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Costa Concordia war auf "absonderlichem Kurs"

Laut Stephan Jaeger ist die Evakuierung der Costa Concordia "relativ chaotisch gelaufen". An neuralgischen Punkten im Inneren des Schiffes hätte kein Personal geholfen. Der Präsident der European Cruiser Association ist der Ansicht, Reederei und Behörden könnten sich "nicht ganz aus der Verantwortung stehlen".

Stephan Jaeger im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.01.2012
    Sandra Schulz: Tag fünf nach dem Schiffsunglück vor der italienischen Insel Giglio. Die Hoffnungen, noch Überlebende zu finden, werden immer geringer, elf Leichen sind bisher geborgen worden. Und immer schwerer werden die Vorwürfe gegen den Kapitän Schettino, spätestens seitdem jetzt ein Auszug aus dem Funkverkehr zwischen Hafenaufsicht und Schettino kursiert, der Bände spricht. Danach sprach der Kapitän zunächst nur von einem kleinen technischen Problem; bei einem späteren Gespräch hatte er das Schiff schon verlassen - mit der Begründung, das Schiff sinke. Und wir wollen über die Konsequenzen des Unglücks sprechen. Am Telefon bin ich verbunden mit Stephan Jaeger, er ist der Präsident der European Cruiser Association. Das ist ein Verein, der sich als Interessenvertreter von Reisenden und Crewmitgliedern versteht. Guten Morgen!

    Stephan Jaeger: Ja, schönen guten Morgen.

    Schulz: Herr Jaeger, bei Ihnen laufen jetzt viele Rückmeldungen ein, nach dem Unglück. Was wissen Sie nach all dem über die Evakuierung des Schiffes?

    Jaeger: Die muss wohl in größten Teilen relativ chaotisch gelaufen sein. Das was uns die Passagiere berichten, die bei uns anrufen, ist, dass wohl die Leute, die an ihren Positionen normalerweise sein müssten, an neuralgischen Punkten, Aufzügen, Treppen etc., nicht da waren, wo sie sein mussten. Es haben teilweise die kleinen Crewmitglieder geholfen, die Philippinos, die normalerweise in der Küche helfen, unten tief im Maschinenraum arbeiten. Die müssen sich wohl sehr angestrengt haben. Und die Leute, mit den Balken auf dem Schulterpolster, müssen sich wohl relativ, na ja, ich sage mal, verdrückt haben.

    Schulz: Die Reederei schiebt jetzt ja auch die Schuld auf den Kapitän. Aber kann bei einem Unglück solchen Ausmaßes überhaupt ein einzelner verantwortlich sein?

    Jaeger: Nach den Auswertungen der Navigationsdaten, die wir gemacht haben, ist hier der Einzelne zunächst mal verantwortlich, nämlich der Kapitän. Er muss wohl auf der Brücke gestanden haben, er muss diese Route gewählt haben. Diese ist absonderlich, völlig unnormal, und dann ist er dafür verantwortlich. Aber die Reederei kann sich nicht ganz aus der Verantwortung stehlen, weil die Anwohner der Insel sagen, dass wohl öfters Schiffe dieser Reederei so nah an der Küste waren. Das heißt, es muss wohl auch vorher vorgekommen sein. Da die Daten immer gespeichert werden, muss die Reederei sich fragen lassen, hat sie diese Daten nie eingesehen und gefragt, warum macht man diese Route, und ist entsprechend eingeschritten, oder hat die Reederei diese Route sogar gekannt und hat die Kapitäne, na ja, ich sage mal, gewähren lassen. Beides geht nicht.

    Schulz: Das heißt, die Reederei hätte auch reagieren müssen?

    Jaeger: Wenn es stimmt, dass es häufiger vorgekommen ist und jetzt nicht ein Einzelfall war ... der Einzelfall ist klar: Dann kann man nur im Nachhinein reagieren. Aber wenn es vorher schon öfters vorgekommen ist, hätte man reagieren müssen. Dann muss sich die Reederei auch fragen lassen, warum sie das so hat gewähren lassen.

    Schulz: Und können Sie sich vorstellen, dass die Behörden davon gar nichts gewusst haben?

    Jaeger: Das kann ich jetzt so nicht sagen. Diese Navigationsdaten liegen natürlich zunächst mal der Reederei vor. Sie sind aber auch öffentlich einsehbar. Wenn es eine Behörde gäbe, die grundsätzlich dafür verantwortlich ist, diese Navigationsdaten regelmäßig zu interpretieren, dann müsste natürlich auch diese Behörde sich fragen lassen, warum sie das so akzeptiert.

    Schulz: Aber daran fehlt es?

    Jaeger: Offenbar. Zumindest ist keiner eingeschritten.

    Schulz: Jetzt gab es hin und her auch über die Aussagen des Kapitäns, der zunächst gesagt hat, dieser Felsen sei nicht auf der Seekarte eingetragen. Die Staatsanwaltschaft hat das ganz anders gesehen. Ist es möglich, dass da ein Kapitän an Bord war, der keine Seekarte lesen kann?

    Jaeger: Also bei dem Kapitän würde ich jetzt mittlerweile fast gar nichts mehr ausschließen. Nur Sie müssen sich vorstellen: Sie fahren an nahes Küstengebiet heran. Dieses Schiff ist ausgestattet mit Karten, die für die hohe See geeignet sind. Das heißt, Sie fahren normalerweise auf hoher See, da sind gar keine Felsen. Da muss man sich fragen, hat man überhaupt für diese Küste die geeigneten Karten an Bord, die man normalerweise gar nicht haben muss, weil man da ja gar nicht entlangfährt, oder hat man die Karten falsch interpretiert. Mit Sicherheit gibt es Karten, wenn Sie auf hoher See sind, die nicht diese ganz feinen Felsen nah an der Küste eingezeichnet haben, aber dann darf ich da auch nicht langfahren, wenn ich die passenden Karten nicht habe.

