Archiv


Colin J. Campbell: Ölwechsel

Kaum ein politischer Beobachter hierzulande dürfte bestreiten, dass es bei dem Irak-Konflikt auch um Öl geht. Der größte Ölproduzent, Saudi-Arabien, ist wegen seiner Sympathien mit dem radikalen Islam zum unsicheren Kantonisten geworden, und der Irak hat die zweitgrößten bekannten Ölreserven der Welt. Da liegt es nahe, dass die größten Ölverbraucher, die USA, sich ein amerikafreundlicheres Regime in Bagdad wünschen - ganz unabhängig von den offen diskutierten Gründen für die Krise. Das umso mehr, als die Ölreserven nicht unendlich sind und ein Ende des Ölzeitalters kommen wird. Mit diesem Ende un den Weichenstellungen für die Zukunft beschäftigt sich der Insider der Ölbranche, Colin Campbell, seit Jahren. Sein neuestes Buch ist ein besorgter Blick auf das Ende. Er ruft auf zu einem Ölwechsel. So heißt das Buch auch; die Rezension schrieb uns Gabriele Betyna:

Gabriele Betyna |
    Kaum ein politischer Beobachter hierzulande dürfte bestreiten, dass es bei dem Irak-Konflikt auch um Öl geht. Der größte Ölproduzent, Saudi-Arabien, ist wegen seiner Sympathien mit dem radikalen Islam zum unsicheren Kantonisten geworden, und der Irak hat die zweitgrößten bekannten Ölreserven der Welt. Da liegt es nahe, dass die größten Ölverbraucher, die USA, sich ein amerikafreundlicheres Regime in Bagdad wünschen - ganz unabhängig von den offen diskutierten Gründen für die Krise. Das umso mehr, als die Ölreserven nicht unendlich sind und ein Ende des Ölzeitalters kommen wird. Mit diesem Ende un den Weichenstellungen für die Zukunft beschäftigt sich der Insider der Ölbranche, Colin Campbell, seit Jahren. Sein neuestes Buch ist ein besorgter Blick auf das Ende. Er ruft auf zu einem Ölwechsel. So heißt das Buch auch; die Rezension schrieb uns Gabriele Betyna:

    Drei Jahrzehnte sind vergangen, seit der Cub of Rome in seinem Bericht "Die Grenzen des Wachstums" vor der Endlichkeit der mineralischen Ressourcen warnte und ein Ende des Wachstums vorhersagte. Mittlerweile scheinen die Prophezeiungen weithin vergessen oder überholt, doch Colin Campbell, anerkannter Experte der Ölbranche, knüpft jetzt an den Bestseller an, wenn er das Ende der Erdölreserven ankündigt. Das Versiegen der Quellen habe weitreichende Folgen: Konflikte um die Kontrolle und Verteilung der verbleibenden Reserven scheinen ebenso unvermeidlich wie ein fundamentaler Umbruch, der die Energieversorgung und das Bewußtsein in den westlichen Industrieländern betrifft. Wohin die Reise geht, ist noch ungewiß. Über die Richtung aber lässt Campbell keinen Zweifel aufkommen. Für eine kleine Minderheit der Weltbevölkerung hat die zweite Hälfte des 2o. Jahrhunderts einen beispiellosen Wohlstand gebracht. Garant und Motor dieser wachstumsdominierten Ära war und ist im Wesentlichen die Erdölproduktion:

    Die modernen Industriestaaten verdanken ihre hohe Arbeitsfähigkeit und Wertschöpfung zu 77 Prozent der Ausbeutung von fossilen, in Millionen von Jahrhunderten gefüllten Energiespeichern: Kohle, Erdöl und Erdgas.

    Der Wohlstand hat seinen Preis: Durch ihren energieintensiven Lebensstil haben die westlichen Industrieländer in wenigen Jahrzehnten rund die Hälfte der bekannten weltweiten Ölreserven verbraucht. Dies ist eine alarmierende Tatsache, denn wie Campbell ausführlich darlegt, ist die massenhafte Entstehung von Erdöl ein erdgeschichtlich seltenes Ereignis. Er warnt deshalb vor falschen Hoffnungen ebenso wie vor trügerischen Zahlen etwa aus dem Umkreis der Erdölkonzerne:

    Man weiß heute sehr gut, wo und wie Öl entstanden ist und wo es noch erhalten sein könnte. Damit weiß man auch sehr gut, wo es sich lohnt, nach Erdöl zu suchen und wo nicht. Hier noch auf große Überraschungen zu hoffen, kann keine Grundlage für eine Strategie zur Sicherung der künftigen Energieversorgung sein.

    Eine solche Strategie ist indessen dringend geboten, weil für die Energieversorgung nicht die verbleibenden Reserven entscheidend sind, sondern das Fördermaximum:

    Der Übergang von tendenziell zunehmender zu tendenziell abnehmender Produktion ist der Zeitpunkt, an dem sich die Endlichkeit der Ressourcen erstmals auch auf den Märkten spiegelt.

