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Bündnis 90 / Die Grünen
Der Vertrauensmann

"Winfried Kretschmann ist Kult" - mit diesem Satz beginnt das Porträtbuch, das die Journalisten Johanna Henkel-Waidhofer und Peter Henkel über den grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg geschrieben haben. Er sei zum zweiten Mal gewählt worden, nicht weil - sondern obwohl er ein Grüner ist.

Von Barbara Roth | 13.03.2017
    Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann
    Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (imago)
    "Wenn man etwas schaffen will, das bleibt, dann muss man seine ganze Energie da rein stecken. So habe ich das all die Jahre gemacht…"
    Sagt ein Großvater, der seinem Enkelkind in der hauseigenen Werkstatt mit Hingabe ein Holzpferd bastelt. Nichts an diesem Wahlwerbespot war erfunden: Winfried Kretschmann ist ein leidenschaftlicher Hobby-Handwerker; die Werkstatt im schwäbischen Laiz gibt es wirklich. Vor der Landtagswahl 2011 hatten die baden-württembergischen Grünen noch mit Inhalten geworben. Im vergangenen Jahr allerdings ihren Wahlkampf komplett auf die Person Kretschmann zugeschnitten.
    "Mein Name ist Winfried Kretschmann. Und ich bin Ihr Ministerpräsident."
    "Am 13. März grün wählen für Kretschmann."
    Das taten im eher konservativen Baden-Württemberg 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler. Sie stimmten für Kretschmann nicht weil, sondern obwohl er ein Grüner ist. Johanna Henkel-Waidhofer und ihr Mann Peter - beide sind Journalisten - beobachten den 68-Jährigen schon seit mehr als 30 Jahren. Es ist ihr zweites Porträtbuch über den Grünen-Politiker. Titel: "Der Vertrauensmann". "Winfrid Kretschmann ist Kult" schreiben sie gleich zu Beginn:
    Ein bürgerlicher Superrealo
    "Das Standing hat viele Gründe: Seine Art, Aufmerksamkeit zu erregen, ist knitz, wie die Schwaben sagen, wenn sie meinen: schlau, aber auf eine liebenswürdige Weise. Der große Mann mit den sprechenden Händen ist interessant auch deshalb, weil er sich nicht interessant macht. Das Sich-Spreizen ist ihm fremd, ungefähr so fremd wie der Physikerin aus dem Osten im Kanzleramt."
    Authentisch, kantig, bodenständig, ehrlich, pragmatisch - das sind nur einige der Adjektive, mit denen die Autoren Kretschmann beschreiben. Es mit einem Grünen zu tun zu haben, der genauso gut bei der CDU sein könnte, davon sind nicht nur sie überzeugt. Kretsch - wie man ihn nennt - ist ein durch und durch bürgerlicher "Superrealo". "Ganz oben in der Publikumsgunst" ist ein Kapitel im Buch überschrieben. Kurz nach der Landtagswahl war der Ministerpräsident im ZDF-Politbarometer nämlich in die Riege der beliebtesten deutschen Politiker aufgestiegen. "Und was bringt mir das jetzt?" - seine im Buch zitierte Reaktion ist typisch für ihn:
    "Als Christ weiß man, dass zwischen Hosianna und kreuzigt ihn nur drei Tage liegen können. Also da muss man immer vorsichtig sein und sich nicht darauf verlassen, da muss man selber orientiert sein."
    "Er versteht sich tatsächlich als Volksvertreter, er ist als Vertreter des Volks - mittendrin. […] Anfangs hat er den inoffiziellen Titel des Landesvaters zurückgewiesen, weil ihm das zu paternalistisch sei. Aber dann sei ihm aufgegangen, dass die Menschen gerade in Krisenzeiten einen Ministerpräsidenten brauchen, der Ruhe und Besonnenheit ausstrahlt."
    Soziale Gerechtigkeit nicht sein Thema
    In 17 Kapiteln - ein Interview und viele Bilder sind angehängt - erfährt der Leser viel über den Schwaben: Er ist Christ, aber nicht strenggläubig. Er wäre gerne Bundespräsident geworden und hätte es wohl auch gut gemacht. Er hat aus Liebe zur Natur die baden-württembergischen Grünen mitgegründet. Er gehörte im Mai 1980 zu den ersten sechs Grünen, die in den Stuttgarter Landtag einzogen. Und er hat sich mit seiner Partei aber immer wieder überworfen.