    Schulz: Wenn wir auf die Branche insgesamt blicken, auf eine boomende Branche, kann es da sein, dass die Reedereien nicht immer das Personal finden, das so gut ausgebildet ist, wie es sein sollte?

    Jaeger: Dieser Vorwurf wird relativ häufig erhoben jetzt in letzter Zeit, aber da würde ich sagen Nein, das ist so nicht richtig. Die boomende Branche, die wirklich sehr stark expandiert, hat natürlich immer die Möglichkeit, mit Crewmitgliedern – das ist ganz normal, das ist freie Wirtschaft – Preise zu verhandeln. Das heißt natürlich auch, den Preis zu drücken, also auch den eines Mitarbeiters, gerade wenn man weltweit sucht, also auch in Billiglohnländern. Aber das hat nichts damit zu tun, dass die Leute schlechter arbeiten. Wir selber haben schon viele, ich sage mal, Billiglohnländer-Mitarbeiter erlebt, die ganz hervorragenden Dienst auf diesen Schiffen machen, mit großer Freude, und die arbeiten nicht schlechter dadurch.

    Schulz: Wir haben insgesamt ja gelernt, dass Kreuzfahrten immer billiger werden. Schon um die 500 Euro werden sie beim Discounter gehandelt. Sicherheitszugeständnisse werden da nicht gemacht?

    Jaeger: Das ist nicht etwas, was wir beobachten können. Es ist so, dass sie deswegen billiger werden, weil sie massenmarkttauglich werden. Das heißt, die Schiffe werden größer, der Service wird entsprechend etwas auf eine Masse heruntergebrochen. Und wenn Sie übrigens für teilweise 299 Euro eine einwöchige Kreuzfahrt machen können, unter anderem auch bei Costa, ist es so, dass Sie natürlich nicht unbedingt jeden Tag mit einem Filetsteak Abends bewirtet werden, sondern vielleicht mal mit einem normalen Hüftsteak, was etwas preiswerter ist im Einkauf. Das hat aber alles nichts mit Sicherheitsaspekten zu tun.

    Schulz: Also bei der Sicherheit ist alles so, wie es sein sollte?

    Jaeger: Bei der Sicherheit ist es so, dass keine Abstriche gemacht werden, nur deswegen, weil es billiger wird.

    Schulz: Das heißt, Sie rechnen auch nicht damit, dass es Konsequenzen geben wird?

    Jaeger: Das ist leider das Dumme an dieser Havarie. Normalerweise lernt die Menschheit aus solchen Unglücken und sagt, wir können hier an der Technik verbessern. Man hat irgendetwas gelernt, wo die Technik versagt hat als Beispiel. Das ist aber hier nicht der Fall. Hier hat ein Kapitän, so wie es aussieht, Extratouren gefahren, und das können sie mit der besten Technik nicht verhindern. Das heißt, wir haben leider Gottes aus diesem tragischen Unfall nicht etwas, woraus wir etwas lernen können.

    Schulz: Aber könnte man nicht generell aus dem Unglück etwas lernen, dass man sagt, an Bord waren ja mehr als 4000 Menschen, es gibt wohl auch Planungen inzwischen für Kreuzfahrtschiffe für bis zu 8000 Passagiere, warum muss ein Kreuzfahrtschiff so riesig sein?

    Jaeger: Auch das wird oft angesprochen, aber nur dadurch, dass ein Hochhaus nicht mehr zehn Stockwerke oder 20, sondern 50 oder so etwas hat, wird das Hochhaus nicht unsicherer. Die Behörden sorgen ja dafür, dass vor dem Bau der Hochhäuser oder hier halt eben der Schiffe, die man fast schon mit Hochhäusern vergleichen kann, die entsprechenden Auflagen eingehalten werden, dass in einem bestimmten Zeitraum die Menschen bei Feuer etc. evakuiert werden. Das heißt, man muss die Rettungswege oder die Rettungsboote entsprechend multiplizieren, und entsprechend wird das auch gemacht. Das heißt, es wird einfach mehr zur Verfügung gestellt.

    Schulz: Aber ist denn ein Szenario vorstellbar, bei dem ein Schiff evakuiert wird, das mehr als 4000 Passagiere fasst, das nicht chaotisch wäre?

    Jaeger: Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass natürlich ein Schiff mit 200 Passagieren etwas leichter evakuiert werden kann als ein Schiff mit 4.000 Passagieren. Wenn man das annehmen würde, dann würde man sicherlich etwas fern der Realität liegen. Aber normalerweise – wir haben selber diese Rettungsabläufe schon x-mal durchgespielt auf den Schiffen, auch bei großen Schiffen – ist das überhaupt kein Problem. Sie sind in fünf, sechs, sieben Minuten bei Ihrem Rettungsboot. Und die Passagiere, die bei uns angerufen haben, schildern oftmals, dass sie sagen, es war insofern kein Problem, wir wussten ja, wo wir hin mussten, wir waren innerhalb kurzer Zeit auf den Rettungsbooten, es kam nur keiner, um uns zu Wasser zu lassen.

    Schulz: Die Eindrücke und Informationen von Stephan Jaeger. Er ist Präsident der European Cruiser Association, einem Verband der Interessen von Kreuzfahrtpassagieren, heute in den "Informationen am Morgen". Danke schön!

    Jaeger: Danke auch. Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.