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Containerriese als Drachenflieger

Technik. - Jedes Jahr bläst die Handelsschifffahrt dieselbe Schadstoffmenge in die Luft wie die gesamten USA. Deshalb hat die Internationale Seeschifffahrts-Organisation eine Verordnung in Kraft gesetzt, nach der die Reeder künftig für die Emissionen ihrer Frachter zahlen müssen. Das und der steigende Ölpreis machen den Wind wieder interessant für die Schifffahrt. Doch nicht das gute alte Segel soll es richten, sondern ein Zugdrachen. Er wird vor das Schiff gespannt soll und den Motorantrieb ergänzen. SkySails, so heißt das System, wurde nun erstmals auf einem Schiff getestet.

Von Frank Grotelüschen | 23.11.2005
    Neulich auf der Ostsee, ein paar Seemeilen vor Wismar. Träge dümpelt die "Jan Luiken" vor sich hin, ein ausgemustertes Lotsenboot. Plötzlich entfaltet sich am Bug ein Gleitschirm, steigt an einer Leine empor und fliegt Schlangenlinien und Achten. Das bringt den Kahn auf Trab; er nimmt, gezogen vom Schirm, spürbar Fahrt auf. Das Manöver ist die Nagelprobe für ein neues Segelsystem: SkySails soll Frachtern und Motoryachten als Zusatzantrieb dienen und Treibstoff sparen.

    Das Prinzip: Am Bug wird ein Kran ausgeklappt, an dessen Spitze entfaltet sich der Drachen im Wind. Eine Motorwinde spult ein Kunststoffseil ab, bis der Drachen hoch über dem Schiff fliegt.

    " Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass etwa 300 Meter die optimale Flughöhe sein werden."

    Sagt Stephan Wrage, Geschäftsführer von SkySails in Hamburg.

    " Der Vorteil ist, dass man dort oben mehr Wind hat, weil die Winde nicht mehr durch die Erdoberfläche abgebremst werden. Hier haben wir einen Grund, warum ein SkySails-System viel leistungsfähiger ist als ein traditionelles Segel."

    Ab drei Windstärken funktioniert die Sache, bei acht bis neun Windstärken ist der Sicherheit wegen Schluss. Der Drachen nutzt Rücken- wie Seitenwind. Bei Gegenwind - das ist klar - versagt er. Nun weiß jeder Hobbydrachensteiger, wie schnell sein Fluggerät zu Boden kracht, wenn er es ungeschickt lenkt. Würde ein SkySails-Drachen abstürzen, wäre er unweigerlich verloren. Er würde sich mit Wasser füllen und wäre viel zu schwer zum Herausheben. Um das zu verhindern, haben die Ingenieure einen Autopiloten erfunden, die Steuergondel. Sie hängt an Leinen unter dem Schirm, steckt voller Elektronik und Motoren.

    " Die können Sie sich vorstellen wie der Pilot eines Gleitschirms. Der sitzt ja auch direkt unter seinem Gleitschirm und zieht links und zieht rechts und steuert dadurch den Schirm. So etwas haben wir auch gemacht - nur dass wir es automatisiert haben. Das heißt diese Steuergondel lenkt den Drachen. Und von der Steuergondel geht dann ein zentrales Zugseil zum Schiff."

    Die Gondel kann kräftige Böen ausgleichen. Und setzt unvermittelt eine Flaute ein, registriert ein Sensor, dass das Seil plötzlich nachlässt. Dann holt die Motorwinde den Drachen schnell ein: Die Einholgeschwindigkeit reicht aus, um den Schirm zu stabilisieren und vorm Absturz zu bewahren. Hat der Drachen dann seinen Dienst getan, spult ihn die Winde zurück an Bord und klinkt ihn am Kran ein. Dann wird er gerefft und verstaut.

    " Die Tests mit dem Lotsenboot waren erfolgreich. Wir haben nach vier Jahren Entwicklung den Stand erreicht, dass wir sagen: Die Technologie in ihrer Basisanwendung funktioniert. Das heißt für Luxusyachten ist es anwendbar. Und wir sind überzeugt, dass die Skalierung auf die Frachtschiffe möglich ist - wobei hier noch ein Entwicklungsaufwand zu leisten ist."

    So brauchen die Experten ein haltbareres Drachenmaterial als das bislang verwendete Nylon. Und gefordert ist ein vollautomatisches Start-Lande-System. Bis jetzt muss man noch selbst Hand anlegen, um den Drachen zu starten und zu bergen - und das ist für ein Handelsschiff nicht akzeptabel. Stattdessen soll der Kapitän auf der Brücke das System per Knopfdruck starten und landen können. Bald sollen zwei Motoryachten mit den Zugdrachen ausstaffiert werden, rund 40 Quadratmeter groß und 200.000 Euro teuer. In zwei Jahren will sich Wrage an 100-Meter-Schiffe wagen, die Drachen dafür wären bis zu 700 Quadratmeter groß - so wie Handballfelder. Ab 2010 könnten dann die Containerriesen dran sein, mit 2500 Quadratmeter großen Schirmen, ein paar Millionen Euro teuer.

    " Mit dem System lassen sich bis zu 50 Prozent Öl einsparen. Das ist natürlich sehr viel, bedenkt man, dass ein mittleres Frachtschiff 80 bis 120 Tonnen Treibstoff am Tag verbraucht. Zum Vergleich: Ein Einfamilienhaus verbraucht zwei Tonnen Heizöl im Jahr."

    Wrages Vision: In acht Jahren sollen 250 Superyachten und 600 Frachter mit Drachen unterwegs sein. Und würde man SkySails flottenweit einsetzen, ließen sich jährlich 150 Millionen Tonnen CO2 einsparen - immerhin rund zwei Prozent des Gesamtausstoßes auf der Welt.