Malta ist strategisch im Mittelmeer positioniert. So war es in der Vergangenheit, so soll es in der Zukunft sein.
Soll heißen, alles was mit Schifffahrt und Häfen zu tun hat, bleibt trotz des notwendigen Strukturwandels wichtig für den Archipel. Allerdings - die Hinterlassenschaft der Briten, die den Grand Harbour, den großen Naturhafen der Hauptstadt Valletta, zum bedeutenden Marinestützpunkt inklusive Reparaturbetrieb ausgebaut hatten, ist heute einer der Problemfälle für Maltas Strukturwandel. Die staatseigenen Betriebe und zugleich größten Arbeitgeber des Landes, die Schiffswerft "Malta Shipbuilding" und die Schiffsreparaturwerkstatt "Malta Drydocks", konnten bisher nur durch hohe Subventionen am Leben gehalten werden. Die Verluste der beiden Unternehmen beliefen sich im vergangenen Jahr mit über 26 Millionen Liri - das entspricht rund 65 Millionen Euro - um 34 Prozent über den Erwartungen. Dennoch denkt der Inselstaat nicht an eine Stilllegung der Betriebe, wie Reginald Fava betont:
I do not think that we are in a position to stop our maritime business. It is a business which has to keep developing.
Weiterentwickeln, wie Fava fordert, das verlangt ein Sanierungsprogramm zur Verbesserung der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der beiden Werftunternehmen. Die von unabhängigen Beraterfirmen vorgeschlagenen Restrukturierungskonzepte stießen allerdings zunächst auf erheblichen Widerstand bei der Arbeiterschaft und den Gewerkschaften. Anfang November war es dann nach monatelangen Verhandlungen endlich soweit. Dazu erklärte der Chef des erst in der neuen Legislaturperiode geschaffenen Ministeriums für IT und Investment, Austin Gatt:
Ich denke wir sind auf dem richtigen Weg mit der Unterzeichnung eines Abkommens über die Werften. Damit sollte es eine Chance geben, deren Überlebensfähigkeit zu sichern. Die Vereinbarung sieht in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften einen Stellenabbau von 2 600 auf 1 600 Mitarbeiter vor. Wir haben gleichzeitig die Entgeltstruktur verändert.
Drei Vereinbarungen wurde am Abend des 4. November nach monatelangen Verhandlungen zwischen der Regierung in Valletta und der Gewerkschaft General Workers’ Union zur Rettung der Schiffsindustrie unterzeichnet. Sie sehen im Kern die Übernahme des Vermögens und der Schulden durch die Regierung vor, des weiteren die Gründung einer neuen Gesellschaft, die Malta Shipyards, die von den bisher insgesamt 2600 Mitarbeitern 1700 zu neuen Konditionen übernimmt sowie die Werft und die Docks von der Regierung mietet, schließlich die Gründung eines weiteren Unternehmens, in dem die nicht in den Vorruhestand gehenden Arbeiter aufgefangen und anderen staatlichen Institutionen und Unternehmen angeboten werden. Regierung und Gewerkschaft gaben sich zufrieden; sind es auch die Arbeiter? Anette Butterweck hat sich umgehört:
Die Trockendocks von Malta am frühen Vormittag. Für den 53jährigen Dock-Arbeiter Ronald Borg, der hier seit über 20 Jahren beschäftigt ist, hat sich nichts geändert. Er ist einer der 1700 Malteser, der von Malta Shipyards übernommen worden ist. Dennoch ist er keineswegs so glücklich darüber, wie man annehmen könnte:
Ich wäre lieber gegangen. Ich hätte dann 5000 Pfund bekommen - etwa ein Jahresgehalt.
Anders dagegen der 62jährige John Micallef, der nur zu gerne für die verbleibenden Monate bei den Dockyards geblieben wäre:
Ich arbeite seit 45 Jahren bei den Trockendocks und bin einer von den 900, die in die andere Firma gesteckt wurden, weil ich über 56 bin und wegen meines Gesundheitszustandes. Ich werde dort aber nicht anfangen, sondern jetzt in Rente gehen. Eigentlich sollte das erst im nächsten Juli sein und ich hatte mich schon darauf gefreut. Aber samstags hat man uns gekündigt und man konnte sich nicht einmal mehr von seinen Freunden verabschieden. Tschup-Bum - das war’s.
Victor Camilleri, der ebenfalls zu den 900 Arbeitern gehört, die die Drydocks verlassen mussten, und der sich stark in der Gewerkschaft engagiert hatte, verteidigt zunächst das Abkommen. Er hatte jedoch mit einer fairen Abwicklung der Umstrukturierung gerechnet.
