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Christian Morgenstern
Spielbilder der Welt

Der deutsche Dichter Christian Morgenstern war bekannt für seine heitere und leichtfüßige Lyrik, die stets von einem Augenzwinkern begleitet wurde. Er hatte ein Talent für Skurill-Fantastisches. Die Popularität seiner komischen Werke verdeckte jedoch zeitweise sein ernstes Wesen. Vor 100 Jahren starb er in Meran.

Von Florian Ehrich | 31.03.2014
    "Die Möwen sehen alle aus,
    als ob sie Emma hießen.
    Sie tragen einen weißen Flaus
    und sind mit Schrot zu schießen.
    Ich schieße keine Möwen tot,
    ich laß sie lieber leben -
    und füttre sie mit Roggenbrot
    und rötlichen Zibeben.
    O Mensch, du wirst nie nebenbei
    der Möwe Flug erreichen.
    Sofern du Emma heißest, sei
    zufrieden, ihr zu gleichen."
    Gerd Fröbe liest das "Möwenlied", dessen Autor Christian Morgenstern als Klassiker der humoristischen Dichtung gilt. Dabei waren seine Kindheit und Jugend überschattet von Krankheit und Tod. Geboren am 6. Mai 1871 in München, verlor Morgenstern seine Mutter mit zehn Jahren; von ihr erbte er ein Lungenleiden, das ihn zeitlebens zu langwierigen Kuraufenthalten zwang. Der Vater, ein Landschaftsmaler, verweigerte die finanzielle Unterstützung des Studiums und wollte den einzigen Sohn zum Offizier ausbilden lassen. Es kam zum Bruch. Morgenstern folgte seiner musischen Begabung, schrieb Kritiken in Kunstzeitschriften und veröffentlichte 1895 seinen ersten Gedichtband, "In Phantas Schloss", der Friedrich Nietzsche gewidmet ist und bereits stilistisches Können und Talent für Skurril-Fantastisches verriet. Zu dieser Zeit gründete Morgenstern mit Berliner Freunden eine Künstlergruppe, die sich Bund der "Galgenbrüder" nannte und ins nahe gelegene Werder an der Havel zog. Achim Risch ist Kurator der dortigen Morgenstern-Dauer-Ausstellung:
    "Es ging ihnen um diese Unterhaltung, auffallen zu wollen und vielleicht das zu demonstrieren, was Morgenstern schreibt: Die Galgenlieder sind eine Philosophie, vom Galgen sieht man die Welt anders und anderes."
    Leichtfüßige Lyrik, die nichts will
    Morgensterns "Galgenlieder" erscheinen 1905 bei Bruno Cassirer, nachdem der Dichter einige Jahre mit der Übersetzung von Werken Henrik Ibsens zugebracht hat, wofür er erst einmal norwegisch lernen musste. Später übersetzt er auch Björnsterne Björnson und Knut Hamsun. Die "Galgenlieder", die ein großer Erfolg werden, sind Grotesken, angesiedelt zwischen Nonsens und virtuosem, hintersinnigem Sprachspiel:
    "Ein Wiesel
    saß auf einem Kiesel
    inmitten Bachgeriesel.
    Wißt Ihr
    weshalb?
    Das Mondkalb
    verriet es mir
    im Stillen:
    Das raffinierte Tier
    tat's um des Reimes willen."
    Für diese leichtfüßige Lyrik fand der Schriftsteller Albrecht Goes treffende Worte:

    "Seine Verse sind die Heiterkeit an sich, so wie gewisse Bilder des Malers Paul Klee nur eines sind: das Spielbild der Welt. Ob diese Morgensterniaden etwas wollen? Nein, sie wollen gar nichts. Ob sie etwas bewirken? O ja, und zwar eben dadurch, dass sie so gar nichts wollen."

    Das "Große Lalulā" ist das erste reine Lautgedicht der deutschen Literatur, während "Fisches Nachtgesang" nur aus Längen- und Kürzezeichen besteht, ein Gedicht ohne Laute, eben stumm wie ein Fisch und doch, so der augenzwinkernde Autor, "das tiefste deutsche Gedicht". Morgenstern lotet Grenzbereiche des Denk- und Sagbaren aus. Mit seinem "Palmström", erschienen 1910, erfindet er dann eine skurrile Figur, die - etwa in der Beschäftigung mit seiner Krankheit - auch selbstironische Züge des Dichters trägt:
    "Palmström legt des Nachts
    sein Chronometer -
    um sein lästig Ticken nicht zu hören,
    in ein Glas mit Opium oder Äther.
    Morgens ist die Uhr dann ganz "herunter".
    Ihren Geist von neuem zu beschwören,
    wäscht er sie mit schwarzem Mokka munter."
    Anhänger von Rudolf Steiner
    Die Popularität seiner komischen Lyrik verdeckt bisweilen das ernste Wesen Christian Morgensterns, das sich in Sammlungen wie "Melancholie" oder "Einkehr" zeigt. Von der inbrünstigen, konzentrierten Gottsuche des religiösen Dichters zeugt das aphoristische "Tagebuch eines Mystikers". In einem Brief an seine Frau schrieb Morgenstern:

    "Vor allem aber sind solche Menschen wie ich von Zeit zu Zeit nötig, sonst würde der mystische Charakter der Erde, der Welt, des Lebens vergessen werden. Davon reden tun freilich viele, aber es leidenschaftlich erleben, und dazu dem noch vollen Ausdruck verleihen können, diese schmerzliche Gnade ist wohl nur wenigen vorbehalten. Nur wenigen Opfern."

    Ein letztes Abenteuer erlebte er in der Begegnung mit Rudolf Steiner. Bereits todkrank, lauschte er begeistert den Vorträgen des Anthroposophen. Christian Morgenstern starb am 31. März 1914 in Meran an Tuberkulose.