Mittwoch, 24. April 2024

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Buchmesse wegen Coronavirus abgesagt
Leipzig liest nicht

Ein schwerer Schlag für die Buchbranche, aber richtig entschieden. So urteilt Alexander Skipis vom Börsenverein des deutschen Buchhandels. Für Leipzigs Messedirektor Oliver Zille ist das ein Vorgang "ohne Beispiel" seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Alexander Skipis, Horst Lauinger und Oliver Zille im Gespräch mit Karin Fischer | 03.03.2020
Eine Besucherin der Leipziger Buchmesse 2019 blättert in einem Buch am Stand der Muthesius Kunsthochschule Kiel.
Stadt und Messe entschieden sich dazu, die Leipziger Buchmesse wegen der Coronavirus-Gefahr ausfallen zu lassen (picture alliance/Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa)
Karin Fischer: Nach der Touristikmesse ITB in Berlin, der Handwerksmesse in München, der Absage des für Mitte März geplanten Buchmesse in Paris hat nun auch die Stadt Leipzig die Buchmesse wegen des Corona-Virus abgesagt. Die Verantwortlichen der Messe, der Bürgermeister der Stadt und das Leipziger Gesundheitsamt haben das heute Vormittag beschlossen, nachdem in den vergangenen Tagen fast trotzig an der Buchmesse festgehalten wurde. Nun heißt es also: "Sicherheit geht vor". Wir haben Stimmen gesammelt an diesem schwarzen Tag für die Buchbranche, am Tag einer Vernunftsentscheidung gegen das bunte Lesefest, das vor allem auch Jugendliche in Scharen angezogen hat. Der Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist übrigens der Dachverband und Mittler zwischen Verleger*innen, Buchhandel und Leserinnen und Leser in Sachen Buch, den Geschäftsführer Alexander Skipis habe ich gefragt: "Hand aufs Herz, begrüßen oder bedauern Sie diese Absage"?
Börsenvereinschef Skipis: "Ein Schlag für die deutsche Buchbranche"
Alexander Skipis: Also ich finde diese Entscheidung der Verantwortlichen in Leipzig völlig richtig. In dieser Situation geht es in allererster Linie um die individuelle Gesundheit und um die gesellschaftliche Gesundheit. Das hat Vorrang vor allen kulturellen und wirtschaftlichen Interessen, also insofern eine richtige Entscheidung.
Fischer: Die Gesundheit geht vor, ganz klar. Aber was bedeutet diese Absage denn jetzt für die Aussteller und Verlegerinnen und Verleger?
Skipis: Das ist natürlich ein sehr schwerer Schlag für die deutsche Buchbranche, denn die Leipziger Buchmesse hat eine enorme Strahlkraft für das Buch, und diese Strahlkraft in die Öffentlichkeit hinein wird es nächste Woche nicht geben. Darüber hinaus sind natürlich alle Buchbegeisterten, die zu der Messe gehen wollten, sicherlich sehr enttäuscht. Und natürlich ist es auch für die buchhändlerischen Unternehmen ein Schlag, weil sie ihre Werke, ihre jeweiligen Produktionen nicht präsentieren können. Und man kann sie dort nicht sehen und anschauen. Und das ist natürlich schon auch für die Branche ein herber Schlag.
Fischer: Vor allem, weil Leipzig als Messe ja immer auch eine Lesemesse war, eine gesamte Lesestadt involviert in dieses Ereignis. Was prognostizieren Sie wird davon überhaupt noch stattfinden?
Zu sehen ist Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels (Foto: Claus Setzer)
Skipis: Ja, also eine der ganz großen Stärken war neben der Messe an sich natürlich auch das Programm "Leipzig liest", das wahrscheinlich weltweit einzigartig ist. Das war Lesebegeisterung pur, und jeder, der auch nur in die Nähe der Stadt Leipzig kam, hat das gespürt. Und das wird es voraussichtlich ja auch nicht geben. Also insofern ist das eine Situation, die gerade für Lesebegeisterte schon nicht schön ist.
Fischer: Was ist ihre Voraussage für die Lit. Cologne, von der wir bisher noch nicht gehört haben, dass sie abgesagt werden sollte, allerdings natürlich auch etwas dezentraler stattfindet als die Buchmesse in Leipzig mit ihren großen, großen Messehallen?
