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Causa Woelki
Kirchenrechtler: "Es ist ein moralischer Tiefpunkt erreicht"

Der Kölner Kardinal Woelki steht für seinen Umgang mit einem Kindesmissbrauch-Verdachtsfall in der Kritik. Woelki habe entgegen seiner Aussagen keinerlei Anstrengungen für die Aufklärung unternommen, sagte der Theologe Thomas Schüller im Dlf. Der Kardinal versuche, seine Karriere zu retten.

Thomas Schüller im Gespräch mit Silvia Engels |
Rainer Maria Woelki bei einem Gottesdienst
Die Vorwürfe gegen den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki (rechts) mehren sich (picture alliance / AP / Martin Meissner)
Der Kölner Erzbischof und Kardinal Rainer Maria Woelki befindet sich seit Wochen in schwerem Fahrwasser. Zum einen gibt es Streit um ein im Jahr 2018 in Auftrag gegebenes Gutachten. Es sollte klären, ob die Verantwortlichen im Erzbistum Köln bei der Aufklärung sexueller Gewalt bei Kindern im Einklang mit kirchlichem und staatlichen Recht gehandelt habe. Woelki wollte das Gutachten nicht veröffentlichen - wegen methodischer Mängel. Ein neues Gutachten soll nun im März 2021 erscheinen.
Dazu kommt ein zweiter Fall. 2015 soll Kardinal Woelki den Verdachtsfall gegen einen Düsseldorfer Priester wegen schweren sexuellen Missbrauchs nicht an den Vatikan gemeldet haben. Als Gründe galten damals der Gesundheitszustand des Verdächtigen und die Ablehnung des Opfers für eine Aussage. Diese Gründe seien reine "Unwahrheit", sagt der Theologe und Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Universität Münster. Es habe sich herausgestellt, dass das Opfer "überzeugend sagt, dass es bereit gewesen wäre, bei Rückfrage 2015 die Dinge erneut zu beschreiben".
Der Priester, der Kardinal und die Kinder
Ein Pfarrer, so der Verdacht, soll sich mehrfach schwer an Kindern vergangen haben – zum ersten Mal 1986. Er war weiter als Seelsorger tätig, hielt Vorträge, schrieb Bücher. Eine Recherche im Hoheitsgebiet der Kardinäle Meisner und Woelki.
Der Kardinal habe keine Anstrengungen unternommen 2015, erneut eine Untersuchung einzuleiten - "was seine Pflicht gewesen wäre", so Schüller. Er benutzte nun das Opfer und werfe ihm vor, es habe sich nicht bereit erklärt mitzuwirken - und genau das Gegenteil sei der Fall. "Es ist ein moralischer Tiefpunkt erreicht, nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch." Der Kardinal versuche, seine Karriere zu retten, indem er erneut ein Opfer instrumentalisiere. "Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, was kann ein Kardinal noch tun, ehe er sich selbst aus dem Amt bewegt?", sagte Schüller. [*]
"Wenn er ein Mann des Anstandes wäre, würde er sich an den Papst wenden und sagen: Ich habe einen schweren Fehler begangen und biete den Rücktritt an." Woelki spiele auf Zeit und wolle sich in das Gutachten im März retten. "Das ist eine sehr plumpe, sehr offenkundige Strategie, die ihm jegliche Reputation schon jetzt nimmt."
Kommentar: Ein Kirchenmann manövriert sich ins Abseits
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki gerät innerhalb der katholischen Kirche immer stärker unter Druck. Dass er jetzt im Abseits stehe, habe aber vor allem mit seinem Werdegang zu tun, kommentiert Friederike Sittler.
Silvia Engels: Woelki selbst sagt zu dem Fall des Düsseldorfer Priesters, er habe 2015 als Erzbischof versucht, den Tatvorwurf recherchieren zu lassen. Der schlechte Gesundheitszustand des Verdächtigen und die Ablehnung des mutmaßlichen Opfers, sich an der Aufklärung zu beteiligen, hätten die Einleitung einer Voruntersuchung unmöglich gemacht. Lassen Sie das gelten?
Thomas Schüller: Nein, das kann man nicht gelten lassen, weil es eine glatte Unwahrheit ist. Mittlerweile ist recherchiert worden, dass 2011 das Opfer die schwere Sexualstraftat plausibilisiert hat, das heißt substantiieren konnte. Deswegen hat es ja auch eine ziemlich beträchtliche Summe bekommen und Anerkennung des Leids. Jetzt stellt sich heraus heute Morgen, dass das Opfer ganz überzeugend sagt, es wäre weiterhin bereit gewesen, 2015 bei erneuter Rückfrage die Dinge zu beschreiben, was ja für ein Opfer äußerst schwer ist. Es ist eine schwere Sexualstraftat, die an ihm begangen wurde. Der Kardinal hat überhaupt keine Anstrengungen unternommen 2015, als er seinen besten Freund auf der Liste der Täter im Erzbistum Köln sah, erneut eine Untersuchung einzuleiten, was seine Pflicht gewesen wäre. Er benutzt jetzt erneut das Opfer und wirft ihm vor in den ersten Erklärungen, es habe sich ja nicht bereit erklärt mitzuwirken, und genau das Gegenteil ist der Fall. Es ist ein moralischer Tiefpunkt erreicht, nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch, dass der Kardinal versucht, seine Karriere zu retten, indem er erneut ein Opfer instrumentalisiert und ihm vorwirft, verhindert zu haben, dass der Tatvorwurf einer schweren Sexualstraftat aufgedeckt werden kann und bewiesen werden kann. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht mehr, was kann ein Kardinal noch tun, ehe er sich selbst aus dem Amt bewegt.
Thomas Schüller, Theologe und Kirchenrechtler.
Kirchenrechtler und Theologe Thomas Schüller (picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd)
Engels: Das mutmaßliche Opfer, Sie haben es angesprochen, widerspricht heute im "Kölner Stadtanzeiger" der Darstellung, Mithilfe an der Aufklärung verweigert zu haben. Das Bistum hat sich zu dieser neuen Entwicklung noch nicht geäußert. Der verdächtige Priester selbst ist mittlerweile verstorben. – bleibt der Vorwurf der Vertuschung an die Adresse Woelkis, der – Sie haben es angesprochen – mit dem verstorbenen Priester gut bekannt war. Nun soll der Münsteraner Bischof Felix Genn als dienstältester Bischof der Kölner Kirchenprovinz das weitere Vorgehen klären. Genügt das?
Schüller: Zunächst ist das das kirchenrechtliche Verfahren, dass der dienstälteste Suffraganbischof tatsächlich – und da ist es unabhängig, dass der Kölner Metropolit der Erzbischof und Kardinal ist; da glaubt ja Woelki, da hätte er besondere Schutzrechte, indem er sich direkt dem Papst unterstellen kann. Das ist unwahr. Das ist auch rechtswidrig, was er da sagt. Aber das ist tatsächlich die Pflicht.
Der Münsteraner Bischof wird jetzt eine Untersuchung durchführen, indem er sauber und genau die vorhandenen Aktenfragmente sich anschaut, sicherlich, da das Opfer ja noch lebt, auch mit dem Opfer reden wird, und dann werden wir sehen, dass der Kardinal die Unwahrheit sagt. Dann wird er diesen Bericht an den Präfekten der Bischofskongregation, der für die Bischöfe zuständig ist, schicken und der wird dem Papst eine Empfehlung aussprechen, wie angesichts dieses klaren Rechtsverstoßes durch den Kölner Kardinal mit ihm in Zukunft zu verfahren ist.

