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Cum-Ex-Geschäfte und Steueroasen
Jahrelang recherchiert, wenig passiert

Ob "Pandora Papers" oder "CumEx-Files": Um Geldflüsse weltweit nachzuverfolgen, recherchieren Journalistenteams viele Monate oder gar Jahre. Doch aus den Schlagzeilen sind die Skandale meist schnell wieder verschwunden - und damit auch von der politischen Bühne.

Von Annika Schneider | 21.10.2021
Geschäftsmann mit Aktenkoffer läuft auf der Straße
Das Prinzip der Cum-Ex-Geschäfte sind seit Jahren bekannt - trotzdem scheint der Steuerbetrug bislang nicht gestoppt (Imago/stpp)
Was ist ein "Cum-Ex-Geschäft"? Die wenigsten können das wohl präzise beantworten. Dementsprechend abstrakt bleibt das Thema, das es gerade wieder in die Nachrichten geschafft hat: Durch Cum-Ex-Betrug ist Finanzbehörden ein Schaden von 150 Milliarden Euro entstanden. Eine unvorstellbar hohe Summe – auch das trägt dazu bei, dass die Meldung für viele schwer greifbar bleibt und kaum zum gesamtgesellschaftlichen Aufregerthema taugt.
Die Hochhäuser und Bankentürme bilden die Skyline von Frankfurt am Main.
Wer haftet für Cum-Ex-Geschäfte?
Dem deutschen Staat sind durch die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte Milliarden entgangen. Gerichte müssen klären, ob es sich dabei bloß um die geschickte Ausnutzung von Gesetzeslücken handelte – oder illegale Machenschaften.
Wenn einem "Bild"-Chef Machtmissbrauch vorgeworfen wird oder ein Bischof sexualisierte Gewalt gedeckt haben soll, ist offensichtlich, welches Leid daraus vermutlich folgte. Bei Steuerbetrug wird hingegen eine ganze Gesellschaft geschädigt, die konkreten Auswirkungen sind nicht auf den ersten Blick erkennbar. Das spiegelt sich in der ausbleibenden Empörung von Leserinnen und Lesern, Zuschauerinnen und Zuschauern.

Recherchekooperation über fünf Kontinente

Frustrierend ist das für die, die das Thema monate- oder jahrelang recherchiert und den Betrug so in die Öffentlichkeit gebracht haben. In Deutschland waren das Journalistinnen und Journalisten der Rechercheorganisation Correctiv und das ARD-Magazins "Panorama", die mit Medienhäusern auf allen fünf Kontinenten kooperiert haben.
Seit Jahren beschäftigen sich deutsche Rechercheteams intensiv mit Cum-Ex-Betrug und ähnlichen Finanzgeschäften, schon im Herbst 2018 veröffentlichten sie erste Ergebnisse als so genannte "CumEx-Files" – schon damals im Rahmen einer internationalen Kooperation, an der laut Correctiv 38 Journalistinnen und Journalisten aus zwölf Ländern beteiligt waren. 180.000 Seiten Dokumente haben sie demnach analysiert.
Khadija Ismayilova liegt in einem Bett und tipp in ein Notebook
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Politisch und juristisch hatten die Recherchen Folgen: Es kam zu Gerichtsurteilen, in Hamburg wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. In der öffentlichen Debatte blieb der Betrug hingegen ein Randthema. Im Wahlkampf von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz etwa, dessen frühere Entscheidungen im Hamburger Untersuchungsausschuss geprüft werden, spielte das Thema keine zentrale Rolle. Seine Partei holte bei der Bundestagswahl die meisten Stimmen.

Laut Correctiv-Chefredakteurin ist Betrug nicht gestoppt

Nach den ersten Veröffentlichungen sei der Betrug nicht gestoppt worden, zieht Olaya Argüeso Pérez, Chefredakteurin von Correctiv, im Deutschlandfunk Bilanz. Warum nicht, das fragten sich viele Bürgerinnen und Bürger. "Als Journalistinnen und Journalisten ist es nicht unserer Rolle, die Gesetze zu ändern – das müssen die Politiker und Politikerinnen tun", stellte sie klar. Die Aufgabe von Medien sei es, Aufmerksamkeit zu erzeugen.
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Bei der jüngsten Veröffentlichung habe vor allem eine Frage im Mittelpunkt gestanden: Warum sollten Leserinnen und Leser sich für diese Geschichte interessieren? "Die Antwort ist sehr einfach: Weil es ihr Geld ist", sagte Argüeso Perez. Wenn man erklären wolle, was CumEx sei, werde es schnell sehr technisch. "Ich glaube, es ist wichtiger zu verstehen, dass es jede und jeden betrifft. Denn dieses Geld, das nicht in die Staatskasse fließt, ist woanders." Um das zu veranschaulichen, zeigte Correctiv zum Beispiel in einer Grafik, was man mit dem Geld hätte tun können, und rechnete den unterschlagenen Betrag dafür unter anderem in Maßkrüge auf dem Oktoberfest um.

Recherchen teils unter großem persönlichen Risiko

Auch die Recherchen zu den "Pandora Papers", die Anfang Oktober veröffentlicht wurden, hatten bis jetzt in Deutschland kaum Konsequenzen. Die Veröffentlichungen zeigten, wie raffiniert Prominente ihr Vermögen in Steueroasen und Briefkastenfirmen versteckten. Auch hier recherchierten 600 Journalistinnen und Journalisten auf der ganzen Welt monatelang – teils mit großem persönlichen Risiko –, auch hier verschwand das Thema nach kurzer Zeit aus den Schlagzeilen, zumindest in Deutschland.
Eine Illustration zu "Pandora Papers".
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Wenig öffentliche Aufmerksamkeit bedeutet wenig politischen Druck. Das wissen auch die Investigativreporter Bastian Obermayer und Frederik Obermaier von der Süddeutschen Zeitung. Sie forderten Anfang Oktober in einem langen Text: "Lasst uns über all das mehr reden. Mit den Nachbarn, in den Klatschspalten, im Fitnessstudio. Überall." Sie machen ihrer Frustration darüber Luft, dass auf aufwendige Recherchen nur wenige politische Handlungen folgten: "Es drängt sich nach all den Jahren der Recherchen der Eindruck auf, dass letztlich der Wille fehlt, sich mit den Reichen und Superreichen anzulegen, und auch mit jenen, die von ihnen profitieren: Anwälten, Beratern und anderen Finanzdienstleistern."

Investigativjournalistin: "Wir haben ein Bewusstsein geschaffen"

Wie die beiden SZ-Reporter recherchiert auch die Wirtschaftsjournalistin Petra Blum seit Jahren zu Steuervermeidung, sie war für den WDR an den "Pandora Papers" beteiligt. Die Veröffentlichung der ersten Leaks habe überhaupt erst eine Sensibilität für Steueroasen geschaffen, sagte sie im Dlf: "Ich glaube, dadurch, dass wir nie lockerlassen, sondern immer weiter daran arbeiten, haben wir ein Bewusstsein geschaffen, dass das ein gesamtgesellschaftliches Problem ist."
Ein "Cum-Ex-Geschäft" ist übrigens ein Deal, bei dem sich Geschäftsleute vom Staat Steuern erstatten lassen, die sie nie gezahlt haben. Die Details sind komplex, aber das Resultat ist einfach: Der öffentlichen Hand fehlen durch die Tricksereien Milliardensummen - für Sozialausgaben, Infrastruktur, Investitionen.