Die Meinungsumfragen sprechen eine deutliche Sprache: Kurz vor der Parlamentswahl am Sonntag führt das königliche Wahlbündnis haushoch. Mit zur Zeit ca. 35 Prozent Unterstützung wird die "N-B-S-zwei" als sicherer Wahlsieger gehandelt. Die regierende Mitte-Rechts-Koalition Vereinigte Demokratische Kräfte (VDK) des Ministerpräsidenten Ivan Kostov kann mit ca. 20 Prozent der Stimmen rechnen, die postkommunistische Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) liegt nach wie vor unter 15 Prozent. Beobachter halten es für unwahrscheinlich, dass die bisherigen politischen Hauptakteure in der Lage sein werden, den Vorsprung der Royalisten aufzuholen.
Bislang präsentiert sich die Bewegung NBS2 vor allem als Protestpartei, die die Stimmen der Unzufriedenen im Lande auffängt: Nach der katastrophalen Regierungszeit der letzten postkommunistischen Regierung 1994 bis 1997 und nach der restriktiven Finanzpolitik von Ministerpräsident Kostov suchen viele Bulgaren wieder nach einer Alternative. Wirtschaft und Haushalt hat Kostov zwar sanieren können, doch der gewünschte Wohlstand ist nach wie vor ausgeblieben. Hinzu kommen einige sehr fragwürdige Privatisierungsaufträge, die angeblich nicht die Staatskasse, sondern die VDK-Parteifinanzen und das Privatvermögen von Ministern und hohe Beamten saniert haben.
Und die Royalisten setzen gerade hier an: In ihrem 800-Tage-Programm verspricht die NBS2 eine radikale Bekämpfung der Korruption und der Armut, ein Aufleben der Investitionstätigkeit, mehr soziale Sicherheit für die Bevölkerung und schlie?lich eine Versöhnung der bislang gespaltenen postkommunistischen Gesellschaft in Bulgarien. Unklar bleibt allerdings, was genau eine NBS2-Regierung in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik anders machen würde als die jetzige Regierung. Deren Reformweg wird nämlich von den meisten politischen Parteien im Lande und von den westlichen Partnern als grundsätzlich richtig eingeschätzt.
Das mag überraschend klingen, aber es ist auch ein Stück Normalität: in den entscheidenden Wirtschaftsfragen predigen alle ernstzunehmende Parteien in Bulgarien praktisch das Gleiche. Der Währungsrat, ein Instrument des Internationalen Währungsfonds zur Kontrolle der Staatsausgaben, der 1997 nur von wenigen Fachleuten bedingungslos akzeptiert worden war, gilt heute für alle als unverzichtbar. Haushaltsdisziplin, niedrige Inflationsraten, Wirtschaftswachstum von ca. 4 Prozent im Jahr - der Währungsrat hat sich durch seine Arbeit bestätigt und alle wissen dies. Auch die fast abgeschlossene Privatisierung des Staatseigentums wird nicht mehr in Frage gestellt, denn dadurch sind die Devisenreserven auf stattliche 3 Mrd. US-Dollar gewachsen und viele Betriebe haben ihre Produktion bereits wieder aufgenommen. Ein Wachstum der ausländischen Investitionen, die Steuerreform, die Einführung von Kranken- und Sozialversicherungen, die lebhafte Investitionstätigkeit im Tourismusbereich - all dies sind Schwerpunkte (um nur einige zu nennen), die den größeren Parteien gemeinsam sind. Sogar die exkommunistische Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) präsentiert sich zur Wahl mit einem modernen, fast bürgerlichen Image. Ihr stellvertretender Parteivorsitzender Rumen Ovtscharov dazu:
Bis vor kurzem galt allgemein, dass die BSP eine negative Einstellung gegenüber dem Privateigentum hat. Dies ist heutzutage nicht mehr der Fall. In einem Staat mit einem 75-prozentigen Anteil an Privat- Wirtschaft sehen wir nur einen möglichen Ausweg aus der Krise: die Politik muss einfach die Grundbedingungen zur Weiterentwicklung der privaten Marktwirtschaft schaffen. Wir bauen also auf den Realismus, auf den Pragmatismus, auf die Kontinuität in der Wirtschaftspolitik.
