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Corsogespräch
"Wie die Arbeit an einem Kartenhaus"

Verkorkste Ehe, Depressionen, ein schwerer Autounfall. Dem Klischee nach müsste Tim Showalter eigentlich Blues spielen. Doch der Chef der amerikanischen Band Strand of Oaks blieb dem Alternative Rock treu und legte nach längerer Bedenkzeit das Album "Heal" vor, das nächste Woche erscheint. Glückliches Ende eines beschwerlichen Weges, denn die Produktion an diesem Album habe sich für ihn angefühlt wie die Arbeit an einem Kartenhaus, sagt Showalter.

Tim Showalter im Gespräch mit Florian Fricke |
    Ein Kartenhaus fällt am Rand auseinander
    Beschwerliche Albumproduktion: "Wie die Arbeit an einem Kartenhaus". (dpa/picture-alliance/Carmo Correia)
    Florian Fricke: Im sogenannten Waschzettel für uns Journalisten zum neuen Album "Heal" steht, dass es ihnen an einem bestimmten Abend auf Tour in Schweden bewusst wurde, dass etwas in ihrem Leben ganz erheblich falsch läuft. Hat an diesem Abend die Arbeit an diesem Album begonnen?
    Tim Showalter: Nein, an dem Album arbeite ich wohl schon mein ganzes Leben. So wie wenn sie ein Kartenhaus bauen würden, aber es ist kein riesiger Gegenstand, der es schließlich zum Einsturz bringt, sondern irgendwas Kleines, das die ganze Zeit über immer weiter gewachsen ist. Die Geschichte geht so: Ich war schon zwei Jahre auf Tour, als es zu diesem netten Abend in Malmö kam. Ich habe mit Besuchern meines Konzerts danach ein bisschen weitergefeiert und gequatscht, das Wetter war gut, alles war super – und ich habe mich glücklich gefühlt. Und dann ging mir auf, dass ich mich wahrscheinlich noch nie so glücklich gefühlt habe. Ich war der einsamste Mensch auf Erden. Weder zu meiner Frau, noch zu meinen Freunden und meiner Familie hatte ich wirklich Kontakt.
    In Verlauf dieser Gespräche habe ich mir dann die Frage gestellt, wie mein Leben wohl besser verlaufen könnte. Und mir wurde immer klarer, dass ich es schleunigst ändern musste, um nicht in diesem langweiligen Leben auf Tour zu verenden. Musiker stehen ja im Verdacht, einen super angenehmen Job zu haben. Aber auf Reisen ist man einfach ein sehr einsamer Mensch.
    Fricke: Konnten sie denn was ändern in ihrem Leben?
    Showalter: Ich bin wohl manisch-depressiv geworden, ohne dass es jemand diagnostiziert hätte. Erst bin ich in einer Depression gelandet, und dann kam ich in diese manische, sehr zielgerichtete Phase. Dann kann ich weder schlafen noch essen. Zwei oder drei Tage nach diesem Abend in Malmö bin ich nach Hause gekommen. Am ersten Tag habe ich sofort sieben Songs geschrieben. Die sind jetzt nicht alle auf dem Album gelandet, aber mein Hirn konnte nicht mehr aufhören. Ich habe geschrieben und geschrieben – wie ein überlasteter Computer, der zu viel Informationen und zu viel Erinnerungen gespeichert hat. In diesem Monat nach der Tournee ist mir aufgefallen, dass ich mindestens 20 Lieder schon wieder vergessen hatte – so schnell habe ich geschrieben. Das waren jetzt nicht alles Über-Songs, aber es waren komplett durchkomponierte Songs.
    Fricke: Und wie haben sie sich wieder ins Gleichgewicht gebracht?
    Showalter: Gar nicht, es gab keine Balance. Hier auf meinen Arm habe ich Survival – Überleben tätowiert. Das Tattoo ist nicht für andere gedacht, sondern für mich, ich muss das jeden Tag lesen. Selbst als ich völlig neben mir stand, wusste ich, dass ich gerade etwas Tolles erschaffe, dass dieses Album mein persönliches Vermächtnis dieser Zeit sein würde. Ich glaube, es waren die Wikinger, die diese Runen-Steine geschaffen haben, auf denen sie angegeben haben, was sie an diesem Tag gemacht hatten. Das waren keine poetische, sondern ganz praktische Texte: An diesem Tag haben wir drei Bäume gefällt, am nächsten haben wir ein Kanu gebaut und den Fluss überquert. Und nun gibt es für alle Zeiten diese Steine, die davon erzählen. Von mir gibt es jetzt dieses Album. Ich verwende auch keine poetischen Texte, sondern erzähle, was mir widerfahren ist.
    Meine alten Lieder sind Fantasie
    Fricke: Würden sie sagen, dass es eine direkte Linie gibt von ihrem ersten Album bis heute?
    Showalter: Nein. Die ersten drei Alben haben durchaus aufeinander aufgebaut. Aber beim neuen Album habe ich mich gefühlt, als stünde ich vor einer Mauer. Ich schlage sie mit einem riesigen Hammer ein und komme in einen Raum, in dem ich eigentlich gar nicht sein dürfte. Und dann kam alles raus aus mir. Ich mag meine ersten Alben sehr, aber sie zeigen auch, warum ich "Heal" schreiben musste. Meine alten Lieder sind reine Geschichten, Fantasie. Heute habe ich das Gefühl, dass ich in ihnen nicht ehrlich zu mir bin. Ich mag zum Beispiel Lieder von Bob Dylan, obwohl ich zum Beispiel nicht die geringste Ahnung habe, wer der "Jack of Hearts" ist, der Herzbube, den er in diesem berühmten Lied beschreibt – aber ich finde den Song großartig. Doch wollte ich diesen Stil nicht auf meinem Album haben.
