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Cannabis-Legalisierung
Hamburg streitet über Coffeeshop

In Hamburg soll ein Cannabis-Modellprojekt starten: ein Coffeeshop, in dem legal Marihuana erworben werden kann. Doch noch bevor das erste Tütchen verkauft ist, regt sich Widerstand.

Von Axel Schröder | 11.06.2015
    Eine Joint und Marihuana
    Eine Joint und Marihuana (Imago)
    Weit und breit keine Dealer, weit und breit sitzen nur junge Familien im kleinen Flora-Park im Hamburger Schanzenviertel. Ein paar Punker dösen in der Sonne, auf der Skater-Bahn rauschen junge Männer mit ihren Skateboards durch die Kurven. Wenn es Abend wird, ändert sich die Szenerie hinter dem Kulturzentrum "Rote Flora". Dann steht hier ein Dutzend Haschischdealer. Männer aus Afrika, die rübernicken, ihre Ware loswerden wollen. Heinz Evers ist beim Bezirksamt Altona schon seit Jahren zuständig für die Ausgehmeile. Und ja, er selbst hat auch schon mal gekifft:
    "Ich habe vor vierzig Jahren meinen letzten Joint geraucht. Es war auch ganz nett und ganz lustig. Aber das war eben auch noch eine andere Zeit..."
    Heute sitzt Evers ganz nüchtern mit Strohhut und dunkler Brille im sonnigen Park:
    "Es ist zwar richtig, dass wir hier nicht mehr diese aggressive Situation haben wie noch vor ein, zwei Jahren, wo es schon fast so eine No-Go-Area geworden war. Aber es ist eben auch nicht völlig frei von Belästigung. Also, mir haben Leute erzählt, dass sie entweder selber oder ihre Kinder quasi bis vor die Haustür verfolgt worden sind. Und immer wieder fast mit nötigendem Charakter eben versucht wurde, auch Minderjährigen den Stoff anzudrehen."
    Und deshalb, findet SPD-Mitglied Heinz Evers, solle man die Idee des Stadtteilbeirats ernst nehmen, im Schanzenviertel einen Coffeeshop aufzumachen. Heinz Evers hat auch schon eine Idee, wie er heißen könnte:
    "'KIFF! Konsum in Frieden und Freundschaft'. Wie gesagt, dieser Vorschlag sollte eben halt, sag ich mal, eine gewisse Brücke bauen."
    Eine Brücke für alle, die der im rot-grünen Koalitionsvertrag festgeschriebenen Prüfung eines Modellprojekts zum kontrollierten Haschverkauf skeptisch gegenüberstehen. Zum Beispiel Hamburgs Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz Cornelia Prüfer-Storcks. Sie lehnt alle Interviews ab und schickt stattdessen ihre Genossin Sylvia Wowretzko nach vorn, die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses der Bürgerschaft. Die auch schon mal gekifft hat?
    Modellprojekt als zusätzliche Belastung für die Koalitionsverhandlungen
    "Ja! Aber ich kann nicht sagen, wann. Es ist hundert Jahre her bestimmt."
    Und so richtig high war sie damals auch nicht. Für Sylvia Wowretzko ist längst nicht ausgemacht, dass sich die Situation im Schanzenviertel durch ein Modellprojekt "Coffeeshop" verbessern würde:
    "Es würde sie möglicherweise auch verstärken. Dadurch, dass die Menschen glauben, es gäbe dort so etwas wie einen Coffeeshop, und so etwas wie Drogentourismus einsetzen würde. Und das ist ja das, was man auf gar keinen Fall will. Man möchte ja diesem Stadtteil, wenn es denn dort sein sollte, eine Erleichterung verschaffen und nicht noch eine zusätzliche Belastung."
    Eine zusätzliche Belastung war die Idee vom "Modellprojekt Cannabis-Freigabe" vor allem für die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen in Hamburg im Frühjahr. Die Grünen nervten die eher konservativen Hamburger Genossen mit ihren Visionen. Setzten aber durch: es soll eine Expertenanhörung geben. Mit Ärzten, der Polizei, mit den Bewohnern des Schanzenviertels und mit Juristen, die erklären sollen, welche rechtlichen Schritte hin zu einem Modellprojekt getan werden könnten: Muss das Betäubungsmittelgesetz geändert werden, oder reicht eine Ausnahmegenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte? Sylvia Wowretzko ist gespannt auf die Expertenanhörung, ist offen für deren Argumente. Genauso wie die Gesundheitsexpertin der Grünen Christiane Blömeke:
    "Ich habe mit meinen 55 Jahren noch nie einen Joint geraucht. So dass ich jetzt im Zuge dieser ganzen Diskussion denke: Vielleicht hole ich mal was nach, vielleicht ist es aber auch ausreichend. Mein Leben ist ausgefüllt. Ich brauche eigentlich keinen Joint."
    Aber die Situation im Schanzenviertel könnte sich entspannen, wenn Erwachsene zum Beispiel in einer Apotheke ihren Personalausweis vorlegen und dann eine begrenzte Menge Haschisch kaufen könnten.
    "In dem Moment, wo man kontrolliert etwas abgibt, sind die Dealer ihren Job im weitesten Sinne los. Und ich glaube, dass wir damit einen erheblichen Beitrag dazu leisten, dass diese ganze Ecke rund um die Schanze auch klarer wird und von Dingen befreit wird, die sicherlich auch rechtswidrig sind, was da gerade vorgeht."
    Union warnt vor Cannabis-Pilgern
    Aber genau das sei ein Trugschluss, mahnt Joachim Lenders. Er sitzt für die CDU in der Bürgerschaft, ist Vorsitzender der Hamburger Polizeigewerkschaft und stellt klar:
    "Ich kann mit Fug und Recht sagen: Ich habe noch nie im Leben einen Joint geraucht! Und das wird auch so bleiben!"
    Und ein Coffeeshop im Schanzenviertel wird alles noch viel schlimmer machen:
    "Es wird in der Szene, in dem Stadtteil einen deutlichen Zustrom von Dealern, ich will jetzt nicht sagen: weltweit, aber zumindest außerhalb Hamburgs geben, die dann natürlich in die Schanze pilgern und die in der Schanze dann versuchen, in diesem Coffeeshop, daran sich zu beteiligen und dort ihr Zeug her zu holen!"
    Sie werden große Rollkoffer über das Kopfsteinpflaster ziehen, und diese dann prall mit Grünem Libanesen, Schwarzem Afghanen, mit Purple Haze gefüllt aus der Stadt schaffen. Oder sie werden vom Apotheker erst einmal nach dem Personalausweis gefragt werden und schwer enttäuscht sein, wenn sie nur sechs Gramm pro Woche kaufen dürfen. Wie das Modellprojekt Coffeeshop aussehen wird - und ob die Grünen es überhaupt durchsetzen können, ist fraglich. Und die SPD freut sich erst einmal auf eine lange, lange, endlos lange Debatte darüber.