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Chance auf der Schiene

Lange war die Prignitzer Eisenbahn mit ausrangierten Triebwagen der früheren DDR-Reichsbahn, den sogenannten Ferkeltaxen, unterwegs. Dann gründete daraus 1996 ausgerechnet ein ehemaliger Lokführer der Deutschen Bahn ein eigenes Unternehmen. Inzwischen ist die Prignitzer Eisenbahn zum Konkurrenten auf den Nebenstrecken geworden - und sogar schon von Brandenburg bis nach Nordrhein-Westfalen gerollt.

Von Karsten Zummack |
    "Meine Damen und Herren. An Gleis 22 zur Prignitzer Eisenbahn nach Templin Stadt.”"

    Auf dem Bahnhof Berlin-Lichtenberg wartet ein einsamer Triebwagen auf Fahrgäste. Rot und blau ist er angestrichen, riesige Fensterflächen. Drinnen: blau gepolsterte Sitze, Fahrkartenautomaten, eine Toilette, elektronische Anzeigetafel. Alles modern, aber eine Nummer kleiner als beim ehemaligen Monopolisten Deutsche Bahn, sagt auch Lokführer Olaf Gaschler:

    ""Na, das ist familiärer hier. Ist ja ein bisschen kleineres Unternehmen. Und da wird auch auf die Leute geachtet.”"

    Dabei beschäftigt die Prignitzer Eisenbahnals gesamte Gruppe inzwischen 400 Mitarbeiter. Doch zum Vergleich: Bei der Bahn sind es 230 000. Natürlich ticken die Uhren etwas anders. Was nicht heißen soll, dass die Züge unpünktlich abfahren. Und modern sind die Triebwagen der Prignitzer Eisenbahn inzwischen. Das wissen auch die Kunden auf der Strecke von Berlin nach Templin zu schätzen:

    ""Es geht auf jeden Fall sehr schnell."

    "Wenn gestreikt wird, fährt die Prignitzer Eisenbahn. Und die Deutsche Bahn halt nicht."

    "Die Prignitzer Bahn hat sehr moderne Züge. Die steigen alle mit neuen Zügen hier ein, während die Bahn noch auf alte Technik zurückgreifen muss und nach und nach neue Technik bringt. Aber man fährt hier sehr bequem.”"

    Das war nicht immer so. Langezeit war die Prignitzer Eisenbahn mit ausrangierten Triebwagen der früheren DDR-Reichsbahn, den sogenannten Ferkeltaxen, unterwegs. 1996 hatte der ehemalige Lokführer Thomas Becken seinen sicheren Beamtenjob bei der Deutschen Bahn geschmissen und beschlossen, eine eigene Firma zu gründen:

    ""Also, gereift ist diese Idee eigentlich beim Dienstunterricht bei der Deutschen Bahn. Dort hat man geschimpft über diese Bahnreform. Und hatte die Befürchtung, dass jeder Dahergekommene eine Eisenbahn gründen kann und der DB AG Wettbewerb bietet. Und da habe ich gesagt: Mensch, wenn man so eine Angst hat, dann muss ja irgendwas dran sein.”"

    Zumindest als Nischenanbieter sah der damals 28-jährige durchaus Chancen auf der Schiene. Auch wenn einige Bekannte die Idee belächelten: Der Ex-Lokführer kratzte mit drei Freunden 50.000 Mark Startkapital zusammen. In einem alten Lokschuppen am Rand der brandenburgischen Kleinstadt Putlitz werkelten sie an einem Bahnunternehmen, das inzwischen zu einem der wichtigsten Konkurrenten der Deutschen Bahn wurde. Das Einzige, was noch fehlte, war anfangs ein Zug.

    ""Na, bei der DB AG standen sehr oft Leute vor der Tür, die Fahrzeuge kaufen wollen. Und damals waren es in der Regel eigentlich irgendwelche Eisenbahn-Fans gewesen, die irgendwelche Liebhaberstücke haben wollten. Und wahrscheinlich hat man uns auch für Eisenbahnfans gehalten, hat gesagt: Okay, wir verkaufen Euch so ein Fahrzeug. Dass wir nun damit Betrieb gemacht haben, und erfolgreich Betrieb gemacht haben, das hat wahrscheinlich der DB AG auch nicht so richtig geschmeckt.”"