Was noch fehlt ist frisches Kapital aus dem Ausland. Denn in den 11 Jahren nach der politischen Wende hat die bulgarische Wirtschaft weniger als zehn Mrd. US-Dollar an Investitionen ins Land geholt, während andererseits die Kapitalflucht in ausländische Steuer-Oasen die Produktion in vielen Betrieben lahmgelegt hat. Diese Entwicklung erklären die In- und Auslandsexperten mit den ungünstigen Rahmenbedingungen, mit der ausufernden Bürokratie, mit der Korruption und der Vetternwirtschaft.
Beispielhaft dafür steht die Privatisierung der nationalen Fluggesellschaft "Balkan Air", die in einer sehr fragwürdigen Ausschreibung an die unbekannte israelische Zeevi-Group verkauft worden war und Monate später Konkurs anmeldete. Von vielen Bulgaren als eine "nationale Demütigung" empfunden, sorgte der Konkurs von "Balkan Air" für kräftigen Rückenwind zugunsten der Königspartei.
Als Antwort auf die Antikorruptions-Rhetorik der NBS2 betonen die Regierungsvertreter zwar, dass die Bewegung kein deutliches politisches Profil habe, dass sie Beziehungen zu der Schattenwirtschaft in Bulgarien unterhalte und dass der Ex-König nähere Informationen zu den Finanzen der Partei hartnäckig verweigere. Aber für solche Details scheinen sich die Wähler Bulgariens im Augenblick kaum zu interessieren. - Solomon Passy, außen- und sicherheitspolitischer Sprecher der NBS2 und ehemaliger VDK-Abgeordneter lässt sich von solcher Kritik nicht stören:
Als wir vor 10 Jahren die VDK gründeten, war diese Organisation zu Beginn auch ein Sammelsurium von ganz unterschiedlichen Ideen und Menschen, auch viele Künstler, Musiker und Intellektuelle waren dabei. Innerhalb von 10-12 Jahren ist daraus eine echte, gut organisierte Partei geworden. Ich glaube, auch die Nationale Bewegung wird zwangsläufig diese Entwicklung durchmachen müssen, inklusive aller Kinderkrankheiten, um sich schließlich als eine Partei von Gleichgesinnten zu sehen.
Von "Gleichgesinnten" spricht Solomon Passy nicht zufällig. Denn am Anfang galt die NBS2 als eine antieuropäische und Anti-Nato Partei. Simeon II hat allerdings die Gefahr wahrgenommen und Leute wie den Nato-Anhänger Passy oder einige junge und erfolgreiche Vertreter der bulgarischen Diaspora in Europa in sein Boot geholt. Das aber heißt noch lange nicht, dass der interne Gleichklang in Sachen EU und Nato schon hergestellt ist, obwohl sich die Nationale Bewegung offiziell zu den euroatlantischen Werten bekennt. Solomon Passy:
Kurzfristig erhoffen wir uns eine Einladung zur Nato-Mitgliedschaft. Diese Einladung könnte noch beim Gipfeltreffen in Prag im kommenden Jahr zustande kommen. Mittelfristig erwarten wir eine Einladung zur EU-Aufnahme in den Jahren 2004-2005. Falls die Verhandlungen reibungslos ablaufen, könnte Bulgarien 2006, 2007 sogar schon EU-Vollmitglied werden.
Aber auch an diesem Punkt gehen die Einstellungen der größeren Parteien in Bulgarien kaum auseinander. Die stellvertretende Vorsitzende und Wahlmanagerin der VDK, Ekaterina Michailowa, gibt sich sogar noch optimistischer - die EU-Vollmitgliedschaft erwartet sie noch im Jahre 2005:
Die Schwerpunkte der VDK in der Außenpolitik bleiben unverändert: die Mitgliedschaft in der EU und in der Nato. Wir glauben, eine sehr gute Chance zu haben, die Einladung zur Nato-Aufnahme noch im kommenden Jahr zu bekommen - vorausgesetzt, die heutige Mehrheit bleibt an der Regierungsmacht.
