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Bremsmanöver auf dem Weg zur Reform

Selbst wenn Irland dem Lissabon-Vertrag zustimmen sollte, müssen die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder ihr Reformwerk einmal mehr in den Wartesaal schicken: Tschechien tritt auf die Bremse und Großbritanniens Verhalten ist unkalkulierbar.

Von Volker Finthammer, Ursula Welter und Martin Zagatta | 01.10.2009
    Kein gutes Geschäft für den Akkordeon-Spieler. Die meisten Passanten hasten an dem Straßenmusikanten genauso vorbei wie an einem Informationsstand, den Gegner des Lissabon-Vertrages hier in der Grafton Street, in der Dubliner Fußgängerzone, aufgebaut haben.

    "Der Lissabon-Vertrag rettet unsere Wirtschaft nicht – ganz im Gegenteil","

    behauptet der junge Mann, der Flugblätter verteilt. Auf denen wird dazu aufgerufen, mit Nein zu stimmen. Doch anders als vor einem Jahr stehen die Vertragsgegner diesmal offenbar auf verlorenem Posten. Hatten fast 54 Prozent beim ersten Referendum das umstrittene Dokument abgelehnt und die EU damit in eine Krise gestürzt, so deutet nun alles darauf hin, dass der Lissabon-Vertrag im zweiten Anlauf am morgigen Freitag in Irland jetzt doch gebilligt wird.
    ""Ich stimme wohl mit Ja. - Hoffentlich gibt es eine Mehrheit für den Vertrag. - In der Tat: ein starkes, vereintes Europa könnte uns in dieser Situation helfen"."

    Der letzten Erhebung der "Sunday Business Post" zufolge wollen mindestens 55 Prozent der Iren nun für den EU-Vertrag stimmen, nur 27 Prozent dagegen. Der Stimmungsumschwung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Finanzkrise die grüne Insel besonders hart getroffen hat. Aus dem keltischen Tiger ist innerhalb kürzester Zeit ein Staat geworden, der auf 15 Prozent Arbeitslosigkeit zusteuert.

    Die Wirtschaft wird nach Prognosen der OECD in diesem Jahr um zehn Prozent schrumpfen. Das Argument, dass Irland ohne Milliardenhilfen der EU und ohne die Zugehörigkeit zum Euro-Raum vor dem Bankrott stehen würde, zeigt Wirkung. Auch wenn die Gegner des Lissabon-Vertrages von einer "Angst- und Schrecken-Kampagne" sprechen.

    ""Die irische Regierung und die Ja-Kampagne terrorisieren die Leute – in dem sie sie mit Hinweis auf die katastrophale Wirtschaftslage drängen, dem Lissabon-Vertrag zuzustimmen, mit der falschen Behauptung, das würde uns aus der Wirtschaftskrise heraushelfen","

    klagt Joe Higgins, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei und Europa-Abgeordnete. Von den im irischen Parlament vertretenen Parteien ist aber nur die kleinere Sinn Fein gegen den Vertrag. So war es der Regierung von Premierminister Cowen ein Leichtes, trotz des Neins der Bevölkerung ein zweites Referendum anzusetzen. Die neuerliche Abstimmung wurde über einen Parlamentsausschuss auf den Weg gebracht, in dem nur zwei Vertragsgegner vertreten waren.

    Außerdem hat sich Irlands Regierung in Brüssel inzwischen garantieren lassen, dass Dublin einen ständigen EU-Kommissar behalten darf, die Kommission also doch nicht verkleinert wird, und dass Irlands Abtreibungsverbot, Steuerpolitik und Neutralität nicht angetastet werden. Die "völlig übertriebenen Bedenken" der Vertragsgegner, so Premierminister Brian Cowen, seien mehr als ausgeräumt.

    ""Im dem Lissabon-Vertrag ist nichts, was unsere Steuerhoheit einschränkt, nichts von diesen düsteren Vorstellungen von europäischen Armeen oder der Verpflichtung, an Militäreinsätzen weltweit teilnehmen zu müssen. Diese bösen Katastrophen-Szenarien von einem machtlosen Irland, das von einem heimtückischen Europa übernommen wird, sind doch Unsinn"."

