Regierungsrücktritt
Politisches Beben in Bulgarien

Bulgariens Regierung ist nach Massenprotesten zurückgetreten. Demonstranten hatten ihr Korruption vorgeworfen. Was bedeutet das für das EU-Land, das im Januar den Euro einführt?

Kristina Reymann-Schneider |
    Eine Menschenmenge protestiert gegen die Regierung in Bulgariens Hauptstadt Sofia am 10.12.2025.
    Im ganzen Land versammelten sich am 10. Dezember 2025 überwiegend junge Bulgarinnen und Bulgaren, um gegen ihre Regierung zu demonstrieren. (picture alliance / Anadolu / Hristo Vladev)
    Eigentlich sollte am Donnerstag (11.12.2025) im bulgarischen Parlament über einen Misstrauensantrag abgestimmt werden. Aber nach den Massenprotesten am Abend zuvor gab Ministerpräsident Rossen Scheljaskow überraschend den Rücktritt der Regierung bekannt. 
    Am Mittwochabend sollen laut Schätzungen bis zu 150.000 Demonstrierende ins Regierungsviertel der bulgarischen Hauptstadt Sofia gekommen sein. Auch in Plowdiw, den Schwarzmeerstädten Warna und Burgas sowie zahlreichen anderen Orten forderten viele Menschen den Rücktritt der Minderheitsregierung, die erst seit Januar 2025 im Amt war. 
    Konservative (Gerb-SDS), prorussische Sozialisten und Populisten (ITN) hatten gemeinsam ein Regierungsbündnis gebildet, waren aber auf die Unterstützung der türkischen Oppositionspartei DPS angewiesen.

    Korruption in Bulgarien weit verbreitet

    Bereits seit zwei Wochen gehen Teile der bulgarischen Bevölkerung auf die Straße, zunächst, um gegen die Haushaltspläne für 2026 zu protestieren. Vor allem der staatliche Sicherheitsapparat hätte eine Menge Geld erhalten sollen. Doch der gilt als korrupt und soll weitgehend unter der Kontrolle des Oligarchen und DPS-Parteichefs Deljan Peewski stehen. Die Demonstranten erreichten, dass der Etatentwurf zurückgezogen wurde. Laut Transparency International ist Korruption in Bulgarien weit verbreitet. Innerhalb der EU hat nur Ungarn einen noch schlechteren Wert.
    Die politische Krise in Bulgarien hält schon länger an. Nach massiven Anti-Korruptions-Protesten im Jahr 2020 gegen die damalige Regierung von Ministerpräsident Bojko Borissow hat das südosteuropäische Land bereits sieben vorgezogene Neuwahlen erlebt. Nun steht das Land schon wieder ohne Regierung da. Dabei erwartet es einen politischen und wirtschaftlichen Meilenstein: Am 1. Januar 2026 soll der Euro in Bulgarien eingeführt werden.   

    Journalistin Vladkova: „Aus Resignation auf die Straße gegangen“

    Zu Beginn des Jahres hätten viele Bulgaren gehofft, dass mit dem ungewöhnlichen Regierungsbündnis die langanhaltende politische Krise und die Polarisierung in der Gesellschaft überwunden werden könnten, sagt die Journalistin Vessela Vladkova vom öffentlich-rechtlichen Bulgarischen Nationalen Rundfunk (BNR). Doch diese Hoffnungen hätten sich nicht erfüllt. „Man hat in all diesen zehn Monaten keine spürbare Verbesserung des Lebens gespürt.“ Eine stabile Regierung, Reformen, eine gerechte Justiz – nichts davon sei eingetroffen.
    „Mein Eindruck ist, dass die Menschen in Bulgarien einfach aus Resignation auf die Straße gegangen sind“, sagt Vladkova. Zur innenpolitischen Krise kämen die globalen Herausforderungen: der Krieg gegen die Ukraine, der wirtschaftliche Abschwung Europas, die Politik Donald Trumps. „All das wirkt sich natürlich auch aus auf das kleine Land Bulgarien. Unsere Wirtschaft ist sehr abhängig von Europa und ganz speziell auch von Deutschlands Wirtschaft.“

    Protestierende Junge, müde Alte

    Protestiert hätten vor allem jungen Menschen, weil sie sozialen Druck spürten. Viele hätten im Ausland studiert und gelernt, wie es ist, in einer funktionierenden Demokratie zu leben. Aber auch viele Ältere hätten Grund zum Protest. „Die Rentner in Bulgarien leben wirklich sehr, sehr schwer mit sehr niedrigen Renten. Aber sie sind auch müde“, sagt Vladkova. „Proteste gab es ja in Bulgarien in diesen Nachwendejahren immer wieder und haben letztendlich nicht zu dieser intakten Zivilgesellschaft und auch nicht zu dieser festen Demokratie geführt, die man sich in ‘89 gewünscht hat und wofür man damals auf die Straße gegangen ist. Und deshalb haben es jetzt die Jüngeren in die Hand genommen.“
    Eine Struktur habe die Protestbewegung bislang jedoch nicht, weil die Opposition sehr zerstritten sei. Womöglich könnte am Ende davon der amtierende prorussische Präsident Rumen Radew profitieren, der wohl eine eigene prorussische, rechtspopulistische Partei gründen will. „Dieser Mensch findet großen Gefallen bei vielen Bulgaren und es könnte sich herausstellen, dass unterm Strich dann eben der Präsident mit seiner neuen Partei der große Gewinner von dieser Protestbewegung sein wird.“