Klaus Remme: Guten Morgen, Herr Lindner.
Christian Lindner: Guten Morgen, Herr Remme.
Remme: Herr Lindner, man kann angesichts der Krisentreffen in den unterschiedlichsten Formaten leicht den Überblick verlieren. Vor einer Woche, da hatten wir das Sondertreffen einer Gruppe von EU-Staats- und Regierungschefs längst hinter uns, auch den Europäischen Rat, und dann verlagerte sich der Streit um die Flüchtlingspolitik zurück nach Berlin mit einer Eskalation zunächst vor allem in der Union. Die SPD wurde mit hineingezogen, zwei Koalitionsausschüsse waren notwendig, viel Theaterdonner. Wenn Sie das Ergebnis jetzt einmal rekapitulieren, wie bewerten Sie das?
Lindner: Es ist nichts! Es wurde angekündigt als Wende in der Einwanderungspolitik und im Ergebnis heraus kam ein noch ungeklärtes Verfahren, das Abkommen mit anderen Ländern benötigt. Das betrifft fünf bis zehn Personen am Tag, plus das hinlänglich, das sattsam bekannte Schlagwort eines Einwanderungsgesetzes, ohne dass wir wissen, was dahintersteckt; dafür eine Regierungskrise, dafür dieser Reputationsschaden der Regierung insgesamt. Ich halte das für unverantwortlich. In der Sache wäre es geboten gewesen, zu einer anderen Einwanderungspolitik zu kommen. Stattdessen haben wir eine völlig in sich zerstrittene Union präsentiert bekommen, und eine große Koalition, die zu echter, zu grundlegender, nach vorne gerichteter Politik nicht fähig ist.
Koalition: "Die Verletzungen werden bleiben"
Remme: Was bleibt dauerhaft von dieser Woche, wenn wir auf das Parteiengefüge und insbesondere die Statik zwischen den beiden Schwesterparteien der Union sprechen?
Lindner: Die Verletzungen werden bleiben und an anderer Stelle werden sie auch wieder spürbar werden. Meine Prognose ist, dass insbesondere bei der Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion, also der Eurozone, dass es spätestens dort wieder zu harten Auseinandersetzungen zwischen Frau Merkel, dem Wirtschaftsflügel der CDU, der CSU und der SPD kommen wird.
Remme: Aktuelle Umfragen zeigen ein widersprüchliches Bild. Protagonisten wie Horst Seehofer und Markus Söder verlieren an Zustimmung in Umfragen. Gleichzeitig erscheint die CSU in Bayern vor den Landtagswahlen stabil. Wie erklären Sie sich das?
Lindner: Das ist nicht mein Eindruck, den ich vom Land gewonnen habe. Ich bin ja viel unterwegs, auch außerhalb des Regierungsviertels. Ich glaube nicht an die Umfragen, sondern ich glaube, dass wir bei der bayrischen Landtagswahl eine Überraschung erleben werden.
Remme: Welche?
Lindner: Die CSU wird die absolute Mehrheit verlieren und es wird eine Koalitionsregierung gebildet werden.
"Seehofer will von seinen Zusagen nichts mehr wissen"
Remme: Herr Lindner, wie gut kennen Sie Horst Seehofer?
Lindner: Ich kenne Horst Seehofer aus der gemeinsamen Regierungszeit von 2009, aber ich würde nicht sagen, dass ich ihn persönlich eng kenne. Ich habe ihn näher kennengelernt während der Jamaika-Gespräche, und dort habe ich einen CSU-Vorsitzenden erlebt, der bereit war, den Grünen in nahezu allen Fragen entgegenzukommen, bei der Einwanderung, in der Agrarpolitik, in der Europapolitik, in der Steuerpolitik. Und jetzt haben ich einen CSU-Vorsitzenden erlebt, der im Nachhinein von Zusagen, die er gibt, nichts mehr wissen will.
Remme: Hat er Sie überrascht?
Lindner: Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ein bürgerlicher Politiker mit Ultimaten, mit Fristen, mit Rücktrittsdrohungen arbeitet und dass ihm so gleichgültig ist, was er mit Handschlag vereinbart hat, in der Tat.
Remme: Hat er sich disqualifiziert?