    "Von wegen", heißt es bei den Vertretern der Nein-Kampagne, die allerdings bei der Europawahl im Juni, bis auf Joe Higgins, allesamt am Wählervotum gescheitert sind. Schon damals wurde dies als Hinweis gewertet, dass es die Vertragsgegner kaum noch einmal schaffen würden, eine Mehrheit hinter sich zu bringen. Sie werfen Brüssel jetzt vor, die Zustimmung der Iren regelrecht zu erkaufen. Dass EU-Kommissionspräsident Barroso bei seinem Dublin-Besuch kürzlich ein Hilfspaket von fast 15 Millionen Euro für die arbeitslos gewordenen Beschäftigten einer Computer-Fabrik angekündigt hat, nennt Declan Ganley, der Wortführer der "Nein-Kampagnen", ein plumpes Manöver. Unglaublich, so schimpft der Unternehmer, wie sich die EU und die Regierung Cowen über das erste "Nein", über das Votum der Iren, hinwegsetzten.
    ""Das ist eine Verhöhnung der Demokratie, dass man uns über genau dasselbe noch einmal abstimmen lässt. An dem Vertrag ist nicht ein Komma geändert worden. Damit wird in mehr als 60 wichtigen Bereichen die Entscheidungsbefugnis nach Brüssel abgegeben. Die EU wird de facto ein Superstaat, ohne dass das zugegeben wird. Das dient weder Irland noch der EU. Irland ist pro-europäisch, aber das ist ein schlechter Vertrag für Europa und ein sehr schlechter für Irland"."

    Declan Ganley, der bei dem Referendum im vergangenen Jahr als machtvoller Kampagnenchef gefeiert wurde, hatte sich nach seiner vergeblichen Kandidatur für das Europaparlament im Juni bereits aus der Politik verabschiedet. Drei Wochen vor dem neuerlichen Referendum in Irland meldete er sich nun aber wieder zurück und das habe, so meint Deaglan de Breadan von der "Irish Times", den Lissabon-Gegnern doch ein wenig Auftrieb beschert.

    ""Ich glaube nicht, dass das der Nein-Kampagne zur Mehrheit verhelfen wird. Aber im Gegensatz zu den meisten Vertragsgegnern hat Ganley immer beteuert, dass er pro-europäisch ist. Das verschafft ihm Gehör bei den Leuten, die grundsätzlich in der EU bleiben wollen, aber denen die Integration zu weit geht und die Macht, die Brüssel hat"."

    Da die Zustimmung zu dem Vertrag als sicher gilt, wird erwartet, dass viele der Iren sich diesmal erst gar nicht an der Abstimmung beteiligen. Davon könnten die "Nein-Sager" profitieren. Als weiterer Unsicherheitsfaktor gilt der Unmut über die Regierung. Die Wirtschaftskrise, Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen haben Premierminister Cowen so unpopulär gemacht wie kaum einen seiner Vorgänger.

    ""Mir gefällt einfach nicht, was die Regierung macht. Um ehrlich zu sein: Ich traue denen nicht. Ich werde wieder mit Nein stimmen, so wie ich das beim ersten Mal getan habe"."

    Die Stimmung hat sich in den zurückliegenden Wochen zwar etwas gebessert. Der jüngsten Umfrage der "Irish Times" sind aber immer noch 81 Prozent der Iren mit ihrer Regierung unzufrieden. Da könnte, hoffen die Vertragsgegner, die Versuchung doch noch groß sein, dem Premierminister bei dem Referendum mit einem neuerlichen Nein einen Denkzettel zu verpassen. Den Vorhersagen zum Trotz, dass die Iren diesmal mit "Ja" stimmen werden.

    Aber auch mit einem solchen "Ja" der Iren zum Lissabon-Vertrag wäre die Kuh noch nicht vom Eis.

    Zwar hat Deutschland inzwischen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seine Begleitgesetze eingebaut, Vorgaben, die die Richter Ende Juni so formuliert hatten:

    ""… das Grundgesetz sagt ‚Ja’ zum Lissabon Vertrag, verlangt aber auf nationaler Ebene eine Stärkung der parlamentarischen Integrationsverantwortung."