    Wenn ich zum Beispiel Hank Williams höre – ich kann mit ihm fühlen, wie es ist, einsam zu sein. Er versucht gar nicht erst, mich mit besonders intelligenten Texten zu beeindrucken. Er sagt einfach, dass er einsam ist. Und so wollte ich das auch machen.
    Fricke: Ich habe schon lange nicht mehr so eine entfesselte Gitarre gehört. Ist sie Teil dieses Aufschreis?
    Showalter: Danke, ich hätte es nicht besser ausdrücken können. Ich jogge nicht, aber wenn ich mir meine befreundeten Marathonläufer anschaue – warum tust ihr das? All diese Schmerzen! Aber die Schmerzen gehen vorbei, und dann fühlt man sich wie erneuert wegen dieser Katharsis, die man beim Laufen erlebt. Die Gitarre ist auf dem Album immer eingesprungen, wenn ich mit meinen Worten nicht mehr weiterwusste. Ich spiele keine Mucker-Soli, sondern das sind eher Gesangsstimmen. Zum Beispiel der Song "Mirage Year": Ich wollte nur ein Solo spielen, aber vielleicht hatte ich schon zu viel Whisky intus, es war schon spät. All die Gefühle, die diesen Song ausmachen, sind in dieses Solo eingeflossen. Irgendwann habe ich die Gitarre abgeschnallt und habe auf die Tonabnehmer eingeschlagen, so ist dieser schreiende Ton entstanden. Alle Saiten sind gerissen, meine Finger haben geblutet. Der Produzent ist reingekommen und sagte: lass gut sein für heute, mach nicht noch eine Gitarre kaputt.
    Ich habe eine bestimmte Beziehung zum Gitarrensolo. Als ich jung war, habe ich die Stooges gehört, "Raw Power". Oder nehmen sie das Gitarrensolo in "Taxman" von den Beatles, Jimi Hendrix sowieso: Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll, aber das hat Eier. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass eine ganze Menge der Musik, die in den letzten zehn, fünfzehn Jahren herauskam – und ich nehme mich da nicht aus – kastriert klingt. Es klingt, als hätten wir alle keinen Mumm, um gefährlich zu klingen. Und dann klingen wir eben alle gleich. Ich kann auch nicht sagen, ob das jetzt so eine gute Entscheidung war, was meine Karriere angeht. Aber ich will keine Musik machen, wie sie in den Boutiquen gespielt wird. Es gibt so viele Musik, die nicht mehr ist als ein Drumbeat und eine schöne Stimme.
    Als ich im Studio war, habe ich immer wieder lange Spaziergänge unternommen, um meinen Geist zu beruhigen. Ich habe dabei die Aufnahmen gehört. Bei manchen Stellen musste ich einfach losrennen. Die Leute können das Album natürlich hören, wie sie wollen, aber ich wollte nicht einfach eine sichere Nummer durchziehen.
    Nicht hinter Effekten verstecken
    Fricke: Und dann hatten sie auch noch diesen Autounfall.
    Showalter: Das war letztes Weihnachten. Eigentlich wäre es mir lieber, wenn meine Biografie nicht so abgefahren klingen würde, es ist schließlich mein Leben. Da sollte lieber stehen, dass ich in Mexiko überwintert habe, Bier, Frauen, Tacos, alles toll. Aber nein, da steht, er hat seinen Verstand verloren und in diesem Zustand ein Album geschrieben. "Heal" war also fertig aufgenommen, und wir wollten es endlich mischen. Auf dem Heimweg, ich bin 110 Stundenkilometer gefahren, haben uns auf dem Highway zwei Sattelschlepper erwischt. Mein Kopf ist gegen die Windschutzscheibe geflogen, ich war bewusstlos. Auf dieser Seite hatte ich sämtliche Rippen gebrochen. Meine Tattoos waren beschädigt, weil überall Glas rumgeflogen ist. Einer der Sattelschlepper war über unsere Kühlerhaube gefahren. Die lokale Zeitung hat geschrieben, dass es einen Toten gegeben habe – damit meinten sie mich. Es hat wohl so ausgesehen, als sie mich abtransportiert haben, und die Polizei war auch der Meinung.
    Und ich dachte nur, was soll das? Wollt ihr mich verarschen? Lasst uns dieses verdammte Album endlich abschließen. Wir sind also endlich ans Mischen gegangen, und dann habe ich entschieden, dass es ab jetzt keine Regeln mehr geben würde. Ich wollte jetzt die Eier hören. Ursprünglich sollte das Album sanft und verträumt klingen. Das ging jetzt nicht mehr. Ich bin also zu meinem Produzenten John Congleton gegangen; er hat mit einigen meiner Lieblingsbands gearbeitet wie St. Vincent, Baroness oder Pink Mountaintops. Ich sage also zu John: Lass uns den Hall wegnehmen, ich will mich nicht mehr hinter schön klingenden Effekten verstecken. Und wenn ein Gitarrensolo kommt, will ich es viel, viel lauter hören, als sonst üblich. Nicht so laut, dass es schmerzt: Aber wiederum, hören sie sich die alten Platten an, "Raw Power" von den Stooges, die MC5 oder alte Blues-Scheiben. Da wird nichts versteckt. Man kann die Finger hören, wie sie die Saiten schlagen, oder das Knarren des Stuhls. Und genauso wollte ich es haben. Jeder Fehler ist Teil des Albums.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.