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Das Amen der Schöpfung

"Ich bin besonders den Farben zugewandt, und in unserer Zeit ist die Musik, sogar sehr schöne Musik, entweder schwarz, weiß oder grau, aber nicht farbig." Das beklagte einst der Komponist Olivier Messiaen. Seine Kompositionen sollten anders klingen. Und dementsprechend koloriert erscheinen seine Werke: Musik voller Farbspiele, Nuancen, Schattierungen; voller metaphysischer Abstraktion und auf der anderen Seite mit deutlich naturalistischen Einsprengseln. Das Münchner Klavierduo d'Accord hat jetzt Olivier Messiaens "Visions de l'Amen" eingespielt und dieses Werk gekoppelt mit einer vierhändigen Fassung der "Großen Fuge" von Ludwig van Beethoven.

Von Falk Häfner |
    Mit dem "Amen der Schöpfung", so beginnt Olivier Messiaen seine 1943 entstandene Komposition "Visions de l` Amen". Doch anders als in Haydns Oratorium "Die Schöpfung" beginnt Messiaen nicht mit einem musikalischen Urknall, um das Bibelwort "es werde Licht und es ward Licht" zu verdeutlichen. Bei ihm steht ein kontinuierliches Crescendo für die Erschaffung alles Irdischen und Göttlichen, unaufhaltsam steigert sich das "Amen de la Création" aus den "Visions de l'Amen" von Olivier Messiaen; vom fast unhörbaren Pianissimo bis zu einem hymnischen mehrfachen Fortissimo. Die "Visions" sind ein riesig dimensioniertes Werk: etwa 50 Minuten dauert die Komposition. Messiaen hat sie gegliedert in sieben Abschnitte. In einem Vorwort fügt er ihnen mehr oder weniger konkrete Beschreibungen bei.

    Das hebräische Wort "Amen" ist dabei der Ausgangspunkt. Darüber entwickelt er seine eigenen Deutungen: "Das Amen der Schöpfung"; "das Amen der Sterne und des Planeten mit dem Ring"; "das Amen des Todeskampfes Jesu"; "das Amen der Sehnsucht"; "das Amen der Engel, der Heiligen und des Vogelgesanges"; "das Amen des Jüngsten Gerichtes" und schließlich "das "Amen der Erfüllung". Quasi alle Zustände des Beginnens werden hier abgebildet, mündend ins positive Angekommensein. - Das aber nicht ohne innere Kämpfe, suchendes Straucheln oder heftiges Zweifeln abzubilden. Messiaen entwirft mit den "Visions de l'Amen" einen regelrecht musikalisch-philosophischen Kosmos.

    Doch er hat nicht nur seinen Werken Zeit gegeben, sondern sich auch selbst Zeit genommen. Immerhin hat er 11 Jahre hat am Pariser Conservatoire studiert. Dort war er ab 1919 Orgelschüler bei Marcel Dupré und lernte bei Paul Dukas zu komponieren und zu instrumentieren. Auch nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft zeigte er Beharrlichkeit: 1944 publizierte er das Lehrwerk "Technique de mon language musical" und versuchte so, sein kompositorisches Tun in einer theoretischen Abhandlung zu fassen.

    Wichtigster Antrieb zu komponieren, so bekannte Messiaen immer wieder, wichtigster Antrieb seien ihm sein katholischer Glaube und die Erscheinungsvielfalt der Natur. Letzterer widmete er sich mit akribischer Sorgfalt, vor allem dem Studium des Vogelgesanges. Vogelstimmen finden sich auskomponiert immer wieder in seinen Werken. Aber auch Sterne, Mineralien oder Farben dienten Messiaen als Inspirationsquelle für eine Kompositionsweise, die mit der keines anderen Komponisten vergleichbar ist. Karl Heinz Stockhausen, einer seiner Schüler, berichtet aus seiner Pariser Studienzeit, Messiaen habe überall sein kleines Notizbuch dabei gehabt und alles notiert, was er hörte. Stockhausen schreibt: "Dann geht er heim und ordnet, verwandelt, komponiert seine Objektive. Messiaen ist ein glühender Schmelztiegel. Er nimmt klingende Formen in sich auf und spiegelt sie in der Form seines musikalischen Verstandes."

