die einflussreiche Zeitschrift sorgt sich um das brasilianische Kino - ebenso wie dieses um sich selbst. Denn der ultrarechte Präsident Jair Bolsonaro hat der dynamischen Filmbranche den Krieg erklärt. Die nationale Filmagentur ANCINE soll im kommenden Jahr fast 43 Prozent weniger Geld zur Verfügung haben, um Kino- und TV-Produktionen zu finanzieren - so sieht es ein Gesetzentwurf der Regierung vor.
Nach Bolsonaros Vorstellungen sollen nur noch Filme staatlich gefördert werden, die mit seiner konservativen, religiös beeinflussten Moral vereinbar sind. Bolsonaro hat einen ideologischen "Filter" für die Vergabe von Geldern gefordert und wünscht sich für die nationale Filmagentur einen Direktor mit - Zitat - "evangelikalem Profil". Cláudia Laitano, Kulturjournalistin von der brasilianischen Tageszeitung "Zero Hora":
"Die politische Bewegung der Ultrarechten hat erkannt, dass sie mit Kontroversen über die Kultur bei ihrer Basis punkten kann. Und das sehen wir jetzt auch bei Präsident Bolsonaro. Seit er im Amt ist, hat er sich auf die Kultur eingeschossen, weil er weiß, dass er damit seine Anhänger mobilisieren kann."
Bolsonaro legte Veto gegen Förderung ein
Innerhalb der brasilianischen Kulturbranche ist die Filmwirtschaft bislang am stärksten von der Offensive der Regierung betroffen, weil sie besonders abhängig von öffentlichen Geldern ist. Und Bolsonaro lässt keinen Zweifel daran, welche Produktionen nicht mehr unterstützt werden sollen: In einem über die sozialen Netzwerke verbreiteten Video kritisierte er eine Reihe geplanter Fernsehserien mit LGBTQ-Inhalten - er habe sein Veto gegen die Förderung eingelegt. Auch wurden bereits zugesagte Gelder für zwei Kinofilme mit Gender-Thematik gestrichen. Es gibt noch weitere Beispiele für Eingriffe von oben - Filmemacher, Produzenten und andere Kulturschaffende prangern Zensur an. Der Schriftsteller Luíz Ruffato über den brasilianischen Präsidenten:
"Er hat ja gesagt, was er vorhatte - aber wir hätten nicht gedacht, dass sich die Situation der Kulturschaffenden so schnell verschlechtern würde. Finanzielle Ressourcen gehen ebenso verloren wie kulturelle Räume. Und Politiker üben Zensur aus. Personen, die wie Bolsonaro voller Ressentiments sind, können abweichendes Denken nicht tolerieren."
Der Schriftsteller Luiz Ruffato am 14.03.2012 bei der Präsentation eines Buches "Sao Paulo" in Sao Paulo, Brasilien
Der Schriftsteller Luíz Ruffato sieht sich in der Pflicht, gegen den kulturfeindlichen Kurs der Regierung Stellung zu beziehen (Fabio Guinalz/Fotoarena/imago)
Über Intoleranz, Homophobie und Rassismus in Brasiliens Gesellschaft sprach Ruffato bereits 2013 in seiner aufsehenerregenden Rede zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse. Diese Tendenzen hätten Bolsonaro an die Macht gebracht, erklärt der Autor, aber auch andere rechte Politiker wie den Bürgermeister von Rio de Janeiro, Marcelo Crivella. Der evangelikale Pastor machte Anfang September internationale Negativ-Schlagzeilen, weil er einen Comic mit schwulem Inhalt von der Buchschau "Bienal do Livro" entfernen lassen wollte.
Es regt sich Protest, aber nicht genug
Den Zensurversuch verhinderte jedoch die Justiz von Rio. Kulturjournalistin Cláudia Laitano zieht eine Parallele zu einem Fall in ihrer Heimatstadt Porto Alegre: Dort verfügte der Stadtrat kürzlich die Schließung einer Cartoon-Ausstellung in seinem Gebäude, weil sie auch Bolsonaro-kritische Karikaturen enthielt. Doch die Justiz ordnete die Wiedereröffnung an.
"Es hat - in beiden Fällen - starke Reaktionen der Zivilgesellschaft gegeben, die zu Ergebnissen geführt haben. Und auch ein Teil der Justiz reagiert und bemüht sich darum, Zensur zu verhindern."
In Rio de Janeiro war es der bekannte Youtuber Felipe Neto, der eine spektakuläre Aktion gegen die Comic-Zensur des Bürgermeisters startete: Der erfolgreiche Jungunternehmer kaufte bei der "Bienal do Livro" kurzerhand mehr als vierzehntausend Bücher mit LGBTQ-Thematik und verschenkte sie an das Publikum. Es regt sich also Protest gegen die Kultur-Gängelung rechter und religiöser brasilianischer Politiker. Aber nicht genug, findet Luíz Ruffato:
"Insgesamt ist der Widerstand der Kulturwelt und der Gesellschaft gegen Bolsonaros Regierung noch sehr schüchtern. Es herrscht so etwas wie eine lähmende Fassungslosigkeit."