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Dänisches Eiland mit deutschen Bewohnern

Nach Jahrzehnten vorbildlicher Minderheitenpolitik in der Grenzregion sind die deutsch-dänischen Unterschiede plötzlich wieder ein Thema. Auslöser war der "Küstenkrimi" nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein. Trotz des Zwist der letzten Wochen herrscht hüben wie drüben der Grenze Einigkeit: Das Credo, Unterschiede zu hegen und Gemeinsames zu pflegen, soll weiterhin gelten.

Von Jasper Barenberg |
    Irgendwo im grünen Grenzgebiet zwischen Dänemark und Deutschland. Angeblich grübeln deutsch-dänische Schafe dort seit jeher ergebnislos über ihren Unterschied - so will der Schriftsteller Siegfried Lenz es jedenfalls beobachtet haben. Das war 1980. 25 Jahre später, im Frühjahr 2005, sind die deutsch-dänischen Unterschiede plötzlich wieder ein Thema. Nach Jahrzehnten, in denen die Minderheitenpolitik in der Grenzregion als vorbildlich galt, ist plötzlich wieder Sand im Getriebe. Auslöser: Der so genannte Küstenkrimi nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein. Die Akteure: Ein bundesweit bis dato fast unbekannter Wählerverband aus dem hohen Norden, der die dänische Minderheit vertritt. Und der plötzlich im Kieler Politpoker als Mehrheitsbeschaffer zum Zünglein an der Waage wurde. "Dürfen die das?" - fragte die Wochenzeitung "Die Zeit" in ihrer vorletzten Ausgabe. Sie dürfen. Und auch, wenn es nun anders gekommen ist - der Zwist der letzten Wochen hat eines gezeigt: So gut Deutsche, Dänen und ihre Minderheiten im Grenzland inzwischen auch miteinander klar kommen - die kleine Hecke dazwischen will keiner anrühren. Unterschiede hegen, Gemeinsames pflegen, das ist das Credo dieser Region. Darüber herrscht Einigkeit hüben wie drüben.

    Genug gemeinsame Orte gibt es auch so, zum Beispiel die winzig kleinen Ochseninseln in der Flensburger Förde - dänisches Land mit deutschen Bewohnern...

    Vom dänischen Soenderhav aus dauert die Überfahrt mit dem kleinen hölzernen Motorboot nur ein paar Minuten. Eine Hand am Außenborder, taxiert Nick schweigend den kürzesten Weg zum Anleger auf der großen Ochseninsel, die in Wahrheit doch kaum mehr ist, als ein größerer Haufen Sand, hingeworfen in das flache Wasser der Flensburger Förde, mit Buschwerk bewachsen und mit Bäumen. Ein paar bunt zusammen gewürfelte Gebäude sind in Ufernähe auszumachen, dahinter steigt das Gelände steil an. Mit im Boot sitzt auch "Mutschi". Mehr als seinen rätselhaften Namen gibt er aber nicht preis, bis das Boot das Eiland erreicht.

    Am Ufer wartet Bettina Ingwersen und streicht sich die im Wind flatternden blonden Haare aus dem Gesicht. Seit ein paar Monaten hat sie das Stadtleben mit der Abgeschiedenheit der Insel vertauscht.

    "Jetzt habe ich die letzten zwei Jahre in Flensburg gelebt. Und da merke ich jetzt mit dem Abstand - wenn ich dann plötzlich mal mittags in Flensburg in den Berufsverkehr komme - das ich denke: huch, wie geht das noch...also ich merke, das ist mir plötzlich total fremd."

    Dass sie von der Verwaltung der dänischen Gemeinde Bov den Zuschlag für den ausgeschriebenen Pachtvertrag bekommen hat, war für sie selbst eine Überraschung. Jetzt will Bettina Ingwersen weiterführen, was die dänische Familie Isaack hier über Generationen aufgebaut hat und schließlich doch aufgeben musste - eine kleine Reparaturwerft für historische Schiffe, ein Gasthaus, einen landwirtschaftlichen Betrieb. Mit von der Partie in dieser Lebens- und Arbeitsgemeinschaft: Lebensgefährte Rüdiger, Schiffsmechaniker Olli und Jenny, die ihr Hausboot aus dem Flensburger Hafen auf die Ochseninsel verlegt hat. Deren zwei Kinder werden Tag für Tag mit dem Boot ans Ufer gebracht und von dort in die dänische Schule nach Flensburg. Individualisten allesamt, mancher würde sagen: Aussteiger.

    "Ich denke, wir sind alle einfach auch recht individuelle Menschen. Also ich bin Künstlerin und denen sagt man so was ja sowieso immer nach. Und ich glaube, das gilt für uns alle. Und deshalb ist für uns dieser Schritt gar nicht so wahnsinnig groß, wie es von anderen empfunden wird."

    Im Reet gedeckten Wohnhaus ziehen Handwerker eine neue Decke ein. Unverputztes Mauerwerk und aufgerissene Böden dort, wo Bettina irgendwann einmal ihr Atelier einrichten will.

    Auch sonst wartet noch jede Menge Arbeit, bis die Werfthalle entrümpelt und Olli seine Werkstatt eingerichtet hat. Zwei Wochen haben Handwerker zwischen den Gebäuden nach den Abwasserrohren gegraben. Nur um festzustellen, dass alles rott und vergammelt ist. Zu allem Überfluss hat der letzte Herbststurm einen Haufen Dachplatten mit sich gerissen. Seit dem stellt Bettina Ingwersen keine Zeitpläne mehr auf.

    "Ich freue mich jetzt auch wirklich auf den Sommer, darauf, dass alles wieder blüht...das ist traumhaft schön. Ich habe im letzten Sommer ganz oft gedacht, wenn wir abends hier draußen saßen: Das ist irgendwie eine Situation, die man sonst nur im Urlaub hat, dieses Plätschern, dann kommen Boote und ein paar Leute - ganz viele schöne nette Abende haben wir hier auch gehabt."

    Zurück am Ufer von Soenderhav streut die Verkäuferin in Anni’s Kiosk geröstete Zwiebeln auf einen Hot Dog. Viel zu tun mit den neuen Pächtern haben sie und ihre Kollegin nicht. Aber auch nichts dagegen, dass die Gemeinde Deutschen den Zuschlag gegeben hat.

    Ein Restaurant könne man in der Gegend schon gebrauchen, sagt die Frau in Anni’s Kiosk und lächelt verschmitzt. Solange sie nicht die deutsche Flagge hissen.