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Bresche durch den Zahlen-Dschungel

Mathematik. - Mit dem Begriff der Biometrie werden wohl nach dem 11. September vergangenen Jahres vor allem Dinge wie die Irisvermessung oder der Fingerabdruck als individuelle Identifikationsparameter verknüpft. Zwar stehen solche Sicherheitsmaßnahmen gegenwärtig im Vordergrund des öffentlichen Interesses, doch das Anwendungsgebiet wissenschaftlicher Biometrie reicht sehr viel weiter. Dies belegt der 21. Internationale Biometrische Kongress, der noch bis Freitag in Freiburg stattfindet.

    "Die Biometrie, in dem Sinn, wie wir sie hier auf dieser Tagung verstehen, umfasst alle statistischen und mathematischen Ansätze, mit denen biologische und medizinische Zusammenhänge, die beobachtet werden, besser verständlich werden", resümiert Nanny Wermuth von der Harvard Universität und Präsidentin des Freiburger Kongresses. Über 400 Projekte und neue Forschungsansätze der Biometrie für ganz unterschiedliche Fachgebiete werden bereits seit vergangenem Sonntag von Medizinern, Pharmazeuten, Biologen, Statistikern, Psychologen und selbst Forstwissenschaftlern vorgestellt. Auf dieser Konferenz steht insbesondere die Risikobewertung bei einer Fragestellung im Vordergrund. Doch gerade die Abschätzung von Risiken unterliegt stets auch subjektiven Einflüssen. Der Stand einer Wissensgesellschaft sei dabei längst noch nicht erreicht, meint jedenfalls Professor Heiko Becher vom Hygiene-Institut der Universität Heidelberg: "Das Risiko, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen, ist verschwindend gering, aber dennoch wird es von vielen in der breiten Bevölkerung als ein hohes angesehen. Andererseits werden Gefahren, die selbst gesteuert werden können, wie etwa das Autofahren oder Zigarettenkonsum, persönlich meist als gering eingeschätzt."

    Geht es um Fragen, ab wann etwa Elektrosmog Schäden verursacht oder welchem Krebsrisiko Chemiearbeiter ausgesetzt sind, die mit dioxinhaltigen Stoffen hantieren, dann muss ein objektiver Bewertungsmaßstab geschaffen werden. So auch in der Arzneimittelforschung, die stets nach dem gleichen Muster vorgehe, erklärt Becher: "Häufig beinhaltet die Risikoabschätzung eine Dosis-Wirkungsanalyse und damit eine rein qualitative Einstufung, die belegt, dass beispielsweise eine Dosis X einer Substanz Y das Risiko einer bestimmten Krankheit Z um einen bestimmten Betrag erhöht." Klinische Studien sind daher unerlässliche Datenlieferanten, um solche Zusammenhänge aufzudecken. Dennoch könnten biometrische Simulationen am Computer die Experimente am lebenden Objekt reduzieren. "Bevor wir aber Rechnersimulationen durchführen können, müssen wir zunächst die wesentlichen Prozesse einer Fragestellung modellieren und ein mathematisches Modell aufstellen, das den Zusammenhang zwischen einer Zielvariablen und der Dosis herstellt, um herauszufinden, warum etwa ein Medikament bei einem Patienten wirkt und bei einem anderen nicht", fasst Professor Jürgen Bock von der Forschungsabteilung der Hoffmann La Roche AG in Basel zusammen.

    Laborwerte, Planungsdaten des Arzneimitteldesigns, statistische Daten von bekannten Patientengruppen und Details einzelner Wirkstoffe werden dabei in die Simulation eingespielt. So gleiche die pharmazeutische Entwicklung inzwischen den Verfahren der Automobilindustrie, die sich bei einer Neuentwicklung auch nicht nur auf praktische Tests, sondern vor allem auch auf virtuelle Erprobungen und Szenarien stütze. Ein neues Ziel des computergestützten Arzneimitteldesigns ist überdies die Entwicklung hochwirksamer Arzneimittel, die auf individuelle Patienten zugeschnitten sind. Die Forscher sind zuversichtlich, dass bald biometrische Standardmethoden bei der Beantwortung dieser Probleme helfen werden.

    [Quelle: Peter Welchering]