Freitag, 29. März 2024

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Corso-Gespräch
Eine ganz spezielle Klaviermusik

Es raschelt und klappert immer ganz heftig im Piano von Hauschka. Der Düsseldorfer Musiker mit bürgerlichem Namen Volker Bertelmann präpariert sein Instrument mit Klebebändern, Filzkeilen und Plastikfolien. Mit dem neuen Album "Abandoned City" veröffentlicht er seine bislang dunkelsten Klangreisen.

Volker Bertelmann im Gespräch mit Frank Sawatzki | 22.03.2014
    Die Violinistin Hilary Hahn und Volker Bertelmann / Hauschka bei einem Auftritt in München
    Wie hier bei einem Auftritt in München verändert Volker Bertelmann, auch bekannt unter seinem Künstlernamen Hauschka, die Beschaffenheit des Klaviers (picture alliance / dpa / Felix Hörhager)
    Frank Sawatzki: Ihr neues Album heißt "Abandoned City", also verlassene Stadt. Jedes einzelne Stück ist nach einer solchen Stadt benannt, das Cover zeigt eine Bauruine. Wofür stehen diese verlassenen Orte bei Hauschka?
    Volker Bertelmann: Ich hatte die Musik für das Album schon fertig und hatte den Eindruck, das sind relativ dunkle Stücke und wollte einen Ausdruck dafür finden, wie ich mich gefühlt habe, als ich die Stücke geschrieben habe. Ein sehr intensives Gefühl, aber auch ein Gefühl der Einsamkeit. Ich arbeite ja hier in meinem Wohnraum. Wenn ich hier für Stunden wegtauche und um mich herum das normale Leben stattfindet, fühlt man sich auf der einen Seite sehr wohl und aufgehoben, man ist gleichzeitig aber auch sehr einsam. Und ich suchte irgendwie ein Bild dafür. Und ein Freund von mir hatte in seiner Wohnung ein Bild hängen von einem Rohbau eines Parkhauses in Las Vegas. Das war ein verlassenes Gebäude, und ich dachte, der Anblick von einem verlassenen Ort hat so was. Er hat eine Art schicksalshafte Geschichte, er hat auch eine Art von neuem Aufbruch, er hat was Romantisches, was Tragisches.
    Sawatzki: Wo haben Sie diese Geisterstädte gefunden?
    Bertelmann: Es gibt ja Leute, die verlassene Städte filmen und wirklich danach suchen und Fotos davon machen. Dadurch war es sehr einfach, Bildmaterial zu finden. Dann hab ich halt bei Wikipedia "Ghost Cities" eingegeben und kam dann auf so 'ne Art Katalog, der sortiert war nach Ländern. Das fand ich erst mal total abgefahren, dass es so viele verlassene Städte gab... Es gibt um die Zweieinhalbtausend verlassene Städte in der Welt... Darüber konnte ich dann auch Geschichten zu den Städten lesen.
    Plastikfolien von Weihnachtskeksen als Hilfsmittel
    Sawatzki: Bevor Sie sich intensiv dem Klavier widmeten und Aufnahmen als Hauschka machten, haben Sie in einer experimentellen Elektronik- und Rock-Band gespielt. Bei Music A.M. wuchs Musik auch aus Geräuschen. War das so etwas wie eine Vorstudie für die experimentellen Aufnahmen mit dem präparierten Piano?
    Bertelmann: In dem Moment, wo ich anfing mit Klavier zu arbeiten, merkte ich, das mir das total fehlt, diese geräuschhafte Ebene. Und ich habe mich auch direkt dafür entschieden, dass ich nicht so cleane Klavierplatten haben möchte, wie bei ECM, wo man sich für den klaren Sound des Klaviers entscheidet. In dem Moment war für mich wichtig, dass ich unabhängig vom Computer bin. Das erste, was ich gemacht habe, war Plastikfolien von Weihnachtskeksen, so Folien mit goldenen Sternen drauf, die aus Zellophan und sehr knackig sind, die habe ich zwischen Hammer und Saite geklemmt und gemerkt, dass ich auf den Ton eine Hi-hat spielen kann. Und ich hab auch gemerkt, dass das meine Spielweise verändert, weil ich plötzlich nicht mehr nur tonal denke, sondern auch rhythmisch. Und dass ich die Präparationen im weitesten Sinne einsetzen kann, um mich herauszufordern. Seitdem mache ich das eigentlich.
    Sawatzki: Sie präparieren ihr Piano oft mit Dosen, Tischtennisbällen, Filzkeilen, Plastikfolien. Auf "Abandoned City" haben Sie erstmals ein Kinderinstrument zwischen Hammer und Saite eingesetzt, das Ihnen ein Kollege schenkte.
    Bertelmann: Es ist das Becken eines Kinderschlagzeuges, wenn man das in die Hand nimmt, denkt man, das ist eine Katastrophe, das ist ein ganz lüttiges Blech, da ist so eine Niete reingedengelt worden, die locker an dem Blech hängt, und ein Holzknauf in der Mitte. Und dieses Becken ist eine ganz, ganz tolle Entdeckung, weil es so ein Hi-hat erzeugt, und ein extrem schönes Geraschel auf der Seite. Aber auch mit dem Hammer, wenn man da drauf geht, integriert sich dieses Becken, es hat einen relativ unspektakulären Sound, aber im Gesamtbild fügt sich das unglaublich gut ein. Es ist so ein Teil, was ich sehr oft bei "Abandoned City"... aber auch bei Live-Geschichten kommt das stetig zum Einsatz.