Lindner: Das muss seine eigene Partei beurteilen und am Ende müssen das die Wählerinnen und Wähler in Bayern beurteilen. Das ist ja das nächste Plebiszit, nicht alleine über die Inhalte, für die er steht. Da gibt es manchen Punkt, den ich teile, aber auch für den Stil muss man sich ja in der Politik verantworten.
"In Bayern gibt es inzwischen sehr weltoffene Menschen"
Remme: Dann schauen wir auf Bayern. Die CSU sieht sich dort mit einer erheblichen Herausforderung durch die AfD konfrontiert. Momentan ringen AfD und SPD um Platz 2 in den Umfragen. Wenn ich es richtig sehe, dann hat noch niemand in diesem Land den richtigen Weg gefunden, um die AfD erfolgreich zu bekämpfen. Sollte man nicht angesichts der beispiellosen Erfolge der CSU in Bayern annehmen, dass die am besten wissen, wie man Wahlen gewinnt?
Lindner: Vielleicht war das in der Vergangenheit so, aber Bayern ist auch nicht mehr das Bayern der 80er Jahre. Es ist ein anderes Land geworden und die Individualisierung der Gesellschaft, ihre Vielfalt, die ist nun auch in Bayern zu spüren. Mit Sauerkraut, Lederhose und derben Sprüchen kann man Bayern alleine nicht mehr begeistern. Da gibt es auch sehr viele eben doch sehr weltoffene Menschen, die die plumpen Parolen, die geäußert werden, nicht teilen.
Die AfD ist eine Herausforderung für alle demokratischen Parteien, ich glaube insbesondere auch für die SPD. Die SPD ist unter Druck geraten durch die Grünen. Die gegenwärtige Stärke der Grünen ergibt sich aus der Schwäche der SPD. Die SPD verliert sehr viel auch, gerade in den Ballungsräumen, an die AfD. Facharbeiter, die sagen, dass sie hohe Steuern und Sozialabgaben zahlen und ich empfehle, auf die AfD nicht zu reagieren, indem man die Parolen übernimmt. Im Bundestag beschimpfen Sozialdemokraten und Grüne, teilweise auch Christdemokraten, systematisch die AfD. Das führt denen nur Energie zu. Ich würde empfehlen, nüchtern darüber sprechen, was diese Partei inhaltlich an Angeboten macht, in der Rentenpolitik beispielsweise ja gar nichts.
Remme: Wo Sie über die SPD reden, die war ja in dieser Woche zeitweise in einer sehr schwierigen Position. Jetzt zeigt sie sich sehr zufrieden. Hat sie in dieser Woche der Regierungskrise zunächst einmal verantwortlich gehandelt?
Lindner: Die SPD hat sich ja gar nicht geäußert und jetzt ist ein Ergebnis herausgekommen.
Remme: Es gab den 5-Punkte Plan. Sie war lange ruhig, aber dann, als die Sache eskalierte, sind sie aufgetreten mit einem eigenen Plan und im Koalitionsausschuss mit Ideen, die sich nach Sicht der SPD durchgesetzt haben.
Lindner: Mir ist eigentlich gleichgültig, um es ehrlich zu sagen, wie die Regierungsparteien sich intern und in ihrem Wettbewerb aufstellen. Für mich ist entscheidend, welches Ergebnis liefert die Regierung, und das ist dann zu bewerten. Im Grunde hat sich die Linie seit dem Kompromiss zwischen CDU und CSU nicht verändert. Es gibt nicht eine deutsche Lösung, sondern wir warten auf Abkommen innerhalb Europas. Das ist der wesentliche Dissens-Punkt zwischen Seehofer und Merkel gewesen.
Remme: Richtig?
Lindner: Nein, das halte ich nicht für richtig. Ich teile das Ziel, dass wir ein europäisches Asylsystem brauchen, eine Kontrolle der Außengrenze. Deutschland trägt seit 2015 die Hauptlast der Migration nach Europa. Warum sollte einer unserer europäischen Partner gegen seine Interessen mit Deutschland Abkommen schließen? Welcher Preis muss da gezahlt werden, und deshalb ist unser Vorschlag seit Januar 2016, wir sollten vorübergehend zu den Verfahren von Dublin zurückkehren, also an der Grenze zurückweisen, nicht nur registrierte Asylbewerber, sondern alle Einwanderer aus sicheren Drittstaaten zurückweisen.