    Diesem Verlangen haben Bundestag und Bundesrat Rechnung getragen, der Bundespräsident hat seine Unterschrift unter die Papiere gesetzt und Deutschlands Ratifizierungsurkunde ist auf den Weg nach Rom gegangen, dorthin, wo alle maßgeblichen Verträge der Europäischen Union seit 1957 hinterlegt werden. Entsprechend froh zeigte sich die Bundeskanzlerin, Angela Merkel:

    "Ich bin also sehr zufrieden, ich habe viel Kraft in diesen Lissabonner Vertrag gelegt."

    Viel Kraft, von der nicht sicher ist, ob sie am Ende nicht doch verlorene Mühe sein wird. Denn es gibt Stolpersteine. Ernstzunehmende Stolpersteine auf dem Weg zur Reform der europäischen Institutionen und Spielregeln.

    Stolpersteine etwa in Polen. Dem Land, das sich nach dem Ende des Kalten Krieges in die Arme von NATO und Europäischer Union begeben hatte, und das in den Anfängen zum Sprecher der "neuen Europäer" in der EU avancierte. Der europapolitische Kurs des Landes geriet jedoch unter der Führung der Kaczynski-Brüder ins Schlingern, und noch heute muss der neue Premier, muss Donald Tusk zusehen, wie der nationalkonservative Staatspräsident Lech Kaczynski auf die Bremse tritt und seine Unterschrift zurückhält – obwohl auch in Polen Parlament und Verfassungsgericht den Vertrag von Lissabon akzeptiert haben.

    Gravierender und fundamentaler aber ist der Widerstand eines anderen Mannes. Vaclav Klaus, Staatspräsident Tschechiens. Ihm kommt eine Schlüsselrolle im Ringen um das Inkrafttreten des europäischen Reformvertrages zu. Nach einigem Hin und Her hat im Frühsommer der tschechische Senat zwar "Ja" gesagt. Doch unmittelbar nach diesem positiven Votum des Senats hatte Vaclav Klaus unmissverständlich gesagt, was er davon halte:

    "Ich muss an erster Stelle meine Enttäuschung über diese Entscheidungen zum Ausdruck bringen. Das ist ein sehr trauriger Beleg für das Versagen eines Teiles unserer politischen Eliten. Wie wir es aus unserer Geschichte schon gut kennen. Unsere Politiker haben stets feige Begründungen gefunden: Wir sind klein, schwach und bedeuten nichts in Europa. Wir müssen uns unterordnen, obwohl wir damit nicht einverstanden sind. Das lehne ich ab!"

    Und so spielt der tschechische Staatspräsident auf Zeit , und er spielt über Bande. Auf Zeit, weil einige der im Frühsommer unterlegenen Senatoren in dieser Woche erneut Klage beim tschechischen Verfassungsgericht in Brünn eingereicht haben, um den Vertrag doch noch zu Fall zu bringen. Tschechien gebe zu viel seiner Souveränität auf, argumentieren die Kläger.

    Wie viel Zeit sich das Gericht mit der Prüfung des Einspruchs nimmt, ist offen - es könnte Monate dauern. Und genau hier spielt Vaclav Klaus über Bande. Denn in London weiß er einen gleichgesinnten Mitspieler. David Cameron. Der britische Oppositionsführer rechnet seinen Konservativen für die Wahlen im kommenden Mai gute Chancen aus. Nicht zuletzt, weil er die zahlreichen Europakritiker des Landes auf seiner Seite glaubt. Zwar hat Großbritannien den Lissabon-Vertrag bereits ratifiziert. Aber es könnte dazu kommen, dass London unter einer Regierung der Tories seine Unterschrift zurückzieht – ein Novum in der Geschichte der Europäischen Union.

    Das Schlüsselwort heißt "Referendum". Dieses, so deutet Cameron an, ziehe er in Betracht, wenn, bis zu den Wahlen noch nicht alle Länder Europas den Reformvertrag von Lissabon unterzeichnet haben sollten.

    "Wenn, und ich hoffe nicht, dass das geschieht, der Vertrag von allen ratifiziert ist und die Regierung weiterhin nicht zu ihrem Versprechen steht, ein Referendum abzuhalten, dann werden wir die Sache nicht auf sich beruhen lassen."

    Sagte es und schrieb dem tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus einen Brief, in dem er (dem Vernehmen nach) den Todesstoß für den Lissabon-Vertrag in Aussicht stellt: Sollte Klaus seine Unterschrift bis zu den Wahlen hinauszögern, werde er, David Cameron, den Briten das Werk zur Abstimmung vorlegen, ein Wahlsieg der Tories vorausgesetzt.