    Viele Faktoren beeinflussen Klang
    Sawatzki: Wenn Sie dieses Becken dann beim Konzert einsetzen, ist das ja noch einmal etwas anderes. Die Pianos, die Ihnen auf der Bühne zur Verfügung gestellt werden, unterscheiden sich von dem Zimmermann-Konzertklavier, das wir hier in Ihrem Studio haben. Wird das Konzert dann zur Wundertüte für den Musiker Hauschka?
    Bertelmann: Absolut. Im weitesten Sinne entscheidet sich beim Soundcheck erst für mich, welche Art von Konzert ich an dem Abend spiele. Höre ich genug Bass, ist der Sound im Raum voll genug, oder ist er eher fragil. Ist er bestuhlt, ist er nicht bestuhlt, ist er ausverkauft, ist er nicht ausverkauft. Es gibt ganz viele Faktoren, die mir über den Nachmittag zugetragen werden, und ich habe eben gemerkt, dass jede einzelne Information verändert. Ich versuche eigentlich, die Wundertüte jeden Abend neu zu haben, um das Publikum an so einem Abend daran teilhaben zu lassen.
    Sawatzki: Kommen Leute nach dem Konzert auf die Bühne und wollen genauer wissen, was sich da eigentlich in diesem Klavier befindet, oder womit der Künstler arbeitet?
    Bertelmann: Eigentlich findet das jeden Abend statt... In Japan zum Beispiel kommen die schon vorm Konzert und machen schon Bilder und fotografieren das ab und überlegen, was das alles macht... manchmal spiele ich Sets, in denen ich das Klavier sozusagen in dem Konzert depräpariere, am Ende ist das Klavier leer und die Präparate liegen um das Klavier herum, es ist eigentlich die Regel, dass die Leute aufstehen, Fotos machen. Sie sind meistens sehr überrascht, weil sie merken, das ist kein Wahnsinn, aber vielleicht liegt darin der Wahnsinn, dass man relativ schlichte Dinge benutzt, die man in seinem Haushalt findet, aber dadurch entsteht ja trotzdem der Eindruck, man hat eine ganze Band gehört.
    Eine neue Perspektive auf die Musik
    Sawatzki: Sie haben 2012 das Album "Silfra" mit der Geigerin Hilary Hahn veröffentlicht, kurz davor auf Einladung des Goethe-Instituts Aufnahmen mit kenianischen Musikern in Nairobi gemacht, was suchen Sie in solchen Projekten?
    Bertelmann: Ich suche eigentlich die Auseinandersetzung mit Menschen, die mich weiterbringen im Leben, musikalisch und auch menschlich. Und bei Hilary Hahn und bei dem Projekt in Nairobi, da sind die Ansätze etwas unterschiedlich, aber im weitesten Sinne fordern Sie mich heraus, Entscheidungen zu treffen... Es gibt eine neue Perspektive auf Musik. Mit Hillary Hahn war es ja so, dass wir zwei Jahre lang geübt haben und versucht haben, unsere eigene Musik zu finden, und wir haben uns dann entschlossen Aufnahmen zu machen, ohne zu wissen, ob's 'ne Platte gibt... Es ist eine tolle Möglichkeit, auch noch einmal einen eigenen Blickwinkel zu finden - auf seine eigene Musik. Man fragt sich ja auch manchmal, ist das eigentlich richtig, was man so macht. Nicht nur manchmal, man fragt sich eigentlich ständig. Das ist ja auch so 'ne Rückkopplung, wenn man so eng mit jemandem zusammenarbeitet. #00:39:30-1#
    Sawatzki: Hier steht ein altes Zeitz-Harmonium von Ihrer Ur-Urgroßmutter, Musik scheint eine lange Tradition in der Familie Bertelmann zu haben. Ist ihr Interesse an Piano-Musik auch in der Familie entstanden? #00:39:30-1#
    Bertelmann: Musik wurde in der Generation meiner Eltern und davor immer schon gemacht. Die hatte immer schon eine sehr enge Verbindung zur Kirche. wo Musik immer im Sinne des christlichen Glaubens praktiziert wurde... die Kadenzen kennt man in- und auswendig, wenn man ständig mit Bach zu tun hatte, in den Häusern, wo ich hinkam in meiner Familie gab's fast immer Instrumente. Und eine Großtante von mir, Elisabeth Lindschmidt hieß sie, sie hatte noch eine Orgel, eine teure, tolle Orgel, mit der man schon so Klänge verändern konnte, Effekte machen konnte. Die habe ich dann ganz oft besucht, um die Orgel zu bespielen, für Sie war das dann (im weitesten Sinne) Teufelsmusik, die ich da abgefahren habe, da kriegte sie öfter mal die Krise, weil ich natürlich sofort die Rolling Stones gespielt habe auf der Orgel.