"Wir tragen die überproportional große Hauptlast"
Remme: Damit wollen Sie ein Signal senden, ein Signal, dass die Hauptlast nicht länger von Deutschland getragen werden kann. Wie klingt das in italienischen Ohren, die die Hauptlast in den Jahren davor getragen haben?
Lindner: Wie wirkt es auf die deutsche Bevölkerung, dass die italienische Regierung überwiegend illegale Einwanderer nach Deutschland durchwinkt?
Remme: Italien hat als ein Staat, der nun aufgrund der geografischen Lage in besonderer Weise betroffen ist, wirklich starke Lasten getragen und sieht sich überfordert. Stimmen Sie zu?
Lindner: Die Italiener sehen sich überfordert, aber ausweislich der Zahlen trägt Deutschland eine erheblich größere Last als Italien. In Deutschland sind mehr Migranten als im Rest der Europäischen Union zusammen. Da kann man nicht sagen, dass andere Staaten auch große Lasten tragen. Wir tragen die überproportional große Hauptlast und deshalb, Herr Remme, ich verkenne nicht die Situation Italiens oder Griechenlands. Ich erkenne auch, dass es Staaten gibt in Osteuropa, die keine Bereitschaft haben, Flüchtlinge aufzunehmen, aber das entlastet Europa nicht davon, das Problem zu lösen. Darum geht es doch. Ich will nicht das Problem abschieben auf andere, aber wir sehen auch als Freie Demokraten nicht tatenlos zu, wenn anderen zulasten Deutschlands sich aus der Verantwortung nehmen.
Remme: Und wenn Sie sagen, wir weisen zurück, und ich sage, es gibt jede Menge Juristen, die das für rechtswidrig halten, dann kommen Sie mit Juristen, die das für möglich halten.
Lindner: Ich komme mit der Bundesregierung, denn die Bundesregierung hält, so die Antwort auf eine Anfrage der FDP, die Zurückweisung an der Grenze für rechtmäßig. Also die Rechtsauffassung der Bundesregierung ist das, kein irgendwie geartetes juristisches Urteil. Es ist eine politische Entscheidung, nicht zurückzuweisen. Ich will noch einmal sagen, was wir beide hier diskutieren, das habe ich ja öfter, solche Gespräche, dann ist man sofort, Sie jetzt machen das nicht, aber sonst kenne ich das, wird man sofort in die Richtung des Europafeinds gerückt, der nationale Egoismen bedient. Das, was wir vorschlagen, ist die laufende praktische französische Politik.
Sanktionen für Ungarn und Polen
Remme: Jetzt komme ich gleich mit so einem, der zumindest hier als Europafeind gesehen wird, Viktor Orbán war in Berlin und er hat gesagt, humane Hilfe ist, wenn man keine weiteren Fluchtanreize bietet. Hat er Recht?
Lindner: Selbstverständlich muss an Fluchtursachen gearbeitet werden, das ist doch völlig klar und selbstverständlich müssen wir die Situation nahe der Krisengebiete auch in den dortigen Auffanglagern verbessern. Das ist ein Gebot der Humanität. Übrigens ist das auch ökonomisch sinnvoll. Mit jedem Euro Hilfe, den wir zum Beispiel in Nordafrika oder im Nahen Osten einsetzen, erreichen wir zwanzigmal mehr als hier, aber das ist auch keine Position von Herrn Orbán, sondern auch das ist eine Position, die etwa Herr Macron vertritt. Das ist eine Position, die die Mitte-Links-Regierung von Schweden vertritt. Also worauf ich hinaus will ist: Wir haben einen spezifisch deutschen Diskurs, der sich von praktischer Alltagsvernunft gelöst hat und der eine gewisse deutsche moralische Überheblichkeit widerspiegelt, als seien wir die Einzigen.
Remme: Nur Herrn Orbán verbindet ja das, was ich gerade zitiert habe, mit seiner politischen Haltung, niemanden, keinen Flüchtling ins Land zu lassen. Ist das jemand, der mit weiteren Geldern aus Brüssel in der Höhe, die er erwartet, rechnen kann oder muss man seine Politik sanktionieren, indem man Mittel zurückfährt aufgrund mangelnder Solidarität?
