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"Catarina" lässt Meteorologen umdenken

Meteorologie. - Hurrikans und ihre pazifischen Geschwister, die so genannten Taifune, bilden sich allein zu beiden Seiten des Äquators sowie im Nordatlantik. Für den Südatlantik sei dies ausgeschlossen, denn dort sei das Meer einfach zu kalt und die Atmosphäre zu unruhig - so lautet zumindest die bisherige Lehrmeinung. Ein heftiger Orkan vom Ende vergangenen März droht, diese etablierten Theorien ins Wanken zu bringen. Denn "Catarina" nahm ihren Lauf dort, wo Experten am wenigsten damit gerechnet hatten - über dem Südatlantik.

Von Volker Mrasek | 27.04.2004
    Es war die Nacht auf den 28. März, einen Sonntag, da wirbelte der Hurrikan an Land. Mit bis zu 145 Kilometern pro Stunde fegte er über Brasiliens Atlantikküste hinweg, zerstörte Häuser und Wohnungen im Bundesstaat Santa Catarina, rund 800 Kilometer südlich von Rio de Janeiro. Deshalb heißt der Hurrikan jetzt auch Catarina. Einheimische Meteorologen hatten bis zuletzt nicht an einen so gewaltigen Sturm glauben wollen. Dabei kursierten Satellitenbilder, die frühzeitig erkennen ließen, was sich da Einmaliges zusammen braute: ein Hurrikan dort, wo ihn keiner für möglich hielt:

    Normalerweise interessiert sich kein Hurrikan-Wächter groß für den Südatlantik. Doch schon einige Tage vor dem 28. März stolperte jemand über Satellitenbilder von dort. Sie zeigten einen Wolken-Wirbel mit einem großen Loch in der Mitte. Wir waren alle elektrisiert. Denn schnell stand fest: Das ist ein Hurrikan! Weltweit riefen Meteorologen von da an die neuesten Satellitenbilder ab. Der Wirbelsturm wanderte weiter von Osten nach Westen, und so traf er schließlich Brasilien.

    Roger Edson ist Meteorologe und Spezialist für tropische Wirbelstürme. Er forscht an der Universität von Guam im Pazifik und berät Länder wie Australien und die USA bei der Vorhersage von Hurrikans. Edson war genauso verblüfft wie alle anderen Meteorologen. Ein Hurrikan in Südamerika - das gab es noch nie. Jedenfalls nicht seit Beginn der Satelliten-Überwachung. Und die läuft schon seit 40 Jahren :

    In diesem besonderen Fall verhielt sich der Höhenwind acht bis zwölf Kilometer über der Erde sehr ungewöhnlich. Normalerweise weht er von West nach Ost und ist sehr stark. Ein Hurrikan kann da nicht entstehen. Er wird praktisch vom Winde verweht, noch bevor er sich aus einem Gewittersturm entwickeln kann. Bei Catarina aber strömte der Höhenwind von Ost nach West, und er war sehr schwach. Das hat den Hurrikan überhaupt erst möglich gemacht.

    Natürlich steht nun sofort eine Frage im Raum: Hat die Sache etwas mit der Klimaerwärmung zu tun? Schließlich muss das Meer für Wirbelstürme warm genug sein. Nur dann kann Luft konvektiv von unten nach oben aufsteigen. Und natürlich erwärmt sich auch der eher kühle Süd-Atlantik unter dem Einfluss des zunehmenden Treibhauseffekts. Ein Zusammenhang deutet sich jetzt tatsächlich an, in einem ersten Klima-Rechenmodell. Betrieben wird es vom Hadley-Center für Klimavorhersage in England. Dort koordiniert der Physiker Simon Brown alle Projekte über extreme Wetterereignisse:

    Catarina trat genau in der Region auf, für die unser Klimamodell in Zukunft Hurrikans vorhersagt: an Südamerikas Ostküste.

    Das Modell, sagt Brown, sei noch lange nicht ausgereift. Danach müssten Hurrikans vor Brasilien schon jetzt alle zwei, drei Jahre auftreten. Catarina aber war der erste überhaupt in 40 Jahren. Das Klimamodell des Hadley-Centers übertreibt also erkennbar. Brown hält es dennoch für vertrauenswürdig:

    Unser Modell mag etwas voreilig sein, aber es zeigt doch die Tendenz zur Entstehung von Hurrikans in diesem Gebiet. Ein oder zwei pro Jahr könnten es Ende des Jahrhunderts wohl sein.

    Laut Brown gibt es lediglich eine weitere Arbeitsgruppe in Japan, die sich näher mit dem Süd-Atlantik befasst. In ihrem Klimamodell entpuppe sich Brasiliens Ostküste nicht als neue Hurrikan-Gefahrenzone. Catarina lenkt das Augenmerk von Meteorologen und Klimaforschern jedenfalls stärker auf den Süd-Atlantik. Schon in wenigen Tagen wird der Wirbelsturm, der aus dem Nichts auftauchte, wieder für Gesprächsstoff sorgen. In Miami Beach trifft sich die Gilde der Hurrikan-Experten zur Jahreskonferenz, und zwar länger als sonst: Spontan wurde noch ein Sonder-Symposium über Catarina angehängt.