    Ein Referendum in Großbritannien zum Vertrag von Lissabon? Das wäre das sichere "Aus" für das Projekt in seiner jetzt vorliegenden Form. In Prag jedenfalls spekuliert Vaclav Klaus, der tschechische Präsident, auf genau diesen Ablauf der Dinge, er wartet auf einen Wahlsieg der Konservativen in Großbritannien, solange könnte Klaus seine Unterschrift unter die tschechische Ratifizierungsurkunde hinauszögern. Brüssel sieht das mit Sorge:

    "Ich habe den Eindruck, dass dieses Netzwerk von Euroskeptikern, das ja hier eine eigene Fraktion gebildet hat, die Kaczynski-Brüder, Vaclav Klaus, David Cameron, dass das ganz gut funktioniert."

    Martin Schulz, der Fraktionsvorsitzende der europäischen Sozialdemokraten, ist empört über die Chuzpe, mit der die Europaskeptiker in Großbritannien und Tschechien den Reformvertrag von Lissabon doch noch zu Fall bringen wollen. Doch der öffentliche Aufschrei hält sich bislang in Grenzen. Ein wenig scheint es, als halte man sich an das Motto, das die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Juni-Gipfel und den weitreichenden Zugeständnissen an Irland ausgegeben hatte:

    "Wir sind jetzt über eine Reihe von Hürden gestiegen, die sich auf dem Weg zur Ratifizierung des Lissabon-Vertrages aufgetan haben. Und so werden wir mit Ruhe und der großen inneren Überzeugung, dass dieser Lissabon-Vertrag gerade Kritikern der Europäischen Union eigentlich mehr Spielräume und Möglichkeiten gibt, versuchen, weiter entgegenzutreten und sie zu überzeugen, dass das richtig ist."

    Doch wie überzeugt man die Kritiker, die den Vertrag unmittelbar nach dem ersten irischen Referendum abgeschrieben haben? Darüber gehen in Brüssel die Meinungen auseinander. Für manch einen Beobachter könnte gerade der geltende Vertrag von Nizza die Möglichkeit bieten, die Skeptiker doch noch einzubinden.

    Nimmt das tschechische Verfassungsgericht die Beschwerde an und verhandelt den Fall neu, dann muss die neue EU-Kommission zwingend nach dem Vertrag von Nizza gebildet werden. Das aber bedeutet, dass mindestens eines der 27 Mitgliedsländer auf einen EU-Kommissar verzichten müsste. So schreibt es der bestehende Vertrag vor. Diesen Umstand, so der Christdemokrat Elmar Brok, sollte man sich zunutze machen:

    "Da ja mit dem Vertrag von Nizza nicht alle Länder einen Kommissar haben können, müssten wir dann entscheiden, ob wir einem Land einen Kommissar wegnehmen würden oder mehreren Ländern, und das würde dann auch eine interessante Diskussion werden und ich könnte mir vorstellen, dass dies doch zu einer Beschleunigung des Verfahrens in Prag beitragen könnte."

    Sicher ein naheliegendes Argument, aber eines, das bei genauer Betrachtung kaum brauchbar erscheint. Denn entsprechende Beschlüsse würden im Rat der Staats- und Regierungschefs immer ein einstimmiges Votum erfordern. Deshalb dürfte die Zustimmung der tschechischen Regierung kaum zu gewinnen sein. Da haben sich die Regierungschefs auch selbst ein Bein gestellt, sagt der Sozialdemokrat Schulz, weil sie die ursprünglich vorgesehene deutliche Reduzierung der Zahl der Kommissare wieder aufgegeben haben. Das allerdings war der Preis, den die Regierungschefs - neben anderen Zusagen - für die erhoffte Zustimmung der Iren zu zahlen hatten.

    Eine öffentliche Debatte über einen tschechischen Kommissar wäre in jedem Fall ein falsches Signal, betont der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz:

    "Stellen Sie sich das mal vor. Man geht ganz konkret hin und sagt: alle kriegen einen Kommissar, nur ihr nicht, weil ihr nicht ratifiziert habt. Das ist eine öffentliche europaweite Strafaktion gegen – aus tschechischer Sicht – die Wahrnehmung eines souveränen Rechts der tschechischen Republik und des dort gewählten Staatspräsidenten. Ich glaube, das würde nur funktionieren, wenn es in der tschechischen Republik selbst den Druck auf den Präsidenten gibt. Von außen würde das meiner Meinung nach genau das Gegenteil bewirken."

