Montag, 06. Mai 2024

Capoeira
Die Schönheit des Einfachen

Fußball regiert die Welt – zumindest derzeit. Fernab des Rummels um die WM trainiert die Capoeira-Gruppe von Meister Plinio. Die Capoeira kennt keine Turniere, keine Sponsoren und keine Einschaltquoten und ist vielleicht gerade deshalb eine der populärsten Sportarten in Brasilien.

Von Jonas Reese | 25.06.2014
    Unter einer brasilianischen Flagge tanzen zwei junge Männer Capoeira: Der eine steht gerade auf seinen Händen, der andere dreht sich am Boden um sich selbst.
    Zwei Männer beim Capoeira vor dem brasilianischen WM-Stadion in Manaus (picture alliance / dpa / Jose Sena Goulao)
    Mestre Plinio ist hauptberuflich Capoeirista. Er leitet Angoleiro Sim Sinho, die größte Capoeira de Angola Gruppe Sao Paulos. Sechs Tage die Woche gibt er Training in einem rund 30 qm großen Raum im Norden der Stadt. An manchen Tagen sogar vier Mal am Tag. Capoeira de Angola ist einer von zwei unterschiedlichen Stilen der Capoeira – dem traditionellen Kampftanz, den einst afrikanische Sklaven in Brasilien erfanden.
    Mestre, warum heißen Sie Plinio? Hat ihr Name was mit dem römischen Gelehrten Plinius zu tun?
    Nein, gar nicht. Mein Vater hatte einfach eine Vorliebe für den Buchstaben "P". Allen seinen Kindern hat er Vornamen mit "P" gegeben. Meine Brüder heißen Paulo, Perciliano, Percio und Patrice.
    Ist man denn als Capoeira-Meister trotzdem irgendwie auch Gelehrter?
    Na ja, nicht mehr als alle anderen Menschen auch. Denn Capoeira ist eine Lebenseinstellung. Sie fordert dich körperlich, spirituell und geistig. Insofern sind Capoeiristas vielleicht Gelehrte des Lebens.
    Inwiefern fordert die Capoeira geistig?
    Sie verlangt von dir Toleranz und Respekt gegenüber deinen Mitmenschen. Respekt vor dem Alter, vor der Tradition. Capoeira ist sehr alt und wird immer von einer Generation an die nächste überliefert. Die Alten, Erfahrenen sind die Quelle alles Neuen.
    Wie sind Sie zur Capoeira gekommen?
    Ich bin in einer sehr armen Gegend hier aufgewachsen. Als Jugendlicher wurde man dort schnell mit Gewalt und Drogen konfrontiert. Und irgendwann hatte ich von einer Capoeiragruppe in meinem Viertel gehört. Aber es ist so: Die Capoeira sucht einen, nicht umgekehrt.
    Wann war das?
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Capoeira Meister Plinio in Sao Paulo (Jonas Reese/ Deutschlandradio)
    1979, da war ich 11 Jahre alt.
    Und seitdem machen Sie ohne Unterbrechung Capoeira?
    Ja.
    Tun einem da nach 35 Jahren nicht manchmal die Knochen weh?
    Nein, überhaupt nicht. Ich war erst einmal verletzt. Und das geschah nicht beim Capoeira-Spiel.
    Was macht denn einen guten Capoeira-Spieler aus?
    Erstens: Gelassenheit. Ruhe zu bewahren im Spiel mit anderen, nicht nervös zu werden.
    Zweitens: Eine gute Defensive. Geschickt aus schwierigen Situationen zu herauszukommen. Dafür braucht man ein gutes Auge.
    Und drittens: Ein gutes Herz.
    Ganz so wie beim Fußball?
    Na ja, da fehlt mir etwas das Spirituelle. Es ist doch alles eine ziemlich große Show.
    Gucken Sie denn die WM-Spiele?
    Ja klar, sofern ich nicht arbeiten muss.
    Von Montag bis Samstag geben Sie bis zu vier Trainings am Tag. Ist das manchmal nicht stressig?
    Manchmal überschneiden sich Termine, dann muss mich jemand vertreten. Aber ich freue mich jeden Tag Capoeira zu unterrichten. Die Leute erwarten mich hier.
    Und ist das manchmal eintönig?
    Nein, nie. Es gibt so viele Details in der Capoeira. In den Bewegungen, im Spiel, im Gesang, in der Musik. Da wird es nie langweilig. Man kann sich ständig verbessern. Ich bin so ein bisschen wie eine Mutter, die jeden Tag für ihre Kinder kocht. Sie guckt in den Kühlschrank und überlegt sich, was sie aus den Zutaten machen kann.