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Cafe Saratoga & Leichte Mädchen

Blond ist sie und hübsch, mit einer leichten Neigung ins Hasihafte. Die oberen fünfzig Prozent sind genau so, wie man sich eine Autorin von teuflisch herzigen Mädchengeschichten vorstellt: Sie spielt ein wenig mit den langen Haaren, wirft sie von vorne nach hinten und wieder andersherum, kichert, blinzelt niedlich und faltet die Hände beim Sprechen. Die unteren fünfzig Prozent von Malin Schwerdtfeger sehen aus als wäre sie Trainee der Sparkassenfiliale Worpswede: gebügelt, fusselfrei md ganz unten trägt sie fraulich cremefarbene Riemchenstylettos. Malin Schwerdtfeger kommt von einer Lesung. Wovor es nicht wenigen Autoren graut, nämlich vor dem direkten Kontakt mit einer kompakten Menge Fans: Die 29-jährige mag das. Ist immer Entertainerin eines sympathischen Abends, nicht nur weil sie selbst so nett ist, aber vor allem, weil ihre Geschichten es faustdick, aber nicht nur hinter den Ohren haben. Die Bachmann-Stipendiatin und Debüt-Autorin des Kurzgeschichtenbands Leichte Mädchen und des gleichzeitig geschriebenen Romans Cafe Saratoga erzählt von Müttern im Himalaya und Dörfern unter Molkereieinfluss. Sie weiß von Vorstadtdämonen und Katzen, die die Pille nehmen. Sie berichtet vom Elend der Eltern und wie man einen Mercedes entjungfert. Ihre Geschichten sind rot und feucht wie menstruierende Mädchen. Und manchmal sind sie hart wie Papas "sisiak", den er gelegentlich auspackt und von dem es heißt: "Er war brombeerfarben, fast schwarz, mit einem bläulichen Hut, wie ein giftiger Pilz, weshalb die Frauen davor erschraken. " Malin Schwerdtfeger erzählt vom Grauen, das heranwachsende Mädchen vor ihren Eltern überkommt. Aber das tut sie sehr leicht:

Brigitte Neumann |
    Leichtigkeit hat ja immer auch was mit Nähe und Distanz zu tun, daß ich also eigentlich meinen Figuren auch nicht zu nahe kommen will. Und diese Leichtigkeit macht es mir möglich, eine Distanz zu kriegen, die nicht so kalt ist. Wenns ganz nah rangeht, auch wieder weggehe. Das ist meine Art, meinen Figuren auch ihre Autarkie zu lassen, also nicht zu werten. Das mochte ich gar nicht. Ich möchte die Handlungen meiner Figuren angucken und die beschreiben und daraus ihre Gedanken lesen.

    Oder sie sprechen lassen, muss hier noch hinzugefügt werden. Denn das sind die köstlichsten Stellen in Schwerdtfegers erstem Roman. Wenn zum Beispiel Papa seiner Tochter erzählt, was seines Erachtens mit Mama los ist: "Das Wesen dieser Frau ist phlegmatisch", sagt er. "Ich habe noch nie eine Frau gekannt, die so wenig getan hat. Ein Tag muß 48 Stunden haben, damit sie es schafft, aufzustehen und am gleichen Tag noch zu frühstücken. Auf irgendeine verrückte Art, die nur Schnecken verstehen können oder Tiefseefische, hat sie die ganze Zeit Spaß mit sich allein. "

    Mamas Auskunft über den Mann, vom dem sie nicht lassen kann, klingt noch deprimierender: "Ich bin mit ihm oder ich bin allein ",sagt sie zu Tante Danuta. Das heißt: " Ich habe die Wahl zwischen Tod und Sterben. "

    Malin Schwerdtfegers Texte sind leicht und schwer und der Leser hat die Wahl, sie nur an der Oberfläche als sagenhaft harmlose Humoreske wahrzunehmen oder den schweren Stoff, der darunterliegt, mitzubuchstabieren. Lifestlemagazine für Frauen sind dankbare Abnehmer von Schwerdtfegers Kurzgeschichten, aber sie werden auch von der Jury des Klagenfurther Bachmann-Preises für gut befunden. Im Jahr 2000 spendierte dieses Gremium mit höchster Autorität im deutschsprachigen Literaturbetrieb Malin Schwerdtfeger ein Stipendium. Aber mit dem Literaturbetrieb will die Tochter einer Bremer Bibliothekarin ansonsten nichts zu tun haben. Von Literatur-Netzwerken, Popliteraten und Fräuleinwunder will sie nichts wissen. Sie brauche keine Kollegen, sagt sie. Alles was sie brauche, um gut zu schreiben, sei ihre tägliche Dosis Tscheche v. Und.