    Deshalb raten in diesen Tagen nicht Wenige in Brüssel zur stillen Diplomatie. Deshalb auch plant der Präsident des EU-Parlaments, Jerzy Buzek, einen Besuch in Prag. Ein Besuch, dem andere folgen sollten, fordert Schulz. Angela Merkel etwa und Nikolas Sarkozy seien dann gefragt. Oder Luis Zapatero, der künftige EU-Ratspräsident, um den tschechischen Präsidenten Klaus nicht in die Ecke zu drängen:

    "Klaus ist einer, der genau daran ein Interesse hat, der glaub ich, in die Opferrolle will, und wenn er erst einmal in der Opferrolle ist, dann unterschreibt er schon mal gar nicht. Dann ist er der letzte weise Ritter und wird das inszenieren."

    Nach dem jüngsten Vorstoß der Vertragsgegner in Prag wächst die Zahl der Skeptiker, die davon ausgehen, dass trotz der Hoffnung auf einen positiven Ausgang des irischen Votums der Reformvertrag von Lissabon scheitern könnten. Sollte der Coup der Euroskeptiker in Tschechien und Großbritannien gelingen, dann wären die inzwischen seit sechs Jahren andauernden Reformbemühungen wieder hinfällig und das wohl für eine deutlich längere Frist, so der Christdemokrat Elmar Brok.

    "Ja, ich glaube nicht, dass dann die Kraft besteht, dass alle 27 Mitgliedsländer einen vergleichbaren Anlauf erneut machen. Denn dann hätte man sich zu oft geirrt. Und wir müssen sehen, das große Problem ja ist die Einstimmigkeit. Wenn wir das Grundgesetz einstimmig hätten in Kraft treten lassen müssen, wäre das hier in Deutschland auch nicht gegangen und deswegen werden wir keine große institutionelle Debatte mehr bekommen. Man wird einige wenige Anpassungen machen. Ich glaube, dass wir dann auf Dauer eher zu einem Kleineuropa kommen, dass sich Staaten zusammenschließen die weiter gehen wollen."

    Diese Debatte um ein "Klein-" oder auch "Kerneuropa" begleitet die Reformbemühungen der EU von Beginn an, und sie findet auch immer wieder Anhänger. Ein Europa der zwei oder der mehreren Geschwindigkeiten sei kein Drama, zumal man mit der Eurogruppe in der Finanz- und Währungspolitik oder der Schengengruppe in der Sicherheitspolitik schon längst den Beweis angetreten habe, dass unterschiedliche Integrationsstufen mit all ihren Vor- und Nachteilen funktionieren. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten im EU Parlament Martin Schulz tritt dieser Betrachtungsweise jedoch entgegen:

    "Fakt ist, der Lissaboner Vertrag ist eine Antwort auf das Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten und nicht umgekehrt. Wenn er scheitern würde, geht das Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ungehemmt weiter. Also verkürzt ausgedrückt: das Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten ist nicht etwa die Antwort auf die Krise Europas, sondern für meine Begriff ein Merkmal der Krise Europas."

    Der tschechische EU-Abgeordnete Libor Roucek sieht nur eine Möglichkeit, um doch noch zu einer Beschleunigung des Verfahrens zu kommen. Der politische Druck in Tschechien müsse wachsen. Schließlich haben sowohl das Parlament, als auch der Senat den Reformvertrag bereits angenommen:

    "Aber ob der Druck stark genug wird, das ist eine Frage."

    Wenn die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union also Mitte Oktober in Brüssel zusammentreffen, dann werden sie zwar, vielleicht, den Iren zu einem "Ja" zum Lissabon-Vertrag gratulieren können. Aber auch dann gäbe es noch keinen Grund zum Feiern, solange Tschechien auf die Bremse tritt und Großbritanniens Verhalten unkalkulierbar ist. In jedem Fall werden die Staats- und Regierungschefs ihr Reformwerk einmal mehr in den Wartesaal schicken müssen.