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Britische Kaderschmieden

Es war im Jahre 1994, als Richard von Weizsäcker an der Universität Cambridge die Ehrendoktorwürde verliehen wurde. Dem von Weizsäcker vorgetragenen Umstand, dass er bereits einen solchen Titel aus Oxford vorweisen konnte, begegneten die Anwesenden damals mit der Bemerkung "Never mind, es gibt im Leben immer die Chance, sich zu verbessern". Schneller, besser, älter, schöner – eine eifrig gepflegte Hassliebe ist das Kontinuum in der bewegten Geschichte der beiden rund 150 Kilometer voneinander entfernt liegenden Universitätsstädte Oxford und Cambridge, die oft in einem Atemzug Oxbridge genannt werden.

    Gemeinsam ist den beiden Universitäten ihr weit über die Grenzen Großbritanniens hinausreichender Ruf und ihre nach wie vor überragende Stellung in der britischen Hochschullandschaft. Entließe man die Oxbridge-Alumni heute aus ihren Verantwortungen, käme das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben in Großbritannien vermutlich zum Erliegen, inklusive der Geschäfte in Downing Street No. 10. Tony Blair hat, wie vor ihm 24 weitere Premierminister, in einem College in Oxford studiert.

    Aber Oxford und Cambridge waren immer mehr als Kaderschmieden für das politische Establishment. Von den englischen Reformatoren über die revolutionären Denker der Philosophie wie Locke oder Wittgenstein bis hin zu den Pionieren der Naturwissenschaften Newton, Darwin und Hawking, alle kamen sie aus Oxbridge. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: Cambridge alleine hat mehr Nobelpreisträger hervorgebracht als Frankreich oder Deutschland.

    Auch wenn die beiden Universitäten bis heute nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt haben, unumstritten waren sie nie. So gelten sie wegen ihres überproportional hohen Anteils an Studierenden aus Privatschulen als Synonym für ein Zweiklassen-Bildungssystem, das die Geld- und Adelseliten bevorzugt. Zudem haben beide Unis Schwierigkeiten, den Vorwurf zu entkräften, rückwärtsgewandt und chauvinistisch zu sein. Als mit der Zulassung von Frauen 1986 Cambridges letzte Männerbastion, Magdalene College, fiel, trugen viele Studenten schwarzen Trauerflor. Noch heute sind in Cambridge weniger als zehn Prozent der Lehrstühle mit Frauen besetzt.

    Doch werden solche Beschreibungen dem Alltag der meisten Studenten in Oxford und Cambridge nicht gerecht. Der besteht aus einer Mischung aus Tradition und Fortschritt, Laptop und lateinischem Tischgebet. Gerade unter den Postgrads ist von dem Elitismus, der das Oxbridge-Image nach wie vor stark prägt, nichts zu spüren. In den Fakultäten und Colleges herrscht ein liberales, offenes Klima. Hier finden nicht nur Seminare und Vorlesungen statt, sondern mit Lesungen, Diskussionen, Empfängen und Festen ein großer Teil des sozialen Lebens insgesamt.

    Dennoch: Angesichts wissenschaftlicher Innovation vor allem in den Informations- und Biotechnologien, globalen Wettbewerbs unter den Universitäten und knapper öffentlicher Kassen stehen beide Universitäten mehr denn je unter Druck, sich zu modernisieren. Geht es nach der britischen Regierung, sollen Cambridge, Oxford und ein paar andere Spitzenuniversitäten ihre bisher staatlich festgelegten Gebühren bald nach eigenem Gusto erhöhen können um so mit den weit betuchteren Elite-Unis der USA konkurrieren zu können. Gleichzeitig sind Oxford und Cambridge wegen der Praktiken ihrer Studienplatzvergabe alljährlich heftigster Kritik ausgesetzt. Vor allem von Seiten der Regierung, die vor hat, regulierend einzugreifen und bei Ungleichbehandlungen von Bewerbern aus staatlichen Schulen mit empfindlichen Strafen droht. Es wird einer Quadratur des Kreises gleichkommen, die beiden Universitäten weiter für alle sozialen Schichten zu öffnen und sie gleichzeitig auf eine finanzielle Basis zu stellen, die auch nur annähernd an Harvard, Yale und Co. heranreicht.

    Während der Vorschlag, die Studiengebühren zu erhöhen, im ganzen Land für beispiellosen Aufruhr gesorgt hat, ist von solchen "augenblicklichen" Problemen in der mitunter surreal schönen Collegearchitektur von Oxbridge nichts zu spüren. Oxford und Cambridge, heißt es zurecht, sind nicht nur Orte, sondern geistige Lebensformen, und so schwebt man in den Bibliotheken, Höfen, Gärten und Ballsällen von Oxbridge gerne etwas über den Dingen. Das intensive Miteinander von Studenten und Dozenten, die nicht nur zusammen Wissenschaft betreiben, sondern auf den legendären Bällen im Juni auch bis in den Morgengrauen feiern, prägt. In dem intensiven Kontakt zwischen Studenten und Lehrenden, der vor allem durch ein einzigartiges Tutoriensystem gewährleistet wird, liegt auch der zentrale Vorteil Oxbridges gegenüber anderen Unis. Die Zahlen sprechen für sich: In Cambridge liegt die Abbrecherquote bei einem, in Deutschland bei rund 50 Prozent.

    Es gibt also gute Gründe für ein Studium in Oxbridge. Zumal die Chancen für deutsche Bewerber gar nicht schlecht stehen, sich zum Beispiel einen der zahlreichen Masterstudiengänge durch den DAAD oder Stipendiengeber vor Ort finanzieren zu lassen. Alleine ist man dort nicht - gerade in den PhD- und Masters-Studiengängen finden sich viele Deutsche.

    Die Qualität der Lehre und nicht zuletzt die Faszination dieser geschichtsreichen "Inseln auf der Insel", lassen eine Bewerbung in Oxbridge in jedem Fall lohnenswert erscheinen.