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Chefwechsel bei der BDA
Die drängenden Aufgaben des neuen Arbeitgeber-Präsidenten

Der Unternehmer Ingo Kramer ist neuer Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Das System des Tarifvertrags ist löchrig geworden. Die Macht des Verbandes schwindet.

Von Stephan Maas | 18.11.2013
    Porträtfoto von Ingo Kramer, neuer Präsident des BDA.
    Der neue BDA-Präsident Ingo Kramer muss mit einem geringeren Organisationsgrad kämpfen. (picture alliance / dpa / Tim Brakemeier)
    Vom geplanten flächendeckenden Mindestlohn hält er gar nicht. Und eine Lebensleistungsrente, so sie denn kommt, sollte doch bitte aus Steuermitteln bezahlt werden und nicht aus den Beiträgen der Versicherten. Dieter Hundt war viel im Einsatz in den vergangenen Tagen und Wochen. Koalitionsverhandlungen wollen kritisch begleitet werden. Doch es werden die letzten für den 75-Jährigen gewesen sein – zumindest an der Spitze der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. 17 Jahre lang hat der studierte Maschinenbauer und Unternehmer die tarif-, sozial- und arbeitsmarktpolitischen Interessen der Arbeitgeber gegenüber der Politik vertreten. Drei Kanzlern ist er in seiner Rolle als Arbeitgeberpräsident begegnet. Kohl. Schröder. Und Merkel.
    Mit dem Sozialdemokraten Schröder und dem damaligen DGB-Chef Dieter Schulte rief er das "Bündnis für Arbeit" aus, begrüßte die Agenda 2010 – und hat stets die Tarifautonomie verteidigt, als Garant für den Erfolg der deutschen Wirtschaft.
    Sein Nachfolger, der Bremerhavener Familienunternehmer Ingo Kramer, ist seit 2011 BDA-Vizepräsident, ist Präsident der Industrie- und Handelskammer Bremerhaven, Metallarbeitgeberchef im Norden und Schatzmeister bei Gesamtmetall auf Bundesebene. Außerdem ist er Vorsitzender der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, die junge Menschen fördert:
    "Wir haben heute immer noch einen zweistelligen Prozentsatz an Jugendlichen, die ohne Hauptschulabschluss in die Welt gelassen werden, die ohne Ausbildung in die Welt gelassen werden. Das ist für eine solche Industrienation, wie wir es sind, und gleichzeitig eine Nation, die ja sehr viel auf den eigenen Bildungsstand hält, eigentlich ein Skandal."
    Für den 60-Jährigen, der heute Nachmittag für zwei Jahre als Chef des Dachverbandes gewählt wurde, ist die neue Aufgabe nicht ganz einfach. Nicht nur, weil sein Vorgänger auch in vielen Talkshows wahrnehmbar und markig die Interessen der Arbeitgeber vertrat. Auch die Arbeitgeberverbände stehen vor Veränderungen.
    Das System der Tarifverträge ist in den vergangen zwei Jahrzehnten löchrig geworden. Dass 2012 die Tarifbindung im Westen nur noch 60 Prozent betrug und im Osten gar auf 48 Prozent gefallen war, das liegt nicht nur am geringeren Organisationsgrad der Arbeitnehmer, sondern auch die Arbeitgeberseite verliert Mitglieder. Das ist das Ergebnis von Untersuchungen am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, sagt Martin Behrens:
    "Das heißt, dort nehmen Unternehmen Tarifbeziehungen in die eigene Hand. Entweder, indem sie Haustarifverträge mit den Gewerkschaften verhandeln oder indem sie individuell Regelungen mit den Beschäftigten treffen. Diese entziehen sich dann aber weitestgehend der Gestaltungsmacht der Arbeitgeberverbände."
    Ein weiteres Problem: Gut die Hälfte der rund 700 Arbeitgeberverbände in Deutschland biete sogenannte OT-Mitgliedschaften an. Das sind Mitgliedschaften, bei der es den Unternehmen freigestellt wird, ob sie an den Verbandstarif gebunden sein möchten oder nicht:
    "Ich halte das für eine sehr gefährliche Entwicklung. Denn wenn man es Mitgliedern freistellt, das Kernprodukt des Verbandes für sich anwenden zu wollen oder nicht, bedeutet dies im Zweifelsfall eine Beliebigkeit."
    Aber nicht nur in der Tarifpolitik, auch beim politischen Lobbying setzten vor allem größere Unternehmen auf Eigenengagement, sagt Behrens. Das gelte für Berlin, aber vor allem in Brüssel, wo immer mehr Entscheidungen getroffen würden. Dort erschienen national organisierte Verbände weniger hilfreich, erklärt der Wissenschaftler.