Skipis: Ja, das kann ich natürlich jetzt schwer beurteilen. Wenn ich mir vorstelle, was beim Karneval sozusagen passiert ist, dann muss man sich schon überlegen, ob die Lit. Cologne eine Veranstaltung in dieser Zeit jetzt am richtigen Platz ist. Das wäre natürlich auch sehr schade, wenn sie abgesagt werden würde. Aber ich sagte ja eingangs zur Leipziger Buchmesse, am Ende geht das Thema Gesundheit, und zwar nicht nur die individuelle, sondern auch die gesellschaftliche, vor. Und ich denke, dass man durch so eine Absage wie die Leipziger Buchmesse letztendlich auch einen Beitrag dazu leistet, Infektionsketten zu unterbrechen und damit etwas Zeit zu bekommen in der Bekämpfung dieses Virus.
Verleger Horst Lauinger: "Ein Schlag ins Kontor"
Karin Fischer: Viele Verleger und Verlegerinnen vor allem von kleinen Verlagen hatten bereits signalisiert, nicht zur Buchmesse reisen zu wollen, einfach wegen des Risikos. Es geht aber für die Verlage auch um hohe Kosten. Horst Lauinger, Verlagschef von Manesse, einem der profiliertesten Verlage im deutschsprachigen Raum, der vor allem auch die guten, wahren und schönen Klassiker verlegt, sagte heute Nachmittag:
Horst Lauinger: Also, wenn man jetzt wochenlang plant, Termine vereinbart, Veranstaltungen organisiert, dann ist es natürlich schon ein Schlag ins Kontor, plötzlich zu hören, dass alles nur Makulatur ist, aber wir müssen jetzt überlegen wie wir unsere Veranstaltungen anderweitig unterbringen, wie wir die Pressekontakte anderweitig pflegen. Und für den Manesse Verlag im Speziellen ist die Besonderheit, dass ich sozusagen 360° sowohl Buchhändler treffe als auch Übersetzter, Nachwort-Autoren, Pressekontakte wahrnehme, wir haben ein Blogger-Treffen am Stand. Daran sehen sie, es ist die Vielfalt der Kontakte in realtiv kurzer Zeit, die den Wert dieser Messe ausmacht. Ich bin aber zugleich als betreuender Lektor für Dirk Kurbjuweit auch unterwegs, der jetzt mit "Haarmann" einen Kriminalroman veröffentlicht hat. Da hat man natürlich eine Reihe von Foren und Veranstaltungen schon vereinbart. Ob sich das in irgendeiner Weise ersetzen lässt mit anderen Veranstaltungen ist natürlich noch völlig unklar.
Fischer: Gibt es finanzielle Folgen, die sie heute schon beziffern können?
Lauinger: Beziffern kann man noch gar nichts. Es ist jetzt auch die Frage, die zu klären ist, ob wir überhaupt bei den ganzen Buchungen noch rauskommen. Es ist für die Hotels dort natürlich auch eine fatale Geschichte. Aber da kann man im Moment nur spekulieren, ob da der finanzielle Schaden irgendwie aufzufangen ist. Weil so eine Buchmesse natürlich schon ein Investment ist für einen Verlag. Und jetzt ist halt die Gretchenfrage, wenn die Buchmesse nicht stattfindet, war außer Spesen nix gewesen. Oder sparen wir an der einen oder anderen Stelle jetzt noch Geld, weil wir eben keine Übernachtungen haben, weil wir den Stand nicht aufbauen. Wir hätten am Freitag den Stand aufgebaut. Das kommt jetzt alles nicht zustande. Sparen wir so viel Geld, das war dieses Geld womöglich auch ins Marketing stecken können? Das ist alles jetzt noch zu klären.
Buchmessedirektor Zille: "Wir haben so was noch nie erlebt"
Karin Fischer: Im Auge des Orkans steht Oliver Zille, der Direktor der Leipziger Buchmesse. Die Messe ist ein Publikumsmagnet mit jährlich fast 300.000 Besucherinnen und Besuchern. 2.500 Aussteller aus 46 Ländern kamen im vergangenen Jahr nach Leipzig, nicht zu vergessen die Spezialität Manga-Comic-Con, die selbst fast 100.000 Menschen anzieht. Ein hochgradiger Verlust vor allem an Kultur-Vermittlung ist das, wie wir gerade hörten. Auch Oliver Zille konnte ich heute Nachmittag sprechen.
