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Bürgerwehr in München
Freiwillig auf Streife gehen

Seit 1994 gibt es in Bayern eine ehrenamtliche Sicherheitswacht, in der Bürger auf freiwilliger Basis als Hilfspolizisten angestellt werden. Nun will die Staatsregierung die Zahl der Mitglieder von aktuell 780 auf 1.500 verdoppeln. Oppositionspolitiker in Bayern sehen das kritisch. Auch in der Polizeigewerkschaft gibt es ablehnende Stimmen.

Von Michael Watzke | 18.08.2016
    Die Hohenzollernstraße in München.
    Die Bürgerwehr soll das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in München erhöhen. (imago stock&people)
    München, Hohenzollernstraße. Ein Mann im blauen Poloshirt mit aufgesticktem Bayern-Wappen beobachtet die Kreuzung.
    "Ghashghai, grüße Sie! Von der Münchner Sicherheitswacht!"
    Atabak Ghashghai, Anfang 40. Breites Kreuz, freundliches Lächeln.
    "Ich bin Flüchtling. Wir sind 1979 – meine Eltern, mein Bruder und ich – nach Deutschland gekommen. Wurden von der Gesellschaft sehr freundlich empfangen. Damals – ich kann mich noch sehr gut erinnern – war Asylant kein Schimpfwort. Und für mich war seitdem immer der Wunsch, auch was zurückzugeben."
    Das tut der gebürtige Iraner nun. Einmal die Woche. Auf Streife durch sein Heimatviertel.
    Freiwillig auf Streife gehen
    "Schwabing! Das Herz Münchens! Ich wohne da, deswegen gehe ich da auch gerne und mit Leidenschaft… gibt keine Ecke, die ich da nicht kenne. Man patrouilliert, man kommuniziert, auch non-verbal. Strahlt die Leute freundlich an. Die gucken, weil in München noch nicht genügend Bürger wissen, was die Sicherheitswacht ist. Was wir machen. Die verwechseln uns vielleicht noch mit einer normalen Security."
    Ein normaler Sicherheitsdienst allerdings wird normal bezahlt und hat normale Dienstzeiten. Ghashghai dagegen, hauptberuflich Unternehmensberater, ist freiwillig unterwegs. Ohne Waffe, nur mit Abwehrspray und Funkgerät. Für eine Stunde Streifegehen bekommt er acht Euro von der örtlichen Polizeidienststelle. Die hat Ghashghai ebenso ausgewählt und ausgebildet wie seinen Streifen-Kollegen Peter Rickert, einen 58-jährigen, baumlangen Münchner.
    "Das waren 40 Stunden. Ein Wochenende und ein Donnerstagnachmittag. Grundsätze des Bürgerlichen Gesetzbuches. Strafrecht. Wir haben ja ein paar besondere Rechte, das heißt, wir dürfen befragen, dürfen Personalien aufnehmen, dürfen Platzverweise erteilen. Wir haben dann gottseidank auch viele praktische Beispiele gemacht. Dass man wirklich mal so mit erfahrenen Polizisten den ganzen Tag auf der Straße ist. Die haben uns gezeigt, worauf es eigentlich ankommt."
    Es komme vor allem auf Präsenz an, sagt die Polizei. Sehen und gesehen werden – eine geradezu ur-münchnerische Verhaltensform. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann behauptet, die blau uniformierten Sicherheitswachtler erhöhten das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung.
    "Bürger schützen Bürger. Und wenn wir da jetzt noch mehr Menschen gewinnen, da mitzumachen, können wir dadurch Bayern noch sicherer machen."
    Ablehnende Stimmen aus der Polizeigewerkschaft
    Herrmann will die Zahl der ehrenamtlichen Bürger-Cops von derzeit knapp 800 verdoppeln. Oppositionspolitiker in Bayern sehen das kritisch. Auch in der Polizeigewerkschaft gibt es ablehnende Stimmen. Vor ein paar Jahren musste die Münchner Polizei einen Sicherheitswacht-Mitarbeiter suspendieren, nachdem bekannt wurde, dass der Mann politisch verfängliche Mails verschickt hatte. Solche Menschen sollten ebenso wenig durch die Stadt patrouillieren wie Abenteuerlustige oder Waffennarren, sagt Atabak Ghashghai.
    "Ich bin von Natur aus Pazifist. Deswegen bin ich auch froh, dass wir eingeschränkte Befugnisse haben. Ich bin der Ansicht, man kann alles durch freundliche, gute Kommunikation deeskalieren. Falls wir etwas sehen, gehen wir erst einmal einen Schritt nach hinten. Dann rufen wir – wie alle anderen – die 110. Oder direkt unsere Polizeidirektion. Dann melden wir das. Und Punkt."
    Ghashghai biegt in die Königinstraße ein, direkt am Englischen Garten. Diese Route hat ihm sein Kontaktbeamter in der Polizeidienststelle Schwabing vorgegeben.
    "Man sieht jetzt zum Beispiel – Grenzbereich Englischer Garten – hier so Gebüsch. Wir haben ja immer wieder mal so Exhibitionisten in München. Man kriegt irgendwann einen anderen Blick für sowas."
    Gefunden hat er noch keinen Exhibitionisten, sagt Ghashghai. Sein Kollege Peter Rickert schon - in der Ausbildung. Dort habe ein Polizeibeamter eine sexuelle Belästigung nachgestellt - als Übungsbeispiel.
    "Freundlich gucken, weitergehen"
    "Jeder im Kurs ist sofort auf den Täter zu, hat versucht, ihn wegzudrängen. Aber eigentlich steht ja das Opfer im Mittelpunkt. Das fand ich sehr wichtig, dass man lernt: ich gehe nicht auf den Täter, sondern das Opfer zu. Das ist die Aufgabe: das Opfer zu schützen und ihm ein sicheres Gefühl zu geben. Nicht, mich um den Täter zu kümmern."
    Dafür ist die Polizei zuständig. Rickert und Ghashghai würden die Beamten im Ernstfall per Funk alarmieren. Heute bleibt alles ruhig – wie bisher eigentlich immer. Gut so, sagt Rickert.
    "Ich mag das Stadtviertel, wissen Sie. Ich liebe das Viertel und möchte, dass es so bleibt, wie es ist. Und wenn ich dazu nur einen ganz kleinen Beitrag leisten kann, wäre das okay."
    Sein Kollege Ghashghai nickt und streicht sich mit der Hand durch den Bart. Eine ältere Dame kommt ihm entgegen. Sie schaut mit einer Mischung aus Neugier und Stirnrunzeln. Ghashghai macht, was er in solchen Momenten immer macht:
    "Freundlich gucken, weitergehen. Wir als Sicherheitswacht – so habe ich das verstanden – halten uns sehr dezent im Hintergrund. Wir sind zwar sichtbar. Aber wenn jemand eine Frage oder ein Anliegen hat, kommt er oder sie auf uns zu."
    Am Ende eines solchen Gesprächs stehe dann fast immer ein Dankeschön, sagt Atabak Ghashghai von der Münchner Sicherheitswacht.