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Das Epos des Vaters

Ronald Reagan Junior hat es seinem Vater nicht leicht gemacht. Schon als kleiner Junge entdeckte er den Atheismus für sich, später wurde er auch noch Balletttänzer, anstatt "etwas Ordentliches" zu lernen. Nun verarbeitet er die Beziehung zum ehemaligen US-Präsidenten in einem Buch.

Von Katja Ridderbusch |
    Er sehe nicht den Politiker, sondern den Menschen. Ein guter Mensch, der das Beste für sein Land gab – und auch ein Mensch, der Fehler machte.

    Das sagt Ron Reagan Jr. über seinen Vater Ronald Reagan, den 40. Präsidenten der Vereinigten Staaten, der am 6. Februar 100 Jahre alt geworden wäre. Ron Reagan ist 52 und das jüngste von vier Kindern. Sein Buch will nicht offizielle Erinnerung, nicht penibel recherchierte Biografie des Staatsmannes sein. "My Father at 100" ist vielmehr eine Sammlung von Erinnerungsskizzen, eine Spurensuche, eine Zeitreise des Sohnes in die Vergangenheit des Vaters.

    "Ich wollte kein politisches Buch schreiben, und ich hatte nicht vor, große Neuigkeiten über meinen Vater zu enthüllen. Ich habe den Schlüssel zu seinem Charakter gesucht, und ich denke, er liegt in seiner Kindheit und Jugend."

    Und so machte sich Ron Reagan auf in den tiefen Mittleren Westen Amerikas, in Kleinstädte wie Tampico im Bundestaat Illinois, wo sein Vater im Jahr 1911 geboren wurde. Kursorisch streift der Autor die Collegezeit von Ronald Reagan, dessen Jahre als Rettungsschwimmer und Footballspieler, später als Schauspieler in Hollywood, als Gouverneur von Kalifornien und schließlich als US-Präsident über zwei Amtszeiten. Er habe seinen Vater als einen Mann der Widersprüche erlebt, schreibt Ron Reagan, als eine starke, charismatische, aber auch seltsam paradoxe Persönlichkeit:

    "Er war warm und zugleich distanziert; er war liebenswürdig im Umgang und hatte doch in seinen späten Jahren kaum enge Freunde. Er genoss den öffentlichen Auftritt, blieb aber gleichzeitig ein tief privater Mensch."

    Immer wieder webt Ron Reagan persönliche Episoden in seine Spurensuche ein. Diese offenbaren ein schwieriges, wenngleich vertrautes Verhältnis zwischen zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Der Vater: erzkonservativ, christlich, ein rechtschaffener Republikaner. Der Sohn: linksliberal, atheistisch, Demokrat in jeder Faser. Der als Balletttänzer Erfolge feierte und heute als Kommentator für Fernsehen und Radio arbeitet. Im Gespräch mit den National Public Radio räumt Ron Reagan ein: Als Jugendlicher habe er es seinem Vater nicht wirklich leicht gemacht.

    "Naja, damals trug ich Second-Hand-Klamotten, protestierte gegen den Vietnam-Krieg, hörte laute Musik, die mein Vater nicht verstand, und aus meinem Zimmer drangen komische Gerüche."

    "My Father at 100" sorgte in den USA für Schlagzeilen. Denn Ron Reagan äußert in seinem Buch vorsichtig die Vermutung, dass sein Vater bereits als Präsident frühe Anzeichen von Alzheimer gezeigt habe, jener Krankheit, an der er 2004 starb.

    "Etwa drei Jahre nach Beginn seiner ersten Amtszeit merkte ich, dass etwas mit meinem Vater nicht stimmte, abgesehen von einer einsetzenden Altersmilde."

    So beobachtete der Sohn mit Sorge, wie sich der Vater beim Wahlkampf 1984 durch die Fernsehdebatte mit dem demokratischen Kandidaten Walter Mondale hangelte, wie er den Faden verlor und fahrig von Satz zu Satz stolperte. Doch es gab auch immer wieder diese kraftvollen Augenblicke, große Momente von visionärer Klarheit und historischem Instinkt, die Ronald Reagan zu einer Ikone machten. Momente wie diesen, im Juni 1987 am Brandenburger Tor in Berlin:

    "Mr. Gorbatchow, tear down this wall!"

    Politische Weggefährten sind sich einig: Den Staatsmann und Menschen Ronald Reagan umgab bis zu seinem Ende etwas Rätselhaftes. Selbst seinen Kindern blieb er, bei aller väterlichen Güte, letztlich ein Fremder. Vielleicht hat sich sein jüngster Sohn, der sich wie der Vater zum Schauspielfach hingezogen fühlt, mit seinem Buch dem Wesen des Ronald Reagan am ehesten angenähert:

    "Er war ein Geschichtenerzähler, und sein großes Epos war sein eigenes Leben."

    Das Epos des Vaters ist auch Thema des Sohns: Ron Reagan hat seine Erinnerungen aufgeschrieben, das Buch trägt den Titel "My Father at Hundred". In Amerika ist es zum 100. Geburtstag von Ronald Reagan erschienen und zwar bei Viking mit 228 Seiten zum Preis von 25,95 Dollar. Katja Ridderbusch war unsere Rezensentin.

    Ron Reagan: My Father at 100. A Memoir. Viking Adult, 240 Seiten, $ 25,95 ISBN: 978- 0-670-02259-5