Mit dem überparteilich erarbeiteten Entwurf setze man um, was das Bundesverfassungsgericht verlange, betonte Castelluci. Der Entwurf will die Suizidbeihilfe über das Strafrecht regeln und sieht ein grundsätzliches Verbot der geschäftsmäßigen, also organisierten Suizidbeihilfe vor. Allerdings soll es Ausnahmen geben, wenn Sterbewillige sich von einem Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie mindestens zweimal im Abstand von drei Monaten untersuchen lassen und mindestens eine weitere Beratung durch einen Arzt oder eine Beratungsstelle bekommen. Nach der letzten Beratung sollen nochmals zwei Wochen bis zur Selbsttötung liegen müssen.
Alternativvorschlag sieht "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" vor
Der liberalere Alternativvorschlag einer Gruppe um die Grünen-Politikerin Künast zielt vor allem darauf, für Volljährige das "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" sicherzustellen. Der Suizidwillige kann nach einer Pflichtberatung in einer anerkannten Beratungsstelle zu einem Arzt oder einer Ärztin gehen, um sich das Arzneimittel zur Selbsttötung verschreiben zu lassen - sofern der Entschluss frei gefällt wurde und von einer "gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit" getragen ist. Die Verschreibung soll aber nur für einen bestimmten Zeitraum nach der Beratung möglich sein. In Härtefällen wie einer äußerst schweren Krankheit soll ein Arzt das tödliche Mittel ohne Beratungsbescheinigung verschreiben dürfen, wenn ein unabhängiger Kollege zur selben Einschätzung kommt. Die Bundesländer sollen ein Beratungsnetz aufbauen. Künast sagte dem Nachrichtenportal t-online, es brauche Schutzregeln und keine neuen Strafregeln.
Forderung nach mehr Suizidprävention
Die Ärzteschaft, die Kirchen und vielen Interessenverbände dringen vor allem auf eine bessere Prävention, zumal der allergrößte Teil der Suizidwünsche auf Krankheiten wie Depressionen oder seelische Not zurückzuführen sei. Demnach sollte die Prävention auch im Gesetzgebungsverfahren Vorrang haben. Hierzu haben beide Parlamentariergruppen je einen eigenen Entschließungsantrag eingebracht. Geplant ist unter anderem, die Einrichtung eines bundesweiten Hilfstelefons vorzuschreiben. Diakoniepräsident Lilie kritisierte den Zeitplan des Parlaments. Ein Suizidpräventionsgesetz müsse Vorrang haben vor denkbaren Regelungen zum assistierten Suizid, sagte Lilie der der "Augsburger Allgemeinen".
Kein Fraktionszwang bei Abstimmung
Für die Bundestagsdebatte sind drei Stunden angesetzt. Angesichts der ethischen Tragweite kann jeder Abgeordnete unabhängig von seiner Fraktionszugehörigkeit entscheiden. Beide Gruppen haben ähnlich viel Unterstützung. Bei vielen Abgeordneten ist aber unbekannt, wie sie abstimmen werden. Möglich ist auch, dass beide Gesetzentwürfe scheitern. Dann bliebe es bei der derzeitigen Rechtslage.
2020 hatte das Bundesverfassungsgericht das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt und ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben postuliert - unabhängig von Alter, Krankheit oder individueller Begründung. Dazu könne der Sterbewillige auch die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen, hieß es. Zugleich empfahlen die Karlsruher Richter dem Gesetzgeber, ein Schutzkonzept zu verabschieden.
Diese Nachricht wurde am 06.07.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.