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Das Brabbeln der Jungvögel

Kleinkinder verstehen schon sehr früh die Sprache ihrer Eltern. Doch bis sie selbst auf diese Weise kommunizieren können, vergehen noch viele Monate. US-Forscher haben jetzt durch Versuche mit Singvögeln eine Erklärung dafür gefunden. Wie die Jungvögel müssen auch Menschenkinder alle Klangfolgen und Silbenkombinationen ihrer Sprache einzeln nacheinander lernen.

Von Lucian Haas |
    Wenn Kleinkinder das Sprechen lernen, wiederholen sie anfangs immer nur einzelne Silben.

    "di-di-di-di”"

    Erst mit der Zeit kommen neue Silben hinzu, die dann im Wechsel gesprochen werden.

    ""de-di-de-di-de-di”"

    Eine ganz ähnliche Entwicklung hat die Zoologin Dina Lipkind von der City University of New York bei Singvögeln beobachtet. Wenn junge Zebrafinken ihr erstes Liedchen trällern, klingt auch das noch ziemlich einsilbig.

    ""a-a-a-a"

    Doch nach vielen Tagen der Übung wird daraus ein komplexerer Wechselgesang.

    "a-ir-a-ir"

    Für Dina Lipkind eröffnen solche Parallelen neue Forschungsmöglichkeiten.

    "Dass Vögel und Menschen so ähnliche Entwicklungsprozesse zeigen, bedeutet, dass wir die Entwicklung der Kombinationsfähigkeit von Klängen und Silben gut an Singvögeln studieren können. Es gibt ja nur ganz wenige Tiere, die man überhaupt als Modell für das Sprachelernen nutzen könnte. Singvögel gehören dazu, oder auch Wale und Delphine, wobei die schwer zu untersuchen sind, und möglicherweise auch Fledermäuse."

    Dina Lipkind und Kollegen machten mit jungen Zebrafinken zahlreiche Experimente. Sie wollten herausfinden, wo die Schwierigkeiten beim Erlernen neuer Silben- beziehungsweise Klangfolgen liegen. Dafür hielten die Forscher die Tiere einzeln in schalldichten Käfigen, in denen nur die Attrappe eines erwachsenen Vogels auf einer Stange saß. Über Lautsprecher spielten sie den Jungvögeln den Gesang eines erwachsenen Vogels vor, und zwar so lange, bis sie diesen gut imitieren konnten. Das dauerte schon einige Wochen. Anschließend stellten sie den Gesang leicht um. Aus einer Folge wie Zi-Za-Zu machten sie Zi-Zu-Za. Es vergingen nochmals rund 14 Tage, bis die Tiere den nur leicht veränderten Gesang ebenso beherrschten.

    "Am meisten hat mich überrascht, wie schwer es den Vögeln, aber auch Menschen fällt, von einer Klangfolge zur anderen zu wechseln. Da habe ich einen Vogel, der Zi-Za-Zu, Zi-Za-Zu singt, und das einzige, was ich von ihm verlange, ist, die gleichen Klänge nun in eine andere Reihenfolge zu bringen. Was könnte leichter sein als das? Aber wir haben herausgefunden, dass es die Vögel viel Zeit kostet, jeden der neuen Übergänge zwischen den Klängen zu lernen."

    Ein neuer Übergang – das bedeutet zum Beispiel jetzt Zi-Zu statt vorher Zi-Za zu singen. Dina Lipkind beobachtete, dass die Vögel bekannte Klänge nicht einfach so neu kombinieren können. Vielmehr müssen sie jede neue Verknüpfung als eigene Bewegung ihres Sprechapparates erst einzeln lernen, und zwar nacheinander. Beim Menschen ist es ganz ähnlich: Auch wenn Babys nachweisbar schon sehr früh die unterschiedlichen Silben- und Klangfolgen ihrer Muttersprache verstehen können, dauert es zwei Jahre und mehr, bis sie selbst die enorme Fülle an möglichen Silbenübergängen gesprochen meistern. Für diese motorische Entwicklung braucht das junge Gehirn einfach viel Zeit.

    "Der Entwicklungsprozess, der zu der Fähigkeit führt, Klänge neu zu kombinieren, ist bei Vögeln und Menschen sehr ähnlich. Das heißt also, dass auch Menschenkinder das erst langsam und schrittweise lernen. Die Kinder müssen nicht nur die Grundklänge der Sprache beherrschen wie Ba, Da, Ga. Sie müssen auch die Fähigkeit erlangen, beim Sprechen von der einen zur nächsten Silbe überzugehen. Zum Beispiel müssen sie lernen Ba-Da zu sagen, aber genauso auch Da-Ba."

    In künftigen Studien will Dina Lipkind untersuchen, welche neurologischen Prozesse bei solchen Entwicklungen im Gehirn der Vögel ablaufen. Daraus hofft sie, modellhaft weitere Rückschlüsse auf den Menschen ziehen zu können.

    "Man kann keine Babys nehmen, für mehrere Monate in einen Käfig sperren und dabei alle Klänge aufnehmen, die sie von sich geben. Man kann nicht ihre Gehirne öffnen und untersuchen. Aber wir können das bei Vögeln tun. Das eröffnet uns ein neues Forschungsfeld. Wir können erkunden, wie nicht nur einzelne Klänge, sondern auch ganze Klangsequenzen erlernt werden – und das in experimentellen Studien."