    Dieser Zeitpunkt ist möglicherweise schon gekommen. Dies verschärft die Frage nach Eigentum und Verteilung der Erdölressourcen, die die Geschichte der Erdölproduktion von Anfang an begleitet. Da sich das gesamte Erdölvorkommen in wenigen großen Ölregionen befindet, beginnt mit der Entdeckung der großen Ölressourcen zu Beginn des 2o. Jahrhunderts zugleich auch ein Kampf um das schwarze Gold, ein Kampf, den Campbell immer wieder kritisch kommentiert:

    Trotz aller 'Zufälligkeit’ ist durch die Politik der Westmächte im letzten Jahrhundert ein Muster gelegt worden, das in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart weiterhin dramatisch Geschichte schreibt. Und wie selbstverständlich wird davon ausgegangen, dass die Ressourcen denen zur Verfügung zu stehen haben, die sie aufgrund ihres energieintensiven Lebensstils benötigen.

    Das Augenmerk richtet sich vor allem auf den Mittleren Osten, denn hier befindet sich etwa die Hälfte der globalen Reserven sowie der potentiellen Funde. Als Beispiel für die strategische Bedeutung der Region führt Campbell unter anderem den zweiten Golfkrieg an, von dessen Ausgang mehrere Parteien profitiert haben:

    Der zweite Golfkrieg löste mit einem Schlag alle Preisprobleme der Vereinigten Staaten und der übrigen OPEC-Länder. Jetzt war es möglich, das irakische Öl vom Markt fern zu halten, und man konnte den Ölpreis nach den Interessen des wichtigsten amerikanischen Verbündeten, König Fahd von Saudi-Arabien, und der Produzenten in Texas steuern.

    Freilich geht es nicht allein um die Gestaltung der Preispolitik, sondern eben auch um den Zugriff auf die letzten großen Ölreserven, die der Westen bald sehr nötig haben wird. Das Interesse der Industrieländer richtet sich hierbei nebst dem Mittleren Osten auch auf Zentralasien. Die amerikanische Unterstützung der Taliban gegen die sowjetischen Militärs etwa diente dazu, die für die Pipelines notwendigen Landkorridore zum Indischen Ozean zu schaffen. Und auch 'Enduring Freedom’ bewertet Campbell durchaus polemisch unter dem Blickwinkel ökonomischer Interessen:

    Die Jagd auf Terroristen bringt in jedem Fall eine Beute: Die 'begründete’ Präsenz in dieser Region, die etwas hat, was die Vereinigten Staaten dringend brauchen - Erdöl und Gas.

    Als mindestens so folgenschwer wie künftige Verteilungskämpfe erweist sich der strukturelle Umbruch, den die Ölpreisschocks der siebziger Jahre ausgelöst haben. Er basiert auf einer grundsätzlichen Kritik am Wachstumsdenken und dem damit verbundenen westlichen modernen Lebensstil, insbesondere dem 'American way of Life’, für den Campbell aus mehreren Gründen offensichtlich keine Sympathien übrig hat. - Moralisch fragwürdig ist der Wohlstand der Industrieländer deshalb, weil er zu Lasten der großen Mehrheit der Menschheit geht. So haben die Industriestaaten die Ressourcen im wesentlichen alleine genutzt, und eine Übertragung des material- und verbrauchsintensiven Lebensstils auf die gesamte Welt ist nicht mehr möglich. Eine weitere Schieflage ergibt sich aus der Ausbeutung der Ressourcen und betrifft die nachfolgenden Generationen:

    Schon längst ist dieser Raubbau nicht mehr nur moralisch verwerflich, sondern auch kurzsichtig und dumm, denn er ruiniert die Lebensgrundlagen der gesamten Menschheit überall auf der Welt.

    Ein Richtungswechsel ist folglich überfällig. Die Industrieländer müssten sich endgültig vom wachstumsorientierten Denken verabschieden und sich stattdessen nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit richten; sie sei das Gebot der Stunde. Denn, so Campbell:

    Sie ist der Versuch, Wege in eine langfristig verträgliche Zukunft aufzuzeigen.

    Die Nachhaltigkeitsdebatte gründet zum einen auf der Frage, wieviel materieller Wohlstand in Zukunft nötig und verträglich ist, zum anderen bedingt sie den Übergang zu erneuerbaren Energiequellen und die Reduzierung des Energieverbrauchs in den Industrieländern. Campbells Zukunftsszenario beginnt deshalb mit der großen Herausforderung:

    Diesen Übergang von zunehmendem zu abnehmendem Verbrauch mit all seinen Nebenwirkungen und Verflechtungen zu meistern, kann man als die Lebensaufgabe der heute lebenden Generationen sehen.

    Colin Campbell: Ölwechsel - Das Ende des Erdölzeitalters und die Weichenstellung für die Zukunft. Das war eine Besprechung von Gabriele Betyna. Das Buch erschien jetzt Anfang Dezember bei dtv in München. Es hat 28o Seiten und kostet 15 Euro.