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Brexit und Wissenschaft
"Britische Forscher sind verunsichert"

Auf der Wissenschaftskonferenz EuroScience Open Forum (ESOF), die bis gestern in Manchester stattfand, haben zahlreiche britische Forscher ihrem Ärger über das Brexit-Referendum Luft gemacht. "Die 'scientific community' ist einfach perplex, dass ihre rationale Weltsicht bei den Bürgern gerade nicht sonderlich gefragt ist", sagte DLF-Wissenschaftsredakteur Ralf-Krauter im Gespräch.

Von Ralf Krauter | 28.07.2016
    Von links nach rechts: Stephen Curry (Imperial College London), Jürgen Maier (CEO Siemens UK), Gail Cardew (Royal Institution, UK), Dame Anne Glover (University of Aberdeen), Lauritz Holm-Nielsen (Präsident Euroscience & Universität Aarhus, Dänemark)
    Von links nach rechts: Stephen Curry (Imperial College London), Jürgen Maier (CEO Siemens UK), Gail Cardew (Royal Institution, UK), Dame Anne Glover (University of Aberdeen), Lauritz Holm-Nielsen (Präsident Euroscience & Universität Aarhus, Dänemark) (Ralf Krauter)
    Uli Blumenthal: Wie kontrovers war die Diskussion auf dem Euroscience Open Forum?
    Ralf Krauter: Sehr lebhaft, sowohl auf dem Podium als auch mit dem Publikum, souverän moderiert von Gail Cardew, Direktorin für Wissenschaft und Bildung bei der ehrwürdigen 'Royal Institution' zur Förderung der Wissenschaft. Spannend war das Ganze, weil klar wurde, wie groß die Verunsicherung der britischen Forscher derzeit ist. Sie sind zum einen verunsichert, weil es ihnen im Vorfeld des Brexit-Votums nicht gelungen ist, ihren sachlichen Argumenten für einen Verbleib in der EU Gehör zu verschaffen. Zum anderen, weil sie das Gefühl haben, dass die Politiker sie gerade im Regen stehen lassen, weil die mit sich selbst beschäftigt sind und keinen Plan haben. Und drittens ist man sich noch nicht mal klar drüber, wo genau man jetzt eigentlich steht.
    Stephen Curry, Biologe vom renommierten Imperial College vertrat die Auffassung, dass der Brexit vielleicht noch zu stoppen ist, wenn in zwei Jahren eine andere Regierung gewählt würde, die für den Verbleib in der EU eintritt. Jürgen Maier dagegen, der Chef der UK-Sparte von Siemens, stellte klar: Der Brexit wird kommen, wir müssen uns drauf einstellen, es bringe jetzt nichts, auf Zeit zu spielen.
    15 Prozent aller Wissenschaftler an britischen Unis sind EU-Ausländer
    Blumenthal: Die überwältigende Mehrheit der Forscher war und ist ja gegen den Brexit. Wie kam es, dass deren Argumente im Vorfeld des Referendums verpufft sind?
    Krauter: Das ist eine gute Frage, über die ausführlich diskutiert wurde. Eine These lautet: Wir haben uns zu sehr auf die Vermittlung von Fakten konzentriert, zu wenig auf emotionale Botschaften, die die Leute ansprechen. Anne Clover, Biochemie-Professorin an der Uni Aberdeen, die bis 2015 Wissenschaftsberaterin der EU-Kommission in Brüssel war, sagte dazu selbstkritisch: "Wir Forscher müssen aufwachen. Wenn wir nur über Fakten reden, berühren wir die Menschen nicht." Biologe Stephen Curry, vom Imperial College sagte: "Unser Respekt für Fakten und die Wahrheit hat uns daran gehindert, unseren Argumenten Gehör zu verschaffen."
    Und den Brexit-Befürwortern, die es mit den Fakten ja bekanntlich nicht so genau nahmen, die bewusst mit falschen Zahlen Stimmung gegen die EU gemacht haben, denen warf er 'Unehrlichkeit im industriellen Maßstab' vor. Kurz gesagt: Die 'scientific community' ist einfach perplex, das ihre rationale Weltsicht bei den Bürgern gerade nicht sonderlich gefragt ist. Fakt ist: Politisch punkten gerade europaweit vor allem jene, die sehr emotionale Botschaften aussenden. Ob die Fakten dann stimmen oder nicht, das ist vielen Menschen leider völlig egal, wie ja auch der Erfolg von Donald Trump in den USA zeigt.
    Und die Frage ist eben: Welches aufklärerische Gegenmittel könnte da helfen? Es gab im Publikum durchaus Stimmen, die sagten: 'Ja, dann müssen wir künftig bei solchen Auseinandersetzungen halt auch mit härteren Bandagen kämpfen."
    Blumenthal: Was fordern die britischen Forscher von ihrer Regierung?
    Krauter: Ein mehrfach artikulierter Wunsch lautet: Wir wollen die volle Mitgliedschaft im EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 behalten, um Zugriff auf diesen Milliardentopf für Spitzenforschung zu behalten. Und damit Brüssel sich auf diesen Deal einlässt, müsst ihr, liebe Politiker von London, bitte garantieren, dass Wissenschaftler aus der EU auch künftig ohne jede Einschränkung nach Großbritannien ziehen dürfen, wenn sie wollen. Denn ohne diese Zusage werden wir bei Horizon 2020 vermutlich zum Zaungast, so die Befürchtung. Aber dieser Wunsch nach Freizügigkeit für Forscher auch nach einem Brexit ist blauäugig. Denn wie soll das praktisch aussehen? Als Reaktion auf das Referendum muss die neue Regierung den Zuzug von EU-Bürgern nach GB einschränken. Da Wissenschaftlern einen Sonderstatus zu gewähren, dürfte schwer vermittelbar sein.
    Derzeit sind 15 Prozent aller Wissenschaftler an britischen Unis Ausländer aus EU-Ländern. Dass die alle Lust haben, künftig VISA zu beantragen? Eher unwahrscheinlich. Vermutlich geht der eine oder andere dann lieber woanders hin. Aus der Sicht der anderen EU-Länder wäre das ja eine erfreuliche Entwicklung, auch das klang bei der Diskussion gestern an.
    Erwähnenswert auch: Jürgen Maier, der Chef von Siemens UK, forderte die Brexit-Befürworter auf, die Welle von Fremdenfeindlichkeit zu stoppen, die hier gerade durchs Land schwappt. Denn Übergriffe auf Ausländer tragen natürlich auch nicht gerade zur Steigerung der Attraktivität des Forschungsstandortes bei.