    Ich bin gerne Einzelgängerin. Ich langweile mich nie mit mir. 48.45 Ich hab schon meine Kindheit durchgebastelt) also einfach nur auf dem Boden gekauert und irgendwas gemacht. Und so komme ich mir eigentlich immer noch vor. Ich könnte mich immer noch aus den Boden kauern und irgendwas machen. Ausschneiden.. Da langweile ich mich nie.

    Wirklichkeit tankt sie während ihres Studiums in Berlin. Die Fächer: Judaistik und Islamwissenschaft. Und während ihrer Schichten in einem feinen Berliner Buchladen. In der Abteilung Kinderliteratur. Es gibt da ein Kinderbilderbuch von Siv Widerberg, das fängt so an: "Es waren einmal eine Mama und ein Papa, die nie das tun wollten, was sie tun sollten. Immer fanden sie, dass etwas anderes viel lustiger war."

    Und es handelt von Kindern, die vom Morgen bis in den späten Abend hinein alle Hände voll damit zu tun haben, ihre Eltern realitätstauglich und betriebsbereit zu halten.

    Im Prinzip ist das auch die Geschichte von Schwerdtfegers "Cafe Saratoga"..Die Töchter Sonja und Majka haben die Aufgabe, die depressive Mama aufzuheitern und Papas eigenwillige Art, den Alltag zu organisieren unauffällig abzufedern. Sonja und Majka werden unter diesen Umständen früh erwachsen. Ist auf die Generation der 68er-Eltern tatsächlich so wenig Verlass, wie nun gemeinhin und auch in Schwerdtfegers Texten behauptet wird?

    Ja, mit dem 68er, ich glaube, dass es damit zu tun hat... weil die einen viel größeres Recht auf Individualität in Anspruch nehmen als es früher war. Ich glaube aber auch, dass es ein ganz altes Muster hat, und dass es mit einer Kinder-Macht-Phantasie zu tun hat.... Und das hat auch eine ganz ernsthaften Hintergrund, weil natürlich müssen die Kinder immer auch de Rollen der Eltern einnehmen, und damit müssen se erstmal auch spielen, wie das so ist. Das sind natürlich nicht immer schöne Spiele. Das sind auch schmerzhafte Spiele. Das ist im Grunde das Thema von diesen Geschichten über Kinder und Eltern, und Rollentausch irgendwann.

    Malin Schwerdtfegers "Leichte Mädchen" geben sich kosmopolitisch. Sie proben das Erwachsenwerden in Jerusalem, auf Haschischfarmen in Spanien, in Tokioter Badewannen und immer wieder in Polen. Die polnischen Heldinnen aus "Cafe Saratoga" siedeln mit ihren Eltern über ins gelobte Land, das sie , Bundes' nennen und leben ängstlich in der Fruchtblase einer deutschen Sozialbauwohnung. Sie vermissen das puffige Gartenzwergidyll ihrer masurischen Heimat:

    Ich kenne Polen und ich bin auch nach der Wende oft hingereist. Das Polen, was mein Polen ist, was ich auch in dem Roman bechreibe, das ist eigentlich das von dem mir meine Freundinnen erzählt haben. Und meine Freundinnen waren ja Aussiedler. Die sind irgendwann Anfang der 80er Jahre nach Deutschland gekommen und wußten, sie kommen nicht mehr zurück nach Polen. Klar, und ihre Geschichten von Polen waren Mythen. Das war durch Kindheitserinnerungen verbrämt und verändert. Diese Mythen über den Ort, die interessieren mich mehr als der Ort selbst. Schwerdtfegers Erzählungen haben was von Märchen oder jiddischen Geschichten, die nach dem Muster oraler Überlieferungen gestrickt sind. Aber eigentlich ist sie literarisch gesehen die kleine Schwester von Axel Hacke. Genau wie der Autor des "Kleinen Erziehungsberaters" und der wöchentlichen Süddeutsche-Magazin-Kolumne "Das Beste aus meinem Leben" durchkämmt sie den Alltag der Menschen mit einer Art literarischer Lumpensammlermaschine. Der eine findet dort seinen alternden Helden, den Kühlschrank Bosch, die andere eine Wirtschaftswunderantiquität namens Benz. Ihrem komischen Blick auf die Wirklichkeit entgeht keine Gelegenheit, aus der sich nicht eine nette kleine Zutat für eine Geschichte machen ließe. Ihr Spieltrieb scheint in dieser Hinsicht nie zu erlahmen. Genausowenig wie der von kleinen Kindern, die mit Klötzchen intergalaktische Kämpfe ausfechten und mit eine paar Besteckteilen das gemütliche Fegefeuer des Vater-Mutter-Kind Kosmos' nachstellen.

    Der Leser ist amüsiert, fühlt sich sympathisch ertappt und das Schönste ist, dass ihm für eine paar Stunden die Illusion geschenkt wird, endlich mal wieder mitspielen zu dürfen.