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Chinese, Synthese, Leberkäse

Die österreichische Gruppe "gelitin" hat, als sie noch "gelatin" hieß, Salzburg verärgert, bei den Festspielen 2003 war sie aus Versehen mit einer Skulptur beauftragt worden, heraus kam die Figur eines Mannes, der sich sportlich selbst in den Mund strullt, woraufhin das unsalzburgische Werk mit Brettern den Blicken der Öffentlichkeit entzogen wurde. Die war damals gespalten: Mancher fand die Idee lustig, andere waren empört. Jetzt ist im Kunsthaus in Bregenz eine Schau von "gelitin" zu sehen.

Von Christian Gampert | 15.04.2006
    Piero Manzoni füllte einst so genannte Künstlerscheiße in Dosen und stellte sie aus. Das war nicht nur provokant und lustig, sondern es war auch ein Konzept - ein Spiel mit der Imagination; bis heute weiß niemand, was in den Dosen wirklich drin ist. Aber sie werden auf dem Kunstmarkt hoch gehandelt.

    Im Kunsthaus Bregenz sind nun ganz andere Fäkal-Künstler gelandet; die Wiener Aktionistengruppe "gelitin" darf zum ersten Mal in ein veritables Museum - und fordert die Zuschauer gleich im Erdgeschoß auf, die Hosen herunterzulassen: Über einen zusammengenagelten Laufsteg kann man sich in eine Bretterbude begeben, die sich als mit vielen Spiegeln ausgestattetes Klo erweist, oben, unten, schräg und seitlich: Spiegel. Wer sich dort entleert, kann die eigene Aktivität aus jeder Perspektive wahrnehmen.

    Aber wer möchte das schon, außer den Mitgliedern von "gelitin"? Die Künstler haben offenbar lange trainiert und präsentieren die Resultate ihres Schaffens nun als Bilddokumente. Diese beweisen, dass man mit Fäkalien schreiben kann, etwas derber ausgedrückt: manche Künstler können Buchstaben kacken. Oder drücken sie es aus Tuben? Die bewegenden Frontalfotos von Kloschüsseln nebst Inhalt werden sodann zu kleinen Botschaften zusammengehängt: man kann aus Kackbildern zum Beispiel den Satz "I have a boyfriend in L.A." formen. Das ist wirklich schön zu wissen, zumal die Vielzahl dieser Bilder beim Betrachter unwillkürlich Olfaktorisches auslöst.

    Um uns herum stolzieren grelle Transvestiten in High Heels, einer hat sich in Plastik gepackt, andere sind Häschen; eine Frau mit Blondhaarperücke und Kapitänsuniform hängt weitere Fotos auf und macht hysterische Gesangsübungen. Man hat nicht unbedingt das Gefühl, einer Inszenierung beizuwohnen, sondern dem normalen Alltag einer Sekte, die sich künstlerisch zu betätigen versucht. "gelitin" hat früher einmal ein paar nette Aktionen hinbekommen; auf der Expo in Hannover ließen sie das Publikum in eine 5 Meter tiefe "Grotte des Glücks" tauchen, im scharf bewachten World Trade Center bauten sie 2001 ein Fenster aus und installierten einen Balkon. Und obwohl das Begleitheft eindringlich behauptet, die Gruppe komme ohne das "Provokationsgetöse des Wiener Aktionismus aus", stellt man sich nun in genau diese Tradition.

    Im ersten Stock hat die Gruppe ein paar Panoramen aufgehängt, auf denen aus Plastilin geformte naive Gesichter, Münder, Zähne und andere Körperteile urwaldartig aneinandergeknetet sind. Das Handwerksniveau ist infantil, aber in kühner Selbstüberhebung hat man das Werk "Guernica" genannt. Einen Stock höher sind wieder Bretterbuden aufgestellt, so wie Kinder Butzen bauen, Höhlen, nur dass hier nun ein Pornofilm gezeigt wird. Ein Herr in Anzug und auf hohen Hacken weist darauf hin, dass man "ein großes Arschloch" zu sehen bekomme und sich den Eintritt noch mal überlegen solle. Schon ist die Falle aufgestellt: geht man nicht rein, hat die Provokationskunst gesiegt; geht man rein, ist man selber schuld.

    Drinnen sitzt, auf einem schmuddeligen Sofa, eine Frau aus der "gelitin"-Sekte mit ihrem etwa einjährigen Kind und schaut einen Film an, in dem zwei Männer einem Dritten ein so genanntes doppeltes Fisting angedeihen lassen. Ein Fall für Porno-Rezensenten, Ekel kommt auf. Und: was hat das Kind hier zu suchen? Es bleibt nur die Flucht aus dem angeblichen Kunstraum, aber im nächsten Stock wartet nun der so genannte Schlamm-Saal, der in Gänze mit morastigem, dreckigem Schlick angefüllt ist.

    Man kann sich die Hosenbeine hochkrempeln, aber die bespritzten Jacken der Herauskommenden weisen schon darauf hin, dass die Kunst hier voll ins Dasein eingreifen wird, zumindest in die Kleidung. Drinnen, im flächendeckenden Schlamm, erwartet einen dann eine Art Krater. Der spuckt ab und zu Dreck; es sieht aus, als würde ein Darm entleert. Oben auf dem schlaffen Vulkan sitzen archaisch beschmierte Nackte und unterhalten sich, dann rutschen sie den Hügel hinab. In einer Ecke ein hölzernes Rüsseltier, dessen Anus aus einer Regenrinne besteht. In einer anderen Ecke ein Doppelbett ohne Matratze.

    Otto Mühl, der Gründungsvater der Wiener Aktionskunst, ein zu langjähriger Haft verurteilter Pädophiler und diktatorischer Sektenguru, schrieb in seinem Aufsatz zum "psychophysischen Naturalismus": "Manchmal habe ich das Bedürfnis, mich wie eine Sau im Schlamm zu wälzen. Mich provoziert jede glatte Fläche, sie mit intensivem Leben zu beschmutzen". Das intensive Leben ist offenbar immer regressiv. Und Kunst muss wie das Leben sein - welch Irrtum.