    "Winfried Kretschmann in Rage ist ein Erlebnis, das über die Jahrzehnte hinweg etliche tausend Delegierte auf grünen Parteitagen haben durften. Überschnappende Stimme, deftiges Vokabular, schiere Angriffslust, und am liebsten nicht etwa auf die politische Konkurrenz, sondern auf die in den eigenen Reihen, die sich zuschulden kommen lassen, was in seinen Augen eine politische Todsünde ist: mit Weltverbesserer-Gestus Bürger vergraulen, Vorstöße nicht zu Ende denken, Wahlchancen vermasseln."
    Lesenswerte Anekdoten über sein Hadern mit den Fundis gibt es im Buch viele. An Kretschmann reiben sich die Parteilinken. Und auch das Autoren-Paar Henkel. In der Steuerdebatte blende er das Thema soziale Gerechtigkeit weitgehend aus, werfen sie ihm vor. Die Zeitarbeiterin mit zwei Jobs und drei Kindern stehe selten bis gar nicht im Fokus seiner Überlegungen. Stattdessen - und daraus macht Kretschmann auch keinen Hehl - verstehe er sich als Anwalt der baden-württembergischen Wirtschaft, wenn er gegen Jürgen Trittin und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer kämpft.
    "Kein Bock auf links der SPD"
    "Noch immer gilt für ihn der Satz, mit dem er schon auf einem der allerersten Parteitage - im Sommer 1981 - Delegierte gegen sich aufbrachte: "Ich habe keinen Bock, in einer Partei links von der SPD zu sein." 35 Jahre später hört sich die Konsequenz daraus so an: "Der Mittelstand muss in der Lage sein, im härter werdenden internationalen Wettbewerb zu bestehen, als eine der stärksten Säulen gegen den Raubtierkapitalismus."
    Auf dem Bundesparteitag im vergangenen November ging Kretschmann damit sang- und klanglos unter. Und dennoch ist sein Einfluss auf den Bundestagswahlkampf der Grünen nicht zu unterschätzen. Der Schwabe, heißt es, wünsche sich Schwarz-Grün in Berlin. Im Buch kann man aber nachlesen, dass sich Kretschmann im Laufe der Jahrzehnte mal für ein Bündnis mit der SPD, mal für eines mit der Union auf Bundesebene stark gemacht hat. Mit Martin Schulz jedenfalls versteht er sich ähnlich gut wie mit Angela Merkel. Dass er ihre erneute Kanzlerkandidatur begrüßte, kam allerdings bei vielen Grünen nicht gut an. Warum er im Bundesrat zugestimmt hat, auch die Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, bleibt vielen ebenfalls ein Rätsel.
    Der Kanzlerinnenversteher
    "Er will einen mittleren Weg gehen, weil er ihn für richtig hält und die Einheimischen nicht überfordern will. Wer dem Land zu viel zumutet, der riskiert den Kollaps und läuft Gefahr, dass er irgendwann keinem Flüchtling mehr helfen kann. Dass er damit aneckt, ist ihm klar, aber das nimmt er in Kauf. […] Beim späteren Koalitionspartner CDU und nicht nur dort wird er abgestempelt als "Kanzlerinnenversteher", als Grüner, der schwarz redet, ohne rot zu werden."
    Leider erfährt der Leser im Buch wenig darüber, wie es um die grün-schwarze Koalition steht, die Baden-Württemberg seit einem Jahr regiert. An der Stelle hätte etwas mehr Zeit bis zur Veröffentlichung gut getan. Kretschmanns Stellvertreter im Kabinett, CDU-Landesparteichef Thomas Strobl, etwa steht enorm unter Druck: Von ihm wird bei der Bundestagswahl ein gutes Ergebnis für die CDU erwartet. Profilierungsversuche gegen Kretschmanns Grüne deuten sich bereits an. Der bleibt gelassen:
    "Vielmehr kehrt er immer öfter den geduldigen Pädagogen heraus, der zum zigsten Mal erklärt, wie dieses und jenes gehen kann. Und erwirbt sich damit nach und nach bei vielen im Land Vertrauen. Des isch a rechter Kerl, heißt das höchste Lob im Schwäbischen."
    Johanna Henkel-Waidhofer, Peter Henkel: "Der Vertrauensmann. Winfried Kretschmann - Das Porträt"
    Herder Verlag, 224 Seiten, 19,99 Euro.