Oliver Zille: Zunächst mal ist diese Absage der Buchmesse ohne Beispiel. Die Buchmesse nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es jetzt das 75. Jahr und wir haben so etwas noch nie erlebt. Und deswegen ist jetzt schwierig, dreieinhalb Stunden, vier Stunden nach der offiziellen Absage da schon klare Gedanken zu finden. Aber eines ist sicher, wir sind ein Schwerpunkt des Frühjahrs, Lesebegeisterung und Literaturbegeisterung hoch zu halten und auch zu initiieren, das fehlt jetzt, und das heißt viele Möglichkeiten der Begegnung, des Austausches, der Inspiration sind jetzt einfach nicht gegeben. Und das macht einen natürlicher auch traurig. Diese Chance jetzt nicht nutzen können. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite ist eben immer eine Abwägungsfrage, kann ein Lesefest und eine Buchmesse wie Leipzig stattfinden, wenn bestimmte Sicherheit nicht gegeben ist, wenn eine Stimmung herrscht der Angst oder Verunsicherung. Und zwischen diesen Polen haben wir eben auch abzuwägen gehabt und die Sicherheit unserer Messeteilnehmer geht natürlich vor.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Oliver Zille, Direktor Leipziger Buchmesse (www.imago-images.de)
Fischer: Sie haben Leipzig als Ort eines riesigen Lesefestes erwähnt. Wie groß ist der Schaden für die Stadt insbesondere und auch ihre sehr, sehr ambitionierten Bürgerinnen und Bürger?
Zille: Leipzig ist im besten Sinne des Wortes eine Bürgerstadt. Und Europas größtes Lesefest "Leipzig liest" ist ja eben nicht nur ein Fest, das von oben gemacht wird, von den verlagen, sondern auch von unten, von den Bürgerinnen und Bürgern, von Unternehmerinnen und Unternehmern hier aus Leipzig. Und das ist nun eine Verluststelle, das kann man so spontan gar nicht ermessen, was das bedeutet. Das hat natürlich auch pekuniäre Implikationen. Man muss sich vorstellen, man sitzt in einem Hochgeschwindigkeitszug und der leitet eine Vollbremsung ein. Dann fliegen alle nach vorn und knallen mit dem Kopf gegen die Wand. Und so fühlen wir uns im Moment und müssen erstmal zur Besinnung kommen und klug überlegen was man jetzt im Frühjahr tun kann. Man kann das durch keine anderen Veranstaltungen kompensieren, aber unsere Köpfe arbeiten ja noch. Wir werden jetzt flott überlegen, was man zumindest tun kann, um bestimmte Elemente dieser Buchmesse doch noch zum Klingen zu bringen. Zum Beispiel wie den Preis der Leipziger Buchmesse.
Fischer: Auf den wollte ich sie gerade ansprechen. Das ist natürlich ein Höhepunkt für das kulturelle Deutschland, die Preise, unter anderem die Verleihung des Leipziger Buchpreises, äh zur europäischen Verständigung, jeweils zum Auftakt der Messe im Leipziger Gewandhaus. In diesem Jahr hätte der ungarische Schriftsteller Laszlo Földenyi geehrt werden sollen für sein Buch "Lob der Melancholie". Das trifft jetzt im wahrsten Wortsinne zu und ein.
Zille: Ja, so kann man es natürlich auch für sehen. Ich persönlich war er begeistert davon und habe mich wirklich riesig auf diese Veranstaltung gefreut. Ja, sind wir noch nicht zum abschließenden Denken gekommen. Aber ich kann mir durchaus vorstellen und daran werden wir jetzt auch arbeiten. Und da will ich noch gar nichts präjudizieren. So eine Gala im Gewandhaus gehört zum Preisträger. Und wir werden uns überlegen, wie wir das zum späteren Zeitpunkt vielleicht nachholen. Aber das hat viele, viele, viele Rahmenbedingungen, Implikationen, die wir jetzt erstmal denken müssen. Aber der Preisträger verdient natürlich diese Ehrungen, die ihm jetzt, am kommenden Mittwoch so im Gewandhaus nicht zuteilwerden können. Das werden wir nachholen und den Preis der Leipziger Buchmesse, da sag ich mal noch nicht zuviel, weil wir das jetzt erst mal ausarbeiten müssen. Wie gesagt, die Entscheidung ist jetzt dreieinhalb Stunden oder vier Stunden alt. Der wird zu der Zeit, wo er hier vergeben wurde, wird er im Netz in Erscheinung treten. Also es wird Preisträger geben, und es wird auch eine Wirkung am Markt geben, das glaube ich ganz fest.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.