Samstag, 20. April 2024

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Cristóbal

In das Zentrum seines Buches "Cristóbal" hat der Schriftsteller Erik Orsenna Cristóbal Colón gestellt - der deutsche Name: Christoph Kolumbus. Er erzählt seine Geschichte zwar aus Sicht des jüngeren Bruders Bartolomeo (1461 - 1515), dessen Aufgabe es sein Leben lang gewesen war, dem großen Entdecker "Tag und Nacht beizustehen - und zu schweigen". Dass er erzähle, sei nicht vorgesehen gewesen, lässt der Autor ihn formulieren.

Rezension: Dagmar Röhrlich | 17.06.2012
    Die Geschichte beginnt Weihnachten 1511, auf der Insel Hispaniola. Bartolomeo ist ein alter Mann, wird bald sterben. Vielleicht traf ihn deshalb die Frage eines Dominikaner-Mönches tief: "Sagt mir, im Namen welchen Rechts und welcher Gerechtigkeit haltet Ihr diese Indianer in so grausamer und so schrecklicher Knechtschaft?" Und so erzählt Bartolomeo Cristóbals Geschichte und die seiner Suche nach einem Seeweg nach Indien.

    Sein Bericht setzt in Lissabon ein, dem Hafen, zu dem Entdecker von ihren Ausfahrten zurückkehrten. Sie erzählten von Mythen und Monstern und Zaubereien - und sie brachten Wissen um ferne Länder mit und um die Nützlichkeit der Mathematik für die Seefahrt. Davon erzählt Bartolomeo, von den langen Jahren der Vorbereitung, in denen in Christoph Kolumbus der Wunsch, einen Seeweg über Westen zu entdecken, zur Obsession wurde: Vielleicht liege in diesem fiebrigen Neugier die Saat zur späteren Grausamkeit den Ureinwohnern gegenüber? Voller Reue fragt sich Bartolomeo, warum der an sich so großartige Entdeckerdrang in so viel Zerstörung endet. Er blickt auf die Schattenseite des Wissensdursts.

    In seinem Buch "Cristóbal" taucht Erik Orsenna tief in die Aufbruchstimmung dieser Zeit ein, lässt Personen und Schauplätze lebendig werden. Es ist eine faszinierende Geschichte, die den Leser packt und nachdenklich zurücklässt - denn die Fragen, die es aufwirft, sind heute nicht minder aktuell als vor 500 Jahren.

    Erik Orsenna: Cristóbal. Oder die erste Reise nach Indien
    ISBN 978-3-406-63008-8
    Verlag C.H.Beck, 318 Seiten, 19,95 Euro