Lindner: Andere Beiträge sind zu leisten in der Tat. Sie sagen, muss man zurückführen, ich würde sagen, es müssen höhere Beiträge gefordert werden für zum Beispiel den europäischen Grenzschutz. Es läuft unter dem Summenstrich auf dasselbe hinaus. Ich sehe einen anderen Punkt, ich sehe nämlich die Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn, der Presse- und Medienfreiheit, der öffentlichen Meinung, die Fragen, die wir an den polnischen Rechtsstaat stellen müssen als Konfliktpunkte, bei denen sanktioniert werden muss. Dass eine Regierung in der Zuwanderungspolitik eine andere Haltung hat, das ist ihr gutes Recht. Jede Regierung hat in bestimmten Fragen eigene Positionen.
Remme: In dem Themenzusammenhang, den Sie jetzt nennen, droht Ungarn ein sogenanntes Artikel 7-Vefahren, Rechtsstaatlichkeit durch Brüssel. Unterstützen Sie das?
Lindner: Ja, das würde ich unterstützen.
"Ich vertraue dem amerikanischen Präsidenten nicht"
Remme: Sie hören das Interview der Woche hier im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Christian Lindner, dem Partei- und Fraktionschef der Freien Demokraten. Herr Lindner, ich möchte mit Ihnen noch, nachdem wir ein auf die letzte Woche geschaut haben, auf die nächste schauen, und ich vermute, dass ein dominierendes Thema der NATO-Gipfel sein wird. Niemand weiß, was Donald Trump dieses Mal einfällt. Vertrauen Sie dem amerikanischen Präsidenten?
Lindner: Nein, ich vertraue dem amerikanischen Präsidenten nicht. Dazu ist er zu sprunghaft. Dazu vertritt er geradezu autistisch das, was er amerikanische Interessen nennt. Im Bereich der Handelspolitik und der Sicherheitspolitik glaube ich nicht, dass es im langfristigen amerikanischen Interesse ist, was er veranstaltet, aber die Kritik an Herrn Trump kann nicht ein Anlass sein, um einen plumpen Anti-Amerikanismus in Deutschland salonfähig zu machen. Den haben wir ohnehin ja schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten. Die Vereinigten Staaten bleiben unser engster Verbündeter und gerade eine Person wie Trump als Präsident, mit dem wir länger rechnen müssen, wie ich fürchte, der muss Anlass sein für ganz besonders intensive Bemühungen um das transatlantische Verhältnis.
Remme: Zentrales Fundament der Nordatlantischen Allianz ist Artikel 5, das ist die Beistandsklausel. Können wir uns mit Donald Trump im Weißen Haus darauf verlassen?
Lindner: Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, und das sagt die amerikanische Administration ja auch. Ich hoffe nur, dass diese Frage des Beistandes sich überhaupt gar nicht stellt. Damit sie sich nicht stellt, werden wir neu denken müssen im Verhältnis zu Russland. Darum geht es ja im Kern. Von wo kann eine Bedrohung dieser Art kommen. Das könnte nur eine Eskalation eines neuen Ost-West-Konfliktes sein und unabhängig davon, ob wir uns jetzt auf Garantie amerikanischer Nuklearwaffen, die uns beistehen, verlassen, würde ich gerne dafür sorgen, dass wir eher zu einer Entspannung im Verhältnis zu Russland kommen.
Kritik an Zwei-Prozent-Quote für den Bundeswehretat
Remme: Es wird einmal mehr in der kommenden Woche um Lastenverteilung gestritten im Bündnis. Der Haushalt 2018 ist Donnerstag verabschiedet worden, einmal mehr mit zusätzlichen Milliarden für das Verteidigungsressort. Weitere Steigerungen sind in den nächsten Jahren programmiert. Das reicht nicht, sagt Trump. Das reicht nicht, sagt die Kanzlerin. Was sagen Sie?