Meiner Ansicht nach ist es eine gute Vereinbarung. Die Regierung wollte 900 Stellen abbauen und die Gewerkschaft war immer darauf bedacht, dass wirklich niemand seine Arbeit verliert. Probleme gibt es aber jetzt dadurch, dass die Beurteilung der Tauglichkeit der Arbeiter allein in den Händen des Managements lag. Die Gewerkschaft hatte bei der Auswahl keinerlei Mitspracherecht. Ich hatte aber darauf vertraut, dass man zur Erhaltung der Werften 1700 wirklich fähige Arbeiter aussucht. Das Gegenteil ist jedoch eingetreten: Viele der guten Kräfte sind ausgeschieden und Arbeiter, die ihren Job aufgrund ihres Alters oder wegen Krankheit eigentlich nicht mehr richtig ausüben können, hat man behalten.
An der weiteren wirtschaftlichen Umstrukturierung Maltas geht indes kein Weg vorbei. Mit der Restrukturierung der Schiffsindustrie sind die Probleme des Inselstaates keinesfalls beseitigt. Auch andere Staatsbetriebe schreiben rote Zahlen und tragen zum hohen Staatsdefizit bei. Reginald Fava:
Sie kennen unsere wesentliche Herausforderung, die im Bereich des Strukturdefizits liegt, das das Land von Jahr zu Jahr hat. Wir sind froh zu sehen, dass es Entschlossenheit gibt. Und wir bestehen darauf , dass dies ein Problem ist, das das Land lösen muss.
Im mit über 47 000 Beschäftigten chronisch überbesetzten öffentlichen Sektor - dem gut 88 000 Mitarbeiter in der Privatwirtschaft gegenüberstehen - tut sich indes zu wenig, wie die deutsche Bundesagentur für Außenwirtschaft feststellte. Die beschlossenen Privatisierungen kommen nur schleppend voran. Denn ungeachtet der Zustimmung zur Reform der Schiffsindustrie hält die Workers’ Union davon wenig, wie Sprecher Charles Vella unterstreicht:
Als Gewerkschaft sind wir gegen jede Privatisierung, da nach unserer Erfahrung alle Privatisierungen staatlicher Unternehmen mit Entlassungen verbunden waren. Das widerspricht unseren Prinzipien zur Sicherung der Arbeitsplätze.
Um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, muss Malta - nicht zuletzt auch wegen der EU - aber nicht nur die Privatisierung forcieren, sondern darüber hinaus auch die Subventionen herunterfahren. Helmut Domas, der Kanzler der deutschen Botschaft:
Mittel- und langfristig müssen natürlich auch einige Subventionen beschränkt und zurückgefahren werden. Malta merkt ja auch jetzt schon, dass sie einiges, was sie bisher der Bevölkerung bieten, nicht weiter so halten können. Zum Beispiel die freie Gesundheitsfürsorge, auch die Pensionen werden zur Zeit einer Überprüfung unterzogen. Der Öffentliche Dienst ist noch recht groß. Da gibt es also auch Bestrebungen, ein neues Gesetz einzubringen, natürlich auch mit dem Ziel, den Öffentlichen Dienst zu reduzieren und darum möglichst auch zu privatisieren und Outsourcing zu betreiben.
Ungeachtet des Widerstands der Gewerkschaften wurden immerhin der Flughafen und die Post teilprivatisiert. Am Flughafen beteiligte sich ein Konsortium unter Federführung des Wiener Flughafenbetreibers. Bei der Post stiegen die Neuseeländer als Partner ein. Die Privatisierung des Freihafens, des zweitgrößten Container-Umschlagplatzes im Mittelmeer, ist in die Wege geleitet. Dazu Minister Gatt:
Wir hatten eine internationale Ausschreibung. Wir sprechen mit den meisten wichtigen Unternehmen in diesem Sektor, um einen strategischen Partner zu finden, den Ausbau des Hafens auch ohne die Regierung voranzutreiben.
Angesichts der Erfolgsgeschichte des Freeports, mit rund 600 Mitarbeitern einer der bedeutendsten Arbeitgeber der Inselrepublik, scheint es an Interessenten tatsächlich nicht zu mangeln. Mark Portelli, einer der Geschäftsführer des Freeports, beschreibt die Entwicklung des Hafens so:
In diesem Jahr haben wir rund 1,3 Millionen Container-Einheiten abgefertigt. Das ist für uns ein großer Erfolg. Wir hatten ein gewaltiges Wachstum in den letzten 15 Jahren mit einem von Jahr zu Jahr größeren Umschlag.