Sogar die Sozialisten, die jahrelang als EU-Gegner galten und bis vor kurzem den Nato-Teufel an die Wand gemalt haben, akzeptieren mittlerweile die politische Realität. Seinen Beitrag dazu hat auch Rumen Ovtscharov geleistet:
Vor einem Jahr haben wir zum Thema Nato eine schwierige Diskussion in der Partei gehabt. Die Mitgliedschaft Bulgariens in der Nato und vor allem in der EU sind für uns nun die Hauptziele der Außenpolitik. Wir möchten aber auch die Beziehungen zu Russland wieder beleben. Denn die bisherige Politik hat die bilateralen Beziehungen bis ins Absurde vernachlässigt, so dass wir eine langjährige Arbeit brauchen, um das wiedergutmachen zu können. Mit Russland haben wir ein Außenhandelsdefizit von 1 Mrd. US-Dollar und einen Handelsumsatz von nur 100 Millionen Dollar - das sind für Bulgarien ganz schlechte Ausgangsbedingungen. Also, Bulgarien muss die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland wiederherstellen - und das kann nur meine Partei erfolgreich durchsetzen.
Der außenpolitische Konsens über die Parteigrenzen hinweg schließt auch die "Balkan"-Problematik mit ein. Gleichberechtigte, freundschaftliche Beziehungen zu allen Nachbarn, eine stabilisierende Politik im Einklang mit den Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, sowie die aktive Mitarbeit an dem von Deutschland initiierten Stabilitätspakt für Südosteuropa - dies sind die weitgehend übereinstimmenden Zielvorgaben in der Balkanpolitik der drei größeren Parteien. Ekaterina Michailowa spricht dazu im Namen der noch regierenden Mehrheit:
Wir möchten Bulgarien weiterhin als einen Faktor der Stabilität in der Region sehen. Die Stabilität Bulgariens ist von entscheidender Bedeutung für die Stabilität des Balkans. Auch die Aufnahme Bulgariens in die EU und in die Nato ist davon abhängig: ob wir hier, vor Ort unsere Aufgaben lösen können. Wir hoffen auf eine Weiterentwicklung des Stabilitätspaktes. Vor allem - auf die Durchführung einiger Schlüsselprojekte, zum Beispiel die zweite Donau-Brücke von Bulgarien nach Rumänien.
Die VDK-Wahlmanagerin verschweigt allerdings einige balkan-politische Missgriffe der heutigen Regierungsmehrheit, die auch auf internationale Kritik gestoßen sind. Da war zuerst der Versuch, den Stabilitätspakt zu Gunsten kurzfristiger politischer Ziele zu instrumentalisieren und die Drohung, Bulgarien könnte den Pakt verlassen, sollte die - inzwischen aufgehobene - Visumspflicht für die sogenannten "Schengen"-Staaten in Europa weiter in Kraft bleiben. Dann kamen einige nicht durchdacht formulierte Hilfsangebote an die krisengeschüttelte Nachbarrepublik Mazedonien, die - nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer schwer belasteten gemeinsamen Vergangenheit - in mazedonischen Skopje, aber auch in Europa als höchst bedenklich interpretiert worden waren. Auch das mittlerweile geplatzte Wahlbündnis mit der national-revanchistischen Partei VMRO, die diesen Namen mit der in Mazedonien regierenden VMRO-DPMNE-Partei teilt, war für die VDK eine schwere Last. Aus diesen Fehlern hat offenbar die "N-B-S-zwei" gelernt. Solomon Passy:
Wir planen keine Improvisationen und keine Alleingänge. Der Balkan ist eine sehr sensible Region, wo die Probleme nur mit der Unterstützung der internationalen Institutionen - der EU, der Nato, der UNO und so weiter - gelöst werden können. Hier sollte Bulgarien eher mit Ideen helfen. Allerdings: Die internationalen Sicherheitskräfte haben zur Zeit auf dem Balkan ihr Hauptquartier im bulgarischen Plovdiv, also könnte sich das Land unter Umständen auch als aktiv handelnder Partner bei Friedensmaßnahmen zeigen.