Lindner: Ich würde gerne wissen, wofür. Also, dass die Bundeswehr in einem erbärmlichen Zustand ist, ist völlig klar. Es verwundert nach 13 Jahren einer CDU-geführten Regierung, in welchem Zustand die Bundeswehr ist. CDU und CSU haben sich einmal als die Parteien der Bundeswehr verstanden. Jetzt sieht man nach 13 Jahren die Ergebnisse. Also, dass sich etwas ändern muss, ist klar. Nur für uns steht erstens im Vordergrund, dass wir unter dem Dach der Nato innerhalb Europas zu einer stärkeren Integration der Verteidigung kommen.
Remme: Das alles interessiert den Donald Trump überhaupt nicht. Der ist, wie Sie sagen, autistisch oder auch nicht, auf ein Ziel fokussiert, das sich das Bündnis 2014 einmal gesetzt hat und wiederholt Mantra-haft: Zwei Prozent. Wie geht man damit um?
Lindner: Davon lässt man sich nicht beeindrucken. Wir sind als Europäer schon auch noch einflussreich in der Welt. Wenn wir mit einer Stimme sprechen als Europäer, dann sind wir eine Bank, und deshalb, ich bleibe dabei, wir müssen zunächst einmal über den Auftrag der Bundeswehr sprechen, über die dafür notwendigen Befähigungen, dann darüber, wie man die Beschaffung besser managen kann und welche Entlastungen wir durch eine europäische Verteidigungsstruktur bekommen, und dann hat man am Ende ein Preisschild und Herr Remme, wenn auf dem Preisschild steht, wir müssen 2,7 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts in die Bundeswehr investieren, trotz besserer Beschaffung, trotz europäischer Integration, dann wird man das tun müssen.
Remme: 2,7 Prozent, Herr Lindner, wissen Sie, wie viel Milliarden das sind?
Lindner: Ich weiß, bei einer jährlichen Wirtschaftsleistung von 3,3 Billionen ist mir das schon klar, aber ich will auf folgenden Punkt hinaus, das war ja gerade fiktiv. Wenn es ein Preisschild wäre von 2,7 Prozent, dann müsste man es leisten, weil wir natürlich unsere äußere Sicherheit nicht vernachlässigen dürfen. Ich vermute aber, darauf wollte ich hinaus, dass bei besserem Management der Beschaffung und europäischer Integration wir eher weniger als 2 Prozent, deutlich weniger als 2 Prozent in Europa benötigen, um die Befähigungen zu erreichen, die auch die Vereinigten Staaten von uns erwarten, zu Recht erwarten übrigens. Aber das ist kein Frage einer fixen Quote, sondern eben eines Auftrags und der Befähigung.
"Den ganzen Bundeshaushalt auf den Prüfstand stellen"
Remme: Sie sagen ja zu Recht "die Amerikaner", denn es ist nicht nur Donald Trump, der eine gerechte Lastenverteilung gefordert hat, sondern auch ein Barack Obama und andere Präsidenten vor ihm, denn das Problem ist ein altbekanntes Problem. Fiktiv oder nicht, was nicht fiktiv ist, ist die mittelfristige Planung des Bundesfinanzministers. Ich hoffe jedenfalls nicht, dass Sie das in den Bereich der Fiktion weisen. Wenn ich mir die Steigerung ansehe für den Verteidigungsetat, dann ist alleine schon jetzt in der Beschlussvorlage für 2019 eine Steigerung auf 42 Milliarden von jetzt gut 38 vorgesehen. Will man die 1,5 Prozent erreichen, wir wären dan immer noch unter 2 Prozent, immer noch Grund zur Klage für die Amerika, dann wären wir bei oberhalb von 50 Milliarden. Das ist doch nicht durchsetzbar in diesem Land.
Lindner: Wenn es erforderlich ist, dann muss es durchsetzbar sein, dann müssen Politikerinnen und Politiker für dieses Ziel streiten, und dazu wäre ich auch bereit. Das ist vielleicht nicht populär, aber notwendig, nur ich sage noch einmal, bevor es um konkrete Milliardenzahlen und Quoten geht, muss doch nach dem Auftrag gefragt werden und nach dem Ziel. Pauschal über eine Quote zu streiten, das ist doch letztlich witzlos, wenn man nicht weiß, wofür man Geld ausgibt.
Remme: Nun haben Sie im Bundestag in der vergangenen Woche die Alltagsthemen aufgerufen, kümmert euch darum, haben Sie gesagt.
Lindner: Diesel, Bildung, Wohnen.
