Archiv


Chadanowytschs freie Verse

Andrej Chadanowytsch ist Lyriker, Übersetzer, Essayist und eine Größe in der weißrussischen Literaturszene. Jetzt lud das Goethe-Institut zu einer Buchpräsentation des Autors nach Minsk ein. Das Besondere: Die gesamte Veranstaltung fand in weißrussischer Sprache statt, jener Sprache, die der seit 1994 regierende Präsident Lukaschenko in sowjetischer Manier einmal als Bauernsprache abgetan hatte.

Von Natascha Freundel |
    "Zum ersten Mal taucht hier eine Literatur auf, die zugleich spannend zu lesen ist und auch als Performance funktioniert. Ich kenne viele Bücher, die interessant zu lesen sind, aber die ich nicht gelesen hören möchte. Genauso umgekehrt, effektvolle Performances, deren Text dünn ist. Jetzt sind Autoren aufgetaucht, die auf Zuhörern einen riesigen Eindruck machen, wobei sich herausstellt, das war nicht nur Show oder eine theatralische Provokation, sondern ein sehr guter Text, den man auch nachlesen möchte."
    So Andrej Chadanowytsch, Lyriker, Übersetzer, Essayist und ein Star in der Minsker avantgardistischen Literaturszene. Das Litererarische Colloquium Berlin hatte Chadanowytsch 2006 für einen Monat in die Villa am Wannsee eingeladen, dort entstanden die "Berlibry" - so heißt sein neues Buch, freie Verse, belarussisch: Verlibry - aus Berlin. Die Freiheit, die der bis dato in Reimen dichtende Autor in Deutschland gefunden hat, sie sollte gestern Abend in Minsk zu Wort kommen. Das Goethe-Institut lud zur Buchpräsentation. Doch da gab es einige Schwierigkeiten:

    "In Belarus gibt es im Moment zwei Schriftstellerverbände; den einen gibt es schon seit zig Jahren, der Verband der belorussische Schriftsteller, der andere ist der Verband der Schriftsteller von Belarus. Schon die Grammatik zeigt, das sind zwei vollkommen verschiedene Organisationen, die man nicht verwechseln darf. Der erste repräsentiert die Berufsschriftsteller, das war einmal eine sowjetische Organisation, doch Anfang der 90er mit dem neuen Regime in Belarus, nahm diese Organisation eine kritische Position ein, erlaubte sich einigen Widerspruch vor allem in der Kulturpolitik, was die Minimalisierung dieser Kultur betrifft. Damals protestierten die Intellektuellen vehement. Und infolge dessen wurde ein anderer Schriftstellerverband gegründet, den man einen Marionettenverband nennen könnte. In der Leitung befindet sich zum Beispiel ein Generalleutnant der Polizei, der nebenher Krimis schreibt, Sie können über seine Professionalität selber urteilen."

    Dem staatskonformen Schriftstellerverband nun soll es nicht genehm gewesen sein, dass Chadanowytsch im Haus der Schriftsteller auftreten sollte. Es erinnert an die Machtspielchen in der DDR - ein anderer Raum musste gefunden werden, es war dann die Staatliche Akademie der Künste, und niemand hinderte die rund 300 vor allem jungen Leute am Eintritt.

    "Dass es im heutigen Belarus zwei parallele Kulturen gibt, ist absolut richtig. Im Prinzip ist es ein Land, in dem sehr vieles in zwei Versionen existiert. Die Kultur, die Sprache, es gibt auch zwei Religionen, da kann man vieles aufzählen. Inwiefern die unabhängige Kultur produktiv ist, wie gut sie heute lebt, darüber kann man streiten. Im Prinzip, ja, die parallele, unabhängige Kultur entwickelt sich aktiv. Aber zu sagen, dass sie dafür die besten Voraussetzungen hätte, wäre natürlich falsch."

    Wer Minsk kennen lernen möchte, sollte zuerst Artur Klinaus phantastisches Suhrkamp-Buch "Sonnenstadt der Träume" lesen. Nirgendwo wird die monumentale Architektur dieser Stadt besser beschrieben und mit den großen Zeitläuften und den Erfahrungen eines Kindes aus Minsk verknüpft. Klinau, Architekt und Essayist, ist auch Herausgeber der Kulturzeitschrift Partisan, die in einer Auflage von etwa tausend Exemplaren seit fünf Jahren in unregelmäßigen Abständen erscheint. Partisan ist belarussisch, mitteleuropäisch, kunst- und philosophie-interessiert. Jung. Grafisch so aufregend gestaltet, dass man neue deutsche Kulturmagazine von Dummy bis Liebling glatt liegen lassen würde daneben. Und Partisan ist von Spenden abhängig, wie der gesamte unabhängige Kulturbetrieb hier.

    "Hier ist ein Autor ein Kulturheld. Denn die offizielle Kulturindustrie arbeitet nicht für ihn, sondern gegen ihn. Er muss sich gegen sie durchsetzen, die Kulturindustrie wirft ihm Steine in den Weg und er muss sich verteidigen. Deshalb ist er ein Kulturheld. Obwohl Kulturhelden sonst überall eine Sache der Vergangenheit sind, bei uns existiert er noch."

    Partisan erscheint im Lohvinau Verlag - das heißt in einer mittelgroßen Wohnung in der Minsker Innenstadt, die sich allabendlich in einen Literaturclub mit viel Lyrik und viel Wodka verwandeln soll. Ihar Lohvinau gibt auch einen Großteil der belarussisch-sprachigen jungen Literatur heraus:

    "Gute Literatur muss in meinen Augen oppositionell sein. Ob die Macht gut ist oder schlecht, ob in Europa, England oder sonst wo, ein guter Autor ist unangepasst. Er muss Grenzen überschreiten, erst dann kann bekommt sein Werk Gewicht, diese glattgekämmte Literatur, die hat doch noch nie irgendeinen Stellenwert gehabt."

    Doch am Abend in der Akademie der Künste, beim Auftritt des Lyrikers Andrej Chadanowytsch, war von Opposition gar nicht so viel zu sehen. Abgesehen davon, dass der ganze Abend auf belarussisch stattfand - jener Sprache also, die der seit 1994 regierende Präsident Lukaschenko in sowjetischer Manier einmal als Bauernsprache abgetan hat. Auf den Straßen in Minsk wird denn auch vor allem Russisch gesprochen, die junge Intelligentsia dagegen scheint die mit dem Polnischen nah verwandten Klänge des Belarussischen wie einen Geheimcode zu lieben. Andrej Chadanowytsch:

    " Ich habe zuerst auf Russisch angefangen zu schreiben, ich bin in einer russischsprachigen Familie aufgewachsen. Aber irgendwann, spontan, intuitiv, bin ich aufs Belarussische übergegangen, gewissermaßen automatisch. Aus einem Gefühl heraus: Mir schien, dass alle großen Wörter im Russischen, das passiert vielleicht auch in anderen Weltsprachen, ihre Kraft verloren haben und ihre Bedeutung."

    Slam und Gitarrengeschrammel, Lautpoesie und Happening, all das fand gestern Abend in einem bunten Reigen auf der nicht eben solide wirkenden Akademiebühne statt. Chadanowytsch wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, im Namen des Goethe-Instituts auch eine ganze Reihe guter Freunde und Kollegen einzuladen, die Band Indigo etwa, oder den Performer Sergej Buchst. Da wurde zur großen Stadt Minsk gebetet, da wurden Liebesworte gestammelt und Lieder hingeschmachtet, da fiel auch mal das Wort Revolution. Aber ganz nebenbei. Ohne großes Pathos.