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Chinas wilder Westen

Nach Ansicht des Schriftstellers Hans Christoph Buch, der gerade als Gastautor aus China zurückgekehrt ist, ist China nicht bereit, seine Kontrolle über die Uiguren-Gebiete aufzugeben, weil es dort wichtige Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas, Eisenerz und Uran gibt. Selbst wenn China den Uiguren mehr entgegenkomme würde, gäbe es immer noch den Einfluss des radikalen Islam, so Buch.

Hans Christoph Buch im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: Mehr als 1400 Verhaftungen hat es nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters seit den schweren Ausrichtungen von Sonntag in der chinesischen Provinz Xinjiang im Westen des Landes gegeben. Von 156 Toten ist offiziell die Rede. Um diese traurigen Ereignisse zu verstehen, muss man sich auch diesmal wieder vergegenwärtigen, dass China nicht nur ein 1,3-Milliarden-Einwohner-Staat mit 55 anerkannten nationalen Minderheiten gegenüber den mehrheitlichen sogenannten Han-Chinesen ist, dort in China leben auch Mitglieder zahlreicher unterschiedlicher Religionen, vor allem - so jedenfalls in der Provinz Xinjiang - die Uiguren, die überwiegend dem sunnitischen Islam angehören. Der Schriftsteller Hans Christoph Buch kommt gerade von dort zurück. Mit ihm will ich sprechen über die Hintergründe dessen, was dort gerade geschieht. Zunächst aber mal die Frage, Herr Buch: Was haben Sie dort im Westen Chinas überhaupt gemacht?

    Hans Christoph Buch: Ich war "writer in residence" in Hangzhou im Südosten Chinas und bin dann von dort in die Provinz Xinjiang zu den Uiguren geflogen, weil mich dieses Gebiet interessiert. Es ist ein ähnliches Problem wie in Tibet. Es gibt dort Unabhängigkeitsbestrebungen, Separatismus und aus chinesischer Sicht auch Terroristen. Und was mich dabei interessiert hat, war, die Oasenstätte an der alten Seidenstraße zu besuchen. Das sind Wiegen der Weltkultur, dort hat man Mumien gefunden mit blonden Haaren und blauen Augen, und dieses Gebiet ist schon seit Jahrtausenden besiedelt, und dort kamen eben viele Völkerwanderungen durch. Unter anderem die Uiguren, die sich dann dort niedergelassen haben und später zum Islam übertraten.

    Stefan Koldehoff: Die chinesische Regierung siedelt dort auch viele der sogenannten Han-Chinesen an, also jener Chinesen, die sich als die ursprünglichen Einwohner dieses Landes und die eigentlichen verstehen. Ist dort noch eine Art kulturelle Identität übrig geblieben?

    Buch: Also rein formell ist Xinjiang eine autonome Region, wie übrigens auch Tibet, das heißt, sie hat ihre eigene Kultur, ihre eigene Sprache erhalten, aber leider steht das nur auf dem Papier. De facto gibt es einen Zwang der Anpassung an die chinesische Zentralregierung, an das chinesische Staatsvolk, das heißt, die Leute müssen chinesisch lernen auf der Schule und ihre eigene Sprache Uigurisch nur in zweiter Linie, und ihre Kultur wird auf Folklore reduziert, Folklore für Touristen. Es gibt dort relativ viel Tourismus in letzter Zeit eben wegen der erwähnten Oasenstätte an der Seidenstraße.

    Stefan Koldehoff: Was ist denn Ihrer Meinung nach der Hauptanlass für das, was wir dort jetzt erleben, nämlich die Freiheitsbestrebungen, die sich zum Teil gewalttätig Bahn brechen, zum Teil aber auch gewalttätig natürlich niedergedrückt und niedergeschlagen werden? Ist es der Verlust der kulturellen Identität, ist es die Ausplünderung - Sie haben vom Reichtum gerade gesprochen, der aber nicht dieser Region zugute kommt, sondern nach ganz China exportiert wird - haben Sie eine Erklärung?

    Buch: Es ist eine komplexe Gemengelage. Zunächst mal war der Auslöser eine Art gewalttätige Auseinandersetzung nicht in dieser Region, sondern in Guangdong Kanton, wo zwei uigurische Arbeiter von einem chinesischen Mob, muss man sagen, gejagt und offenbar gelyncht wurden. Genaues weiß man darüber noch nicht. Es gab dann in Urumqi, also in der Hauptstadt der autonomen Region, Demonstrationen. Man forderte Aufklärung über den Tod dieser Arbeiter, dieser Landsleute aus uigurischer Sicht, und diese Demonstrationen wurden blutig niedergeschlagen mit inzwischen 150 Toten, und es geht weiter. Aber dahinter steckt natürlich ein viel älterer Konfliktstoff, denn die Chinesen haben seit der Han-Dynastie, das heißt seit etwa der Zeit von Christi Geburt, diese Region beherrscht, mit Unterbrechungen. Es war eigentlich eine friedliche Koexistenz entlang der Seidenstraße, wo sich Einflüsse aus Indien, aus Tibet, aus der Mongolei, auch aus Europa trafen eben mit der chinesischen Kultur. Aber die Chinesen haben sehr wenig Verständnis für nationale Minderheiten. Sie haben noch ein fast für sie selbstverständliches Überlegenheitsgefühl, und die Uiguren beklagen sich über die Arroganz der Chinesen, für die die besten Posten reserviert sind, die vor allem unkontrolliert zuziehen aus China, sodass die Uiguren bald eine Minderheit im eigenen Land sind. Das heißt, China tut sich schwer mit seinen Minderheiten, und selbst wenn China den Uiguren mehr entgegenkommen würde, gäbe es immer noch den Einfluss des radikalen Islam und auch den politischen Einfluss aus den zentralasiatischen Nachbarländern. Und China schlägt mit der gewohnten Härte zurück, geradezu unerbittlich. Die Polizeikräfte sind gut vorbereitet, die Armee ist dort stationiert, und China ist überhaupt nicht bereit, seine Kontrolle über diesen Teil des Landes aufzugeben, schon deshalb nicht, weil es dort Erdöl, Erdgas, Eisenerz, Uran und so weiter gibt. Und noch dazu gibt es in China eine ungute Erinnerung an die Kolonialzeit, als Teile Chinas von anderen Mächten besetzt wurden.