Im Gesamtkomplex "Balkan" ist auch eine weitere, für Bulgarien entscheidende Frage zu beantworten: Wie soll man die rund 10 Prozent starke türkische Minderheit im Land an der Politik mitwirken lassen? In den letzten 11 Jahren hat man das sogenannte "bulgarische ethnische Modell" praktiziert, mit der "Bewegung für Rechte und Freiheit" - BRF - als politischer Repräsentantin der bulgarischen Türken. Diese im Parlament vertretene Partei hat sich allerdings zu einer abgekapselten, autoritär strukturierten Organisation entwickelt, die ihre Stammwählerschaft schon fast auf Befehl in die Wahllokale schickt. Viele ihrer Wähler sind deswegen davongelaufen, die Auswanderung in die Türkei tat das Übrige und heute steht die BRF zum ersten Mal seit 1990 vor der Gefahr, die 4-Prozent-Hürde nicht mehr überwinden zu können. Die VDK, die mittlerweile einige Wahlkreise in den von Türken besiedelten Regionen für sich gewinnen konnte, wirbt für ein neues inter-ethnisches Model, für Integration statt Selbst-Isolation. Aus bitterer Erfahrung weiß man allerdings, dass die Integration einer Minderheit auf dem Balkan oft fatale Folgen haben kann. Deshalb, aber auch um ganz einfach Mehrheiten zu sichern, verteidigen sowohl die Sozialisten, als auch die Royalisten das bisherige gültige "bulgarisch-ethnische" Modell.
Politiker und Beobachter in Bulgarien sind derzeit lebhaft dabei, die mathematischen und politischen Optionen für eine Regierungsbildung nach der Wahl herauszufinden. Da eine absolute Mehrheit für die NBS2 immer unwahrscheinlicher wird, muss wohl mit einer Koalition gerechnet werden. Auf den ersten Blick erscheint die heute regierende VDK als natürlicher Partner des Ex-Königs und seiner Gefolgschaft. Darauf deutet in beiden Lagern auch vieles hin; nur Ministerpräsident Kostov lehnt eine solche Koalition bislang ab. Dies könnte nach der Wahl in der Konsequenz sogar zu einem Machtwechsel an der VDK-Spitze führen. Als mögliche Nachfolger von Kostov gelten der populäre Bürgermeister von Sofia, Stefan Sofianski, der auch vom Ex-König akzeptiert wird, oder die amtierende Außenministerin Nadeschda Michailowa.
Simeon II. hat es geschafft, einige einflussreiche Persönlichkeiten für seine Sache einzuspannen, darunter ehemalige VDK-Abgeordnete und Minister. Zeitungsberichten zufolge, wird er eine breite Koalition zu schmieden versuchen, die sogar für die Sozialisten und die Vertreter der türkischen Minderheit offen sein dürfte. Das entspricht letztlich auch seiner knappen und schlichten politischen Botschaft: "Versöhnen. Armut und Korruption bekämpfen!"
Dennoch bleibt die offene Frage, was der Ex-König in der Politik langfristig erreichen möchte. Einige Beobachter und Politiker glauben, er werde doch den Versuch unternehmen, die Monarchie in Bulgarien wieder herzustellen. Gerade deswegen bleibe er solange im Hintergrund, bis die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen zu einem Systemwechsel im Lande gegeben seien. Denn einen "republikanischen" Posten zu übernehmen, würde den König als Thron-Kandidaten unglaubwürdig machen. Dies gilt übrigens auch für den Präsidentenposten, der in diesem Herbst neu zu besetzen ist. Um diesen Posten darf sich Simeon II laut bulgarischer Verfassung übrigens bis jetzt nicht bewerben, denn die letzten fünf Jahre hat er nicht ununterbrochen in Bulgarien verbracht. Und auch laut werdende Spekulationen über eine etwaige Verfassungsänderung bei einer neuen, pro-royalistischen Mehrheit nach den Wahlen am Sonntag sind im Grunde substanzlos, denn das Parlament kann so kurzfristig - bis zum Herbst - darüber gar nicht mehr entscheiden.
Hinzu kommt schließlich auch die jüngste Ankündigung von Präsident Petar Stojanov, sich ebenfalls bewerben zu wollen - um eine zweite Amtszeit. Stojanov ist nach Ansicht der meisten Beobachter im Augenblick der einzige Politiker in Bulgarien, der auf der Popularitätsskala dem König noch Paroli bieten kann. Und Stojanov hat den Zeitpunkt dieser Erklärung taktisch durchaus geschickt so gewählt, um seinen Parteifreunden in der heutigen Regierungsmehrheit politisch vielleicht noch unter die Arme zu greifen. Ob allerdings dieser Schachzug sowie die regelmäßig wiederholte eindringliche Mahnung, der König könnte Bulgarien am Ende destabilisieren, die Wahlchancen der VDK noch entscheidend verbessern werden - dies muss zur Stunde offen bleiben.