    Auch das ist Olivier Messiaen: bei aller Transzendenz und philosophischer Überfrachtung schillern plötzlich naturalistisch-naive Klänge durch seine Musik: unüberhörbar waren hier der Ruf des Kuckucks, die gurrenden Tauben und das Pfeifen und Singen weiterer Vögel.

    Die musikalischen Ornithologen sind Lucia Huang und Sebastian Euler. Die beiden Musiker des Duo d'Accord haben in München bei Begona Uriarte und Karl-Hermann Mrongovius studiert. Seit 1999 spielen sie als Duo. Und schon kurze Zeit später, im Jahr 2000, attestierte ihnen die Jury des Internationalen ARD-Musikwettbewerbs mit einem 2. Preis ihr Können. Tatsächlich bilden Lucia Huang und Sebastian Euler ein hervorragendes Team. Das, was sie gerade bei Messiaens "Visions de l ´Amen" benötigen, nämlich gemeinsam zu atmen, beherrschen sie hervorragend. Beide scheinen sich während des Spiels in den jeweils anderen einzufühlen und gelangen so zu einer seltenen Einheit. Sie halten den Spannungsbogen über die gesamten fünfzig Minuten des Werkes, obwohl sich die musikalischen Texturen ständig ändern. Und vor allem: Lucia Huang und Sebastian Euler zeigen Beherrschung. Nicht ein einziges Mal hat man beim Hören das Gefühl, dass sie sich von ihrer Begeisterung für das Werk übermannen lassen und davon galoppieren. Stattdessen entsteht bei ihnen eine beinah überirdische Aura, in der der Zeitbegriff kaum noch eine Rolle zu spielen scheint: Ein schwebendes harmonisches Fundament im rhythmischen Gleichmaß, über dem teils tonale, teils sich reibende Akkordballungen wandern, musikalisch entrückt und uneitel dienend gespielt.

    Lucia Huang und Sebastian Euler haben Messiaens "Visions de l'Amen" gekoppelt mit einem weiteren Monumentalwerk. Erst vor zwei Jahren ist eine Bibliothekarin beim Staubwischen auf eine unbekannte Partitur von Ludwig van Beethoven gestoßen. Es handelt sich um Beethovens "Große Fuge", gesetzt für Klavier zu vier Händen. Ursprünglich hatte sie Beethoven als Finale seines B-Dur Streichquartetts gedacht. Die Uraufführung durch das Schuppanzig-Quartett ließ das Publikum verstört zurück. Die Kritik schrieb von "babylonischer Verwirrung". Darauf komponierte Beethoven ein neues Finale für das Quartett und koppelte die "Große Fuge" als Einzelstück aus. Dabei entstand auch die vorliegende Klavierfassung für vier Hände. Es ist ein hochkomplexes Werk, das gerade in der Klavierfassung mit ihren erstarkten Bässen recht donnernd daherkommt.

    Die physische Anspannung der Pianisten ist deutlich zu spüren. Dass dieses "perfekteste Wunder der Musik", wie es Stravinsky bezeichnet hat, ohne harte Arbeit nicht zu spielen ist, vermittelt sich auf der neuen CD des Duo d'Accord. Insofern ist ihre neue Platte mit den "Visions de l'Amen" von Olivier Messiaen und Beethovens "Großer Fuge" in dieser Fassung für Klavier alles andere als eine gepflegte Begleitmusik. Man muss sich auf diese komplexe Art der Musik einlassen können.

    Die Musiker beschreiten damit den bereits früher eingeschlagenen Weg - denn schon mit ihrer Debüt-Platte mit Kompositionen von Max Reger haben die beiden gezeigt, wie ernsthaft sie das Repertoire für zwei Klaviere bzw. vier Hände erkunden wollen - und zwar ungeachtet der vordergründig unterhaltenden Qualitäten von Musik. Umso wünschenswerter wäre ein CD-Booklet gewesen, das dem Hörer mit Informationen gerade über Messiaens Musik etwas mehr Hilfestellung bietet. Angesichts der durchaus fordernden Musik nimmt sich Messiaens nur gekürzt abgedruckter Vorwort-Text aus der Partitur hierbei zu dürftig aus! Dennoch: Der Qualität der Platte tut dies keinen Abbruch.

    Duo d'Accord - Works For Piano Duo
    Olivier Messiaen: "Visions de l'Amen"
    Ludwig van Beethoven: "Große Fuge"
    (LC 12424 / Oehms Classic 4260034865778; OC577)