Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Briefe an Beethoven
"Lieber Ludwig, Deine Musik macht mich stark"

"Wenn Deine Musik nicht so verdammt gut wäre, würde ich Dich ehrlich gesagt hassen", schreibt Komponist Moritz Eggert in seinem Brief an Beethoven. Und er geht darin der Frage nach, ob der Kollege in einer Parallelwelt vielleicht nicht berühmt, aber dafür glücklich geworden ist.

Von Moritz Eggert | 06.04.2020
Der Komponist Moritz Eggert
Moritz Eggert betreibt für die Neue Musikzeitung den „Bad Blog of Musick“ (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
Lieber Ludwig,
Ich nehme an, Du wunderst Dich über diese ganzen Briefe ins Jenseits, wie zum Beispiel diesen hier. Ständig klopft jemand an Deiner Wolke an und bringt irgendwelche Briefe vorbei. Das nervt sicherlich! Wahrscheinlich willst Du einfach Deine Ruhe? Aber so sind die Menschen: wenn sie jemanden gefunden haben, den sie feiern wollen, dann machen sie das in großer Regelmäßigkeit. Hierzu werden immer wieder neue Anlässe gefunden. Das mag Dein Geburtsjahr, Dein Sterbejahr, oder auch das Jahr in dem Dein Hamster geboren wurde sein. Natürlich weiß ich, dass Du keinen Hamster hattest. Ich bin nur gerade in alberner Stimmung, da ich eben für ein Festkonzert eine satirische Kurzbiografie über Dich schreiben musste, in der ich Dein Leben etwas auf die Schippe genommen habe. Ich hoffe, Du verzeihst mir!
Ich machte darin u.a. ein paar Witze auf Kosten Deines Vaters, der – so vermuten wir Nachgeborenen – nicht der netteste Zeitgenosse war. Ich finde es eigentlich toll, dass er daran gescheitert ist, aus Dir ein Wunderkind zu machen. Man stelle sich vor, es wäre ihm gelungen? Er hat ja wirklich alles versucht: Dich geprügelt, Dich zwei Jahre jünger gemacht, sodass Du selber nie genau wusstest, wie alt Du bist, usw. Hat alles nichts gebracht, Du wolltest einfach nicht. Ich finde das gut! Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen bin ich ja der Meinung, dass zum Beispiel Mozart nicht so ein guter Komponist wurde, weil er ein Wunderkind war, sondern OBWOHL er ein Wunderkind war. Wunderkinder gab und gibt es nämlich damals wie heute wie Sand am Meer, und kaum hat man eins beklatscht, kommt es schon wieder in die Pubertät, und das nächste steht bereit. Man kann das ja wirklich niemandem wünschen, ein Wunderkind zu sein, es gibt doch viel Schöneres im Leben!
Erster Individualist unter den Komponisten
Überhaupt sehe ich in Deinem Leben immer wieder sympathische Momente der Verweigerung. Du warst halt der erste große Individualist unter uns Komponisten, der erste, der an die Nachwelt dachte, der erste, der sich wirklich für Politik interessierte. Und irgendwie fügte sich das alles biografisch wunderbar zusammen. Hier ein Hauch Exzentrik (wer zieht schon so oft um in derselben Stadt?), dort ein Hauch Romantik (wer zur Hölle ist denn nun diese unsterbliche Geliebte?), ein bisschen wetterzerzaustes Haar und Denkerstirn: fertig ist der Sturm-und-Drang-Komponist. In dieser Beziehung hattest Du fast unverschämtes Glück, und wenn Deine Musik nicht so verdammt gut wäre, würde ich Dich ehrlich gesagt hassen. Aber da Du mir dieselbe Individualität zugestehst wie die, die Du für Dich selbst stets eingefordert hast, verzeihe ich Dir alles. Deine Musik macht mich stark, denn sie will mich weder gängeln noch überwältigen noch in ein schreckliches, muffiges Opernhaus stecken, wo man Dir doof huldigen soll bei irgendeinem dicken Ding der Nibelungen. Das schätze ich ungemein, lieber Ludwig!
Beim Verfassen Deiner Biografie stolperte ich übrigens über ein interessantes Detail. Und zwar auf die Zeit, die man als Deine kurze Mergentheimer Episode bezeichnet. Da warst Du doch tatsächlich Bratscher in der kurkölnischen Hofkapelle, und fuhrst den Rhein rauf und runter als angestellter Musiker und sogar Küchenjunge, zur Unterhaltung von irgendwelchen doofen Adeligen. Ich finde das unglaublich komisch! Warum? Weil es Parallelwelten gibt. Was das ist? Das ist schwer zu erklären – es hat etwas mit Quantenmechanik, irgendwelchen Katzen eines Herrn Schrödinger und diversen anderen komplizierten Theorien zu tun. Kurz gesagt glauben viele Wissenschaftler heute folgendes: bei jeder Entscheidung entsteht quasi eine eigene Welt, die sich als Möglichkeit abspaltet. Die einen leben in der Welt weiter, in der die eine Entscheidung getroffen wurde, die anderen in der anderen. Das passiert quasi einmilliardenmal am Tag. Oder vielleicht noch öfter.
Parallelwelt des unbekannten Ludwig van Beethoven
Was ich mich nun frage: ganz sicher bist Du in einer dieser Welten in Mergentheim geblieben, und hast den Rest Deines Lebens dort Bratsche gespielt. Vielleicht bist Du dort glücklich geworden, hast eine nette Frau gefunden, Kinder gezeugt, guten Wein getrunken. Am Abend hast Du vielleicht ein paar kleine Trinklieder für Deine Freunde verfasst, aber ansonsten eher musiziert und gefeiert. Nix 9. Symphonie, nix "Für Elise". Vielleicht bist Du dort glücklich gestorben, ohne dass jemand Deinen Namen kennt. In dieser Welt hat ein anderer, oder vielleicht sogar eine andere Deinen Platz eingenommen, und man feiert nun diese Person und nicht etwa Ludwig van. Auch in Stanley Kubrick-Filmen wird zur Musik von jemand anderem gemordet.
Ich frage mich also: in wie vielen Welten wurdest Du berühmt? In wie vielen Welten wurdest Du es nicht? Ist es überhaupt wichtig, berühmt zu werden? Diese Frage kann ich nicht beantworten, weil ich eben in der Welt lebe, in der Du es wurdest, und auch wenn ich an dieser Welt manchmal, meistens verzweifele, ist es nicht die Schlechteste aller Welten. Und das hat durchaus auch mit Dir und Deiner Musik zu tun.
Dafür dankt Dir von Herzen, Dein großer Verehrer und Bruder im Geiste,
Moritz Eggert