Allerdings sieht Portelli selbst für den erwarteten weiteren Ausbau des Freihafens für die Arbeiter der Schiffswerften wegen der anders gearteten Tätigkeit keine Möglichkeit, beim Freeport unterzukommen. Das Bestreben der Regierung, den Arbeitern neue Chancen in anderen Industriesektoren zu eröffnen, beurteilt Stefanie Anzinger von der maltesischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft Malta Development Corporation/MDC dagegen positiver:
Ich habe mich in der letzten Zeit mit einigen Betrieben unterhalten, die Personen, Ingenieure, Techniker aus diesem Bereich gesucht haben, also Metallverarbeitung usw., und die mir versichert haben, dass sie in der letzten Zeit von den Trockendocks sehr gute Bewerber hatten, die auch in der Industrie sehr gut zu verwenden sind.
Was den zitierten Wunsch jenes Arbeiters nach einer Jahres-Abfindung von seiner Werft erklären mag. Schon vor zehn bis 15 Jahren hatte Malta wegen des Niedergangs der Werften und der Textilindustrie nach Alternativen für seine Arbeitnehmer gesucht. Das heißt, Investoren aus dem Ausland sollten neue Arbeitsplätze schaffen. Inzwischen haben sich neben etwa 400 heimischen Betrieben rund 200 ausländische Produktions-Firmen auf Malta angesiedelt, darunter fast 55 aus Deutschland. Mit einem Paket von Vorteilen lockten die Malteser die Investoren. Birgit Bosch, Chefin der Firma Lasercomb, deren Muttergesellschaft in der Region Stuttgart sitzt und die Schneidemaschinen für die Verpackungsindustrie herstellt, erläutert:
Wir sind noch unter dem alten Gesetz nach Malta gekommen. Unter Off-shore-Bedingungen also zahlen wir für zehn Jahre keine Steuern. Wir haben hier ein schönes und subventioniertes Fabrikgebäude. Wir importieren unsere Rohwaren zoll- und mehrwertsteuer-frei unter der Auflage, dass wir alles wieder exportieren.
Die Anstrengungen, ausländische Investoren ins Land zu holen, gehen unterdessen auf vielen Ebenen weiter. Vor allem an hochtechnologischen Fertigungsstätten der Elektroindustrie und des Maschinenbaus sind die Malteser interessiert. Peter Wolfmeyer, der Chef der Zenit GmbH, des Zentrum für Innovation und Technik in NRW, weist zudem auf veränderte Vorzeichen angesichts der bevorstehenden EU-Mitgliedschaft Maltas hin:
Das Interesse an technologischer Kooperation wächst auf beiden Seiten. Umwelttechnik steht dabei ganz im Vordergrund. Wasseraufbereitung, Deponiesicherung, Entsorgung. Mit deutschen Unternehmen werden Gespräche geführt, gemeinsame Projekte zu starten.
Tatsächlich hat Malta auf dem Weg nach Europa und zur Erfüllung des EU-Vertragswerks den größten Nachholbedarf im Umweltbereich, allerdings deshalb auch mit verlängerten Übergangsfristen. Dem Vorwurf des Protektionismus und zu starker Bürokratie begegnet Minister Gatt mit dem Hinweis, die wenigen Bereiche, in denen es noch staatlichen Schutz gebe, würden mit dem EU-Beitritt abgeschafft sein. Und Reginald Fava unterstreicht das Bemühen, bürokratische Hürden abzubauen. Der MDC-Geschäftsführer Mario Galea meint im Hinblick auf Investitionen sogar:
Verhandlungen gehen auf Malta immer sehr schnell, da wir keine Bürokratie haben. Auf jede konkrete Anfrage antworten wir innerhalb von vier Wochen mit einem letter of intent. Generell kann man sechs bis acht Monate nach Einreichen eines Geschäftsplans mit der operativen Arbeit beginnen.
Auch wenn das neue Wirtschaftsförderungsgesetz, der Business Promotion Act 2001, nicht mehr so vorteilhaft ist wie das alte, so bietet es immer noch genügend Investitionsanreize durch reduzierte Steuersätze, Steuergutschriften, günstige Darlehensbedingungen, Ausbildungszuschüsse und die Bereitstellung von Fertigungsstätten durch die staatliche MDC. So verwaltet die Gesellschaft zehn Industriegebiete, in denen Fabrikgebäude zum Preis von 34 Euro pro Quadratmeter und Jahr gemietet werden können. Das sei sehr wenig im Vergleich zu Deutschland, unterstreicht Simon Alden von der MDC und weist noch auf einen anderen Vorteil hin:
Die Lohnkosten in Deutschland liegen bei 26