Ein Mann des Anstandes würde seinen Rücktritt anbieten

Engels: Verlangen Sie Woelkis Rücktritt oder seine Absetzung durch den Vatikan?
Schüller: Wenn er ein Mann des Anstandes wäre – das wäre in der Politik und in der Wirtschaft nicht anders -, würde er sich jetzt an den Papst wenden und sagen, ich habe hier einen schweren Fehler begangen, ich biete den Rücktritt an. Und es gibt viele Fälle im Moment in der Katholischen Kirche, wo Bischöfe dies tun, gerade vor wenigen Tagen und Wochen in Polen, wo ein Bischof auch vertuscht hat. Dann nimmt der Papst den Rücktritt an.
Das ist ein Rücktritt mit ehrenvoller Gesichtswahrung. Aber er spielt auf Zeit, der Kardinal. Das ist offenkundig. Er möchte sich bis März retten, wenn das neue Gutachten erstellt ist, und dann hofft er wahrscheinlich darauf, dass sich der mediale Druck und auch die Enttäuschung der Gläubigen, die ja zu Zehntausenden austreten, im Erzbistum Köln gelegt hat und er weiter im Amt bleiben kann. Auch das ist eine sehr plumpe, sehr offenkundige Strategie, die ihm aber komplett jegliche Reputation jetzt schon nimmt.