Remme: Das sind alles wahnsinnig teure Themen, Digitalisierung vorneweg, Pflege, die Rentenproblematik, das alles kostet, jeder Posten für sich Milliarden, da muss es doch in Konkurrenz zu den Ausgaben für die Sicherheit Zielkonflikte geben.
Lindner: Vielleicht denken wir einmal darüber nach, den ganzen Bundeshaushalt auf den Prüfstand zu stellen, was wir nicht mehr brauchen. Also beispielsweise das Baukindergeld, das völlig fehlgeleitet ist, kann man sich sparen. Das sind Milliarden in den nächsten Jahren. Die Kaufprämie für Elektroautos ist ein reiner Mitnahmeeffekt und oft genug werden die Ziele einer solchen Subvention gar nicht erreicht; Antwort große Koalition: Verlängern wir. Unsere Antwort wäre: Streichen wir.
Da gibt es eine Vielzahl von Milliardenbeträgen, die man einsparen kann, alleine jetzt für den laufenden Bundeshaushalt. 2018 haben wir über 12 Milliarden Euro gefunden, die man ohne Probleme, ohne dass die Menschen es merken würden, einsparen könnte, und dieses Volumen, wenn das umgeschichtet werden kann, wächst in den nächsten Jahren. Wenn man einfach einmal die Füße stillhält, nicht permanent neue Subventionen schafft, neue Gesetze, Behörden einführt, dann haben wir auch die Spielräume zu entlasten und zu investieren, auch über den Bereich der Sicherheit hinaus.
"Deutschland sollte den Dialog mit Moskau aufnehmen"
Remme: Sie haben den Namen schon erwähnt. Wenige Tage nach dem Gipfel wird Donald Trump Wladimir Putin treffen, den russischen Präsidenten. Befürchten Sie, rechnen Sie mit Vereinbarungen zulasten Dritter, zulasten der Europäer?
Lindner: Herr Remme, wer kann denn das bei den beiden prognostizieren? Das ist ja eine Sprunghaftigkeit. Innerhalb von 24 Stunden kann auch ja Herr Trump seine Position um 180 Grad wenden. Wenn wir Europäer auf der internationalen Bühne mit einer Stimme sprechen, dann kommen auch die Beiden ohne Weiteres nicht an uns vorbei. Europa ist unverändert der größte Wirtschaftsraum der Welt und deshalb müssen wir gemeinsam auch unsere wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen vertreten. Gerade im Verhältnis zu Russland haben wir ein unmittelbares Interesse an Entspannung, weil es Sicherheit auf diesem Kontinent nur mit Russland geben kann, und interessanterweise kommt der Vorschlag ja aus Washington.
Washington hatte immer ein Interesse an der Isolation Russlands und jetzt plötzlich gibt es den Vorschlag, Russland wieder in den Kreis der G8-Nationen aufzunehmen, und aus Deutschland kam der Hinweis, nein, das machen wir nicht. Das halte ich für falsch. Deutschland sollte offensiv mit an der Spitze der Bewegung stehen derjenigen, die den Dialog mit Moskau wieder aufnehmen wollen, nicht G8, wir nennen das G7+1, um zu verdeutlichen, es ist schon noch eine Sondersituation, in der wir sind, aufgrund der Annexion der Krim, aber wir sind bereit zum Dialog.
Remme: Herr Lindner, unsere Zeit ist fast um. Ich kann mir vorstellen, dass die jetzt anbrechende Sommerpause, sagen wir mal, am Wahltag im September so eine Art Zielmarke war, bis zu der man dies oder das erreichen wollten. Sind Sie da, wo Sie sein wollten?
Lindner: Wir als Freie Demokraten?
Remme: Ja.
Lindner: Wir haben jetzt wieder eine Rolle im Bundestag, leider nicht in der Regierung, es war nicht möglich, aber als Opposition. Man hat bei der Diskussion um den Untersuchungsausschuss beim BAMF gesehen, es gibt jetzt auch eine rechtsstaatliche demokratische Opposition, die der Regierung Druck macht. Wir waren die Partei, die den Solidaritätszuschlag zum 01.01.2020 abschaffen will mit einem vorgelegten Gesetzentwurf. In der Europafrage sind wir die Fraktion, die ganz klar für mehr Europa ist, dort, wo es Mehrwert bietet, digitaler Binnenmarkt, Einwanderungspolitik, Energiepolitik, aber wir stehen auf der Bremse, wenn es um die Vergemeinschaftung eben von Schulden, Risiken, Finanzen geht, also der Bundestag ist bunter und vielfältiger geworden, und das ist gut so.
