Wer über den belgischen Schriftsteller Hugo Claus spricht, kommt über einige – manchmal auch zweideutigen – Superlative nicht herum. Ganz ohne Zweifel ist der Autor von Romanen, Erzählungen, Gedichten, Theaterstücken, Drehbüchern, der Übersetzer, Maler, Zeichner und Regisseur der produktivste Schriftsteller, der modernste Lyriker und der am häufigsten gespielte Dramatiker seines Landes; er gilt aber auch als der am wenigsten prüde Zeitgenosse Belgiens, was etwas heißen will, und nicht zuletzt als einer der hartnäckigsten Anwärter auf den Literaturnobelpreis. In Deutschland kennen die wenigsten mehr als das Buch, das ihm jetzt, 20 Jahre nach seinem Erscheinen, auch den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung einbrachte: Seinen Roman "Der Kummer von Flandern", der zwischen 1939 und 1947 in einer flämischen Kleinstadt spielt, eine Familiensaga aus der Zeit der deutschen Besatzung in Belgien zwischen Katholizismus und Kollaboration. Laudator Joachim Sartorius, der Hugo Claus als "letzten Renaissancemenschen unserer Zeit" charakterisierte, als ein Nachfahre der sprachmächtigen Dichterpropheten und Bußprediger des Barock, ja als "kulturellen Marsyas", der im Wettstreit gegen die kunstvolle Leier des Apollo mit der provozierend phallischen Flöte antritt; Joachim Sartorius sagt über dieses Buch:
Was das Werk noch so überaus aktuell macht, ist die Gleichzeitigkeit von Alltag und Wahnsinn, die Claus mit schnellen Ortswechseln und chaotischen Gedankensprüngen auch stilistisch äußerst wirkungsvoll herstellt. Er erzählt von den Verheerungen des Alltags, von der moralischen Deprivation der Gesellschaft, vom Verrat in der Familie, also vom kleinen Krieg im großen. Er zeigt, wo der große Krieg los geht. Er legt den Finger in die Wunde – mit Lust. In einer Zeit, in der die Heuchelei der großen Politik wieder tagtäglich und von jeder Seite vorgeführt wird, ist dieses Werk, voll berauschender Vielseitigkeit, aber mit Figuren ohne jeden Halt, schon ein großer Teil der Wahrheit.
Link: mehr ...
952.html