"Einen dicken Hals auf den Kölner Kardinal"

Engels: Im Vorfeld hatte ja auch schon die Nichtveröffentlichung des Gutachtens aus München über Fehlverhalten im Kölner Bistum im Zusammenhang mit sexuellem Kindesmissbrauch und der Aufklärung für Unmut gesorgt. Gestern äußerte sich in der Süddeutschen Zeitung auch Kardinal Reinhard Marx aus München dazu. Er nannte diese Nichtveröffentlichung "verheerend für uns alle". Hat er recht? Ist damit das katholische Signal des Aufklärungswillens dahin?
Schüller: Ja, da hat er vollkommen recht. Auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat ja von einem Desaster im Hessischen Rundfunk gesprochen, weil in der öffentlichen Wahrnehmung natürlich nicht unterschieden wird. Es ist der Beweis für die Öffentlichkeit, dass die Katholische Kirche es nicht ernst meint, dass alle Bischöfe wie der Kölner Kardinal weiter nicht die eigene Verantwortung aufarbeiten wollen, vertuschen, verschweigen, die Unwahrheit sagen. Das Gegenteil ist der Fall in vielen Diözesen.
Es gibt eine neue Generation von Bischöfen, die tatsächlich eine schwere Erblast aufzuarbeiten haben – denken Sie an Peter Kohlgraf, einen Kölner Priester, der Bischof in Mainz ist, der jetzt aufzeigen wird und das schon getan hat, dass der berühmte Kardinal Lehmann und auch Kardinal Volk systematisch vertuscht haben.Das ist nicht angenehm und diesen Bischöfen kommt es natürlich jetzt komplett in die Quere, dass durch das verheerende Beispiel des Kölner Kardinals alle in den gleichen Verdacht geraten, dass sie es nicht ernst meinen mit der Aufarbeitung, mit der radikalen ehrlichen Aufarbeitung der Schuld der Katholischen Kirche.
Wenn man mit Bischöfen zurzeit spricht – es gibt, um es mal salopp zu sagen, einen dicken Hals auf den Kölner Kardinal, weil er natürlich für die Außendarstellung der Katholischen Kirche einen Bärendienst leistet, und das hat eine verheerende Folge für alle Bischöfe und alle Diözesen.

Woelki "wirkt wie ein Geisterfahrer"

Engels: Sie haben es schon angesprochen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bätzing, spricht von Desaster. Kardinal Marx spricht von einer verheerenden Wirkung. Ist das ein Hinweis darauf, dass innerhalb des Bischofskollegiums Absetzbewegungen gegenüber Kardinal Woelki stattfinden?
Schüller: Das kann man so sagen. Es ist eine mehr als deutliche Distanzierung von ihm. Er ist ja jetzt schon auch in anderen kirchenpolitischen Themen komplett isoliert in der Bischofskonferenz. Er wirkt wie ein Geisterfahrer, wie einer, der die Wirklichkeit nicht wahrnimmt, der nicht erkennt, dass sein Stündlein geschlagen hat. Aber er klammert sich am Amt, fast wie der ausscheidende US-Präsident Trump.
Woelki hat die letzten Tage in Veranstaltungen mit Diözesanen gesagt, die ihm sagten, wir haben das Vertrauen zu Ihnen verloren, und dann diese arrogante kardinale Attitüde, wie, Vertrauen verloren, das definiere ich als Kardinal, ob Vertrauen verloren gegangen ist. Da merken Sie, in welcher Eigenwelt, Sonderwelt der Kardinal lebt.
Zentralkomitee der deutschen Katholiken: "Bischofsamt ist kein sakrosanktes Amt"
Sollten sich die Vorwürfe gegen den Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki bestätigen, brauche es Konsequenzen, sagte Thomas Sternberg vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken im Dlf.
Engels: Andere Bistümer haben ja versucht, Aufklärung zu leisten. Aachen hat ein Gutachten über Fehlverhalten veröffentlicht. Zeigt aber, wenn man einen Strich darunter zieht, letztlich dieses ganze schwierige Aufklärungswesen, dass man die Aufklärung von Missbrauchsfällen der Katholischen Kirche eigentlich aus der Hand nehmen müsste und durch staatliche Stellen aufklären müsste?
Schüller: Ich glaube, dass der Zeitpunkt dafür gekommen ist. Das wird ja von vielen gefordert. Ich habe das auch gefordert. Wir sollten uns an dem angelsächsischen Vorbild orientieren, dass unabhängige Wahrheitskommissionen installiert werden. Dafür müsste aber der Deutsche Bundestag die gesetzlichen Grundlagen schaffen. Die gibt es noch nicht. Da haben die großen Parteien aber kein Interesse dran, weil die Kirchen ein wichtiger Player sind. Mit denen will man es sich nicht verscherzen und Opfer sexueller Gewalt nimmt man dafür lieber in Kauf. Das muss man so deutlich sagen.
Aber diese unabhängigen Wahrheitskommissionen, die ausdrücklich nicht mit kirchlichen Leuten besetzt sind, die aber Expertise ausweisen, die Zeugen befragen können, Akteneinsicht haben, das wäre der einzige Weg, dass man wirklich der Wahrheit auf die Spur kommt und den noch lebenden, schlecht lebenden Opfern sexueller Gewalt in der Kirche wirklich Gerechtigkeit widerfahren lässt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.