    Vom Putlitzer Lokschuppen aus zogen Becken und seine Mitstreiter den ersten Auftrag als Subunternehmer für die Deutsche Bahn an Land. Wo sich das Staatsunternehmen zurückzog, verkehrten im Norden Brandenburgs bald die Schienenbusse der Prignitzer Eisenbahn. Und auch im Güterverkehr fasste das Unternehmen Fuß. Im Jahr 2002 bewarb sich die ostdeutsche Privatbahn sogar um Strecken in Nordrhein-Westfalen - und erhielt den Zuschlag, freut sich Geschäftsführer Ralf Böhme.

    ""Das war damals sicherlich auch ein bisschen außergewöhnlich, dass ein Unternehmen aus dem Osten Deutschlands sich dort beworben hat. Wir haben damals einfach mal über den Gartenzaun - sprich: über die Prignitz - hinaus geguckt. Und es war damals ein schöner Einstieg in Nordrhein-Westfalen mit zwei überschaubaren Regionalbahn-Linien im Raum Oberhausen."

    Gemeinsam mit der einstigen Tochter ODEG bedient die Prignitzer Eisenbahn heute 13 Strecken in Nord-, Ost- und Westdeutschland. Zugute kommt ihr natürlich die recht schlanke Struktur, weiß auch Geschäftsführer Böhme. Die Triebwagen sind teilweise nur gemietet, das senkt die Kosten. In der Verwaltung oder im Fahrkarten-Verkauf wird eisern gespart.

    Auch die Löhne liegen bei der Prignitzer Eisenbahn unter denen der Deutschen Bahn. Bei den Grundgehältern ist das Niveau zwar in etwa ähnlich, betont Geschäftsführer Böhme. Doch bei den Zulagen für Nacht- und Wochenarbeit sowie Betriebszugehörigkeit liegt der private Konkurrent nach eigenen Angaben zehn bis zwanzig Prozent darunter.

    Dennoch: Die Zeiten des Kampfes David gegen Goliath sind vorbei. Seit September 2004 gehört die Prignitzer Eisenbahn mehrheitlich der britischen Arriva-Gruppe, unterliegt als Teil eines börsennotierten Unternehmens ganz anderen Zwängen, räumt Geschäftsführer Ralf Böhme ein:

    "Da gibt es, sage ich mal, Regeln, Gesetzmäßigkeiten, die wir halt auch zu befolgen haben. So wie wir als Mittelständler groß geworden sind, gibt es natürlich jetzt Dinge, wo wir sagen: Okay, das muss jetzt sein, weil es halt ein Konzern ist. Aber es war sicherlich nicht ganz einfach.”"

    Zumal sich die Prignitzer Eisenbahn längst nicht mehr, so wie früher, als Retter für stillgelegte Nahverkehrsstrecken aufspielen kann. Mittlerweile musste das Low-Cost-Unternehmen selbst drei Verbindungen in Brandenburg aufgeben, weil sie nicht wirtschaftlich zu betreiben waren.

    Bei den bestehenden Verbindungen sind die Triebwagen jedoch gut ausgelastet. 30 Millionen Euro Umsatz fährt die Prignitzer Eisenbahn im Jahr ein. Als Gruppe zusammen mit der ODEG sind es 70 Millionen. Angaben zum Gewinn macht das Unternehmen nicht. Nur soviel, dass es seit einigen Jahren schwarze Zahlen schreibt. Am Anfang sind wir unterschätzt worden, sagt PEG-Chef Ralf Böhme rückblickend. Doch auf diesen Erfolgsfaktor kann, darf und will sich die inzwischen drittgrößte deutsche Nahverkehrsbahn nicht verlassen…

    ""Wir haben einen finanzstarken Partner im Hintergrund. Wir sind in eine Gruppe in Deutschland eingebunden. Und das gibt uns letztlich auch das Potenzial und die Kraft, um auf diesem Markt auch als Prignitzer Eisenbahn weiter zu wachsen."