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Colin Powell und der Krieg

Zehn Jahre nach Beginn des Irak-Kriegs schreibt der damalige US-Außenminister Colin Powell über seine Rolle in dieser Zeit. Er blickt kritisch auf Entscheidungen zurück und beschreibt seine Führungsstrategien.

Von Tom Goeller | 18.03.2013
    Zum ersten Mal schreibt Colin Powell selbst über seine umstrittene Präsentation am 5. Februar 2003 vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Sie hatte entscheidend dazu beigetragen, dass die Vereinigten Staaten sechs Wochen später den Irak angriffen und den damaligen arabischen Diktator Saddam Hussein und sein Regime stürzten. Ein ganzes Kapitel widmet der einstige General und Chef-Diplomat aus der letzten Bush-Administration diesem Schicksalstag in seinem Leben und erläutert seine damaligen Beweggründe. Nach Meinung der amerikanischen und englischen Geheimdienste habe der irakische Despot Hussein große Vorräte an Massenvernichtungswaffen besessen. Nach dem Anschlag vom 11. September 2001 hätten die USA befürchtet, dass diese Waffen in die Hände von arabischen Terroristen fallen könnten, und hätten nun nach Beweisen gesucht, um gegen Hussein militärisch vorgehen zu können. Powell verweist darauf, dass Präsident Bush außerdem bemüht war, für einen Angriff auf den Irak um internationales Verständnis zu werben und schreibt über den Vorabend seiner UNO-Rede:

    "Stundenlang gingen wir jedes Detail durch, suchten nach zuverlässigen Beweisen, verwarfen jeden Punkt, der uns zu weit hergeholt erschien oder nicht durch mehrere Quellen belegt war. Am nächsten Morgen hielt ich im Sicherheitsrat meinen eineinhalbstündigen Vortrag, der live in alle Welt übertragen wurde. Alles in allem schienen wir unsere Sache überzeugend vertreten zu haben."

    Doch schon bald nach Beginn des Krieges stürzte für Powell eine Welt ein:
    "Im Verlauf der folgenden Wochen erhielten der Präsident und dann ich von der CIA scheibchenweise Informationen, welche die Glaubwürdigkeit anderer von ihr zuvor als zuverlässig bezeichneten Quellen völlig zerstörten. Ich war fassungslos. Es war eine der schlimmsten Geheimdienstpannen in der Geschichte der Vereinigten Staaten."

    Powell glaubt nicht, wie gelegentlich gemutmaßt wird, dass er einer bewussten Fehlinformation aufgesessen ist. Er ist vielmehr davon überzeugt, hätte Präsident Bush gewusst, dass Saddam Hussein nicht über Massenvernichtungswaffen verfügte, wäre kein Angriffsbefehl gegen den Irak ergangen. Doch die Kriegsmaschinerie war im Frühjahr 2003 unaufhaltsam angelaufen und verhalf Bush im Jahr darauf zu einer überwältigenden Wiederwahl. Eine zweite Amtszeit und eine Fortsetzung des Irakkrieges, basierend auf falschen Voraussetzungen, mochte der Diplomat Powell jedoch nicht weiter mittragen und trat im Januar 2005 als Außenminister zurück. Powell über damals:

    "Ja, ich war verärgert, und bin es noch immer. Und ja, ich wünschte, es gäbe nicht so viele unbeantwortete Fragen. Und ich werde wütend, wenn Blogger mir vorwerfen, ich hätte gelogen - und gewusst, dass die Informationen falsch waren. Und ja, ein Makel des Versagens wird immer an mir und meiner Präsentation vor dem UN-Sicherheitsrat haften bleiben. Doch am meisten ärgere ich mich über mich selbst. Mein Instinkt hatte mich im Stich gelassen."

    Und hier kommt er zurück auf den Kern seines Buches - auf die richtige Einschätzung von Krisensituationen und schwierigen Lebenslagen im Allgemeinen, oder, wie es im Untertitel heißt: "Regeln, die mich durchs Leben führten". Powell suggeriert geschickt, dass seine falsche UNO-Präsentation eben nur eine von vielen Episoden darstellt, die er als Militär und Diplomat meistern musste. 13 Regeln hat er schon früh für sich selbst aufgestellt, die nach seinen Worten überwiegend dazu dienen sollen, wie man Menschen erfolgreich führt. Powell ist nicht der erste namhafte amerikanische Politiker, der sich Regeln vorgab. Der erste Präsident der USA, George Washington, pflegte ein Regelbüchlein schon in frühester Jugend, und es zählt bis heute zum Lehrstoff an amerikanischen Schulen. Powells Regeln sind der Moderne angepasst, entstammen hauptsächlich den Erfahrungen aus seiner Militärzeit. Bezeichnenderweise heißt ein Kapitel auch "Fürsorge für die Truppen". Diesen Teil des Buches sollte sich auch ein deutscher Verteidigungsminister genauestens durchlesen und zu Herzen nehmen: Hier ist die Rede von "gegenseitigem Respekt", von "Vertrauen" des Führenden in seine Mitarbeiter und, so Powell:

    "Die Leute "im Feld" haben recht, und der Stab hat unrecht. Jedes Mal, wenn ich das Kommando über eine Einheit übernahm, machte ich von Anfang an klar, dass die Leute "im Feld" bei mir einen Vertrauensvorsprung genossen. Im Laufe meiner langjährigen Erfahrung hatten die Kommandeure im Feld in etwa 70 Prozent der Fälle recht."

    Andere Regeln handeln vom Prinzip des "Erkenne dich selbst" und wie man jenen Führungspersonen begegnen sollte, die sich für unersetzlich halten. Jede einzelne dieser Regeln und Prinzipien ist in bestem Plauderton beschrieben und zweifellos leicht verständlich. Worin besteht nun der konkrete Nutzen für den Leser? Aus den Begebenheiten im Leben des Colin Powell kann man fraglos Lektionen über Führung lernen. Seine 13 Regeln beinhalten zwar keine neuen Erkenntnisse, aber sie können Führungspersonen vor Augen führen, welche Fehler sie im alltäglichen Arbeitsleben machen. Und sie können jene bestärken, die Powells Einsichten teilen. Und letztlich ist natürlich gerade das Kapitel zum Irak-Krieg für diejenigen interessant, die damals wie der deutsche Außenminister Fischer "not convinced", nicht überzeugt waren von Powells Theorie der Massenvernichtungswaffen.

    Literaturhinweis:
    Colin Powell: Leadership. Lehren, die mich durchs Leben führten.
    Hoffmann und Campe
    349 Seiten, 24,99 Euro
    ISBN: 978-3-45550-290-9