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Bundestagswahl
Das Programm der Grünen

Die Wahlprogramme als politische Literatur: Unsere Korrespondenten haben alle Papiere der chancenreichen Parteien gelesen und ordnen sie nach bestimmten Kriterien ein. Nicht zuletzt interessieren uns der Stil und die Ansprechhaltung. Fünfter Teil: Bündnis 90 / Die Grünen.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 28.08.2017
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    Keine Kinkerlitzchen, es geht um die ganz großen Fragen: sie sind der Leitfaden im Grünen Bundestagswahlkampf 2017. (picture alliance / Peter Endig/dpa-Zentralbild/ZB)
    Ein wenig verkopft kommen die Überschriften schon daher: Welt im Blick, Freiheit im Herzen, Gerechtigkeit im Sinn. So sind die einzelnen Kapitel im Grünen Wahlprogramm überschrieben. Klingt zwar gut, aber Farbe bekommen diese Überschriften erst, wenn man sich die Mühe macht, die sage und schreibe 246 Seiten gründlich zu durchpflügen. Zentrales Element ist: Der Umwelt- und Klimaschutz.
    "Wir haben das Wissen, die Technik und den Erfinder*innengeist, um die Klimakatastrophe noch abzuwenden. Wir stehen deshalb jetzt vor einer Entscheidung: Kämpfen wir für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen oder sägen wir weiter an dem Ast, auf dem wir sitzen? Setzen wir auf dreckige Kohle wie Union und SPD oder auf schmutziges Öl wie Trump und Putin? Oder brechen wir auf in ein neues, grünes Zeitalter?"
    Keine Kinkerlitzchen, es geht um die ganz großen Fragen: sie sind der Leitfaden im Grünen Bundestagswahlkampf 2017. Dazu passen die immer wieder eingestreuten Schlüsselbegriffe: Mut, Zukunft, Würde, Gerechtigkeit, Freiheit. Die Grünen wollen immer noch die Welt verbessern.
    1. Die Schwerpunkte
    Am Ende des Grünen Wahlprogramms findet sich der so genannte "Zehn-Punkte-Plan für Grünes Regieren", eine Art "Best of" der vorangegangenen 231 Seiten. Zur Rettung des Klimas will die Ökopartei innerhalb der nächsten vier Jahre die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort abschalten.
    Zwei weitere zentrale Ziele sind der Kohleausstieg und das Ende des Verbrennungs-Motors bis zum Jahr 2030. Denn, so sagt Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt: "Wer Politik gegen die Umwelt und das Klima macht, der legt sich mit uns an…"
    "…und mit den Bienen. Und mit den Kiebitzen. Und mit den Zitronenfaltern auch. Ja, darum kümmern wir uns. Und darum legen wir ab dem 24. September Monsanto, der Kohlelobby, der Gentechnik und den Glyphosat-Fans das Handwerk, liebe Freundinnen und Freunde!"
    Allerdings: Die Angst, nach 2013 wieder als angebliche Verbots- und Sorgenpartei dazustehen, sitzt den Grünen im Nacken.
    2. Die Gesellschaft
    Die Grünen wollen mehr Solidarität und mehr Miteinander, das gilt für Deutschland und Europa genauso wie für Flüchtlinge aus Afrika und anderen Teilen der Welt.
    Im Wahlprogramm ist weiter vom Wohlstand für alle die Rede, von Chancengleichheit und generationengerechtem Zusammenleben. Erfrischend, aber leider viel zu selten, klingt das Programm ab und zu sogar rebellisch wie in alten Zeiten: Die Grünen lehnen ungebremstes Profitstreben ab, kündigen dann aber Widerspruch und Konsens zugleich an. Ja, was denn nun?
    "Es ist nicht immer leicht, die eigenen Ziele zu erreichen. Wir haben das oft genug erlebt. Manchmal braucht es Umwege und Kompromisse. Manchmal braucht es Widerstand und Kontroverse. Wir wissen auch nicht für alles schon die Lösung. Die Ziele sind für uns jedoch klar."
    Das Ehegattensplitting wollen die Grünen zumindest für neu geschlossene Ehen abschaffen, Familien, vor allem Alleinerziehende statt dessen mit zwölf Milliarden Euro entlasten. Die Ökopartei fordert außerdem einen Marshallplan für Straße und Schiene, ein deutschlandweit geltendes Mobilitätsticket, und entschieden mehr Radwege. Des Weiteren ein Einwanderungsgesetz, ein Ende der Massentierhaltung und einen Abschiebestopp nach Afghanistan.
    3. Die Kosten
    Das Grüne Wahlprogramm sprudelt nicht gerade über vor Zahlen. An einigen Stellen aber gibt es konkrete Vorschläge, vor allem beim Herzstück der Kampagne, dem Umwelt- und Klimaschutz: "Umweltschädliches Verhalten wollen wir nicht weiter subventionieren. So sind zum Beispiel schwere Dienstwagen und der Flugverkehr heute steuerlich bevorzugt, obwohl sie ökologisch schädlicher sind als ihre Alternativen. Subventionen wie diese belaufen sich auf über 50 Milliarden Euro pro Jahr. Es ergibt keinen Sinn, umweltschädliches Verhalten zu subventionieren. Eine ökologische Finanzreform muss deshalb den Abbau dieser ökologisch schädlichen Subventionen angehen."
    4. Die Praxis
    Namen wie Horst Seehofer oder Sarah Wagenknecht quittieren grüne Spitzenpolitiker meistens mit einem genervten Augenrollen. Allerdings wird mit Ausnahme der AfD kein Bündnis ausgeschlossen. Im Gegenteil, es gibt deutliche Avancen in Richtung CDU und FDP. So ist der Ausstieg aus der Kohle und dem Verbrennungsmotor bis 2030 zwar gewünscht, aber keine Bedingung für Koalitionsgespräche. Laut Umfragen ist derzeit ein Jamaika oder ein schwarz-grünes Bündnis denkbar. Grüne und FDP buhlen um Platz 3 - beide wollen die Partei der Freiheit sein.
    5. Der Stil
    Wenig überraschend: Die Grünen duzen ihre Wähler - zumindest im Wahl Spot und bei WhatsApp - und sie vereinnahmen sie auch gerne: Das gemeinsame "Wir" gehört zu fast jeder Kapitel-Überschrift im Wahlprogramm dazu. Und ganz wichtig: Die Grünen wollen "Mitmach-Partei" sein:
    "Bevor wir Ihnen sagen, was wir vorhaben, haben wir eine Bitte an Sie: Diskutieren Sie mit, mischen Sie sich ein, gehen Sie wählen. Treten Sie mit uns für die Werte ein, die unser Land und Europa stark und lebenswert gemacht haben."
    Ob Kinder, Tiere oder Autos: Dieses Wahlprogramm versucht alle Wünsche zu erfüllen. Das wirkt bisweilen beliebig. Doch wer Flora, Fauna und das Klima retten will, ist bei den Grünen immer noch am besten aufgehoben.
    Das Wahlprogramm von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Nachlesen