"Viel Gegenwind wegen dieser Jamaika-Geschichte"
Remme: Jetzt bedanken sich die Wähler in Bayern zumindest in Umfragen dafür, dass Ihre Partei dort um die 5 Prozent schwankt. Sie haben Ihre Zweifel an Umfragen zu Beginn des Interviews schon geäußert, aber selbst wenn man die Fehlermarge jetzt zu Ihren Gunsten auslegt, ist das ja nicht wirklich eine Komfortzone. Woran liegt das?
Lindner: Wir haben uns mit dem Ende von Jamaika für einen harten Weg entschieden und wussten das auch.
Remme: Aber es gibt einen stabilen Bundestrend und eine schwächere Position in Bayern.
Lindner: In Bayern gibt es immer eine Sondersituation. Klar, es gibt einen Bundestrend, da liegen wir bei 9, 10, je nach Institut. Das ist aber auch nicht etwas, was mich zufriedenstellt. 9, 10 ist für uns die untere Marge. Ich glaube, wir können wesentlich stärker sein. Wir haben uns, wie ich gerade sagte, auf einen harten Weg begeben, viel Gegenwind wegen dieser Jamaika-Geschichte, jetzt plötzlich nach der Regierungskrise merken die Leute, es gibt Gründe, warum die das nicht gemacht haben.
Bayern Sondersituation. Ich bin mir sicher, wir kommen stark in den Landtag. Ich glaube, wir werden deutlich besser abschneiden, als die jetzigen Umfragen zeigen, und wenn man sich erinnert, wir kommen dort von 3 Prozent, also insofern sind wir nicht da, wo wir sein wollen, aber dass wir nach den Umfragen im Parlament sind, das ist für viele Wähler jetzt auch das Signal, uns zu stark zu machen, denn eine sogenannte verlorene Stimme, das ist die FDP in Bayern nicht.
Remme: Wie viel Freizeit gibt es im Sommer?
Lindner: Mehr, ich werde in Washington den neuen Transatlantischen Dialog unserer Stiftung eröffnen. Man sollte ja nicht nur darüber sprechen, den Kontakt mit den USA zu stärken, sondern auch bescheidene Beiträge leisten. Ich bin viel in Europa unterwegs, Spanien, Schweden, um unsere liberalen Freunde im Vorfeld der Europawahl zu treffen, aber einen Urlaub, zweieinhalb Wochen, gönne ich mir auch.
Jagdscheinprüfung erfolgreich bestanden
Remme: Weil wir in unserem letzten Gespräch darüber gesprochen haben, Sie wollten seinerzeit neben den politischen Turbulenzen den Jagdschein machen. Wie weit sind Sie?
Lindner: Abgeschlossen jetzt, ja, das war aber harte Arbeit. Ich musste die Stunden, es gibt ja eine vorgeschriebene Unterrichtsstundenzahl, mir hart aus meinen Wochenenden herausschneiden, und manche Nachtstunde ist für die Vorbereitung auch draufgegangen.
Remme: Was haben Sie gelernt?
Lindner: Die ganze Bandbreite, von der Wildbiologie über den Naturschutz, das Lebensmittelrecht, Waffenkunde, die ganze Bandbreite, und zwar habe ich eins gelernt, die Jagd ist nicht irgendein Sport, sondern ein aktiver Beitrag zum Natur- und Artenschutz.
Remme: Und? Schon gejagt?
Lindner: Nein, das habe ich noch nicht, denn meinen Jagdschein werde ich erst in dieser jetzt anbrechenden Woche lösen können. Da habe ich zum ersten Mal morgens Gelegenheit, zum Amt zu gehen. Das muss man übrigens auch noch persönlich machen. Das wäre auch einmal eine Innovation, wenn das online ginge.
Remme: Herr Lindner, vielen Dank für das Gespräch.
Lindner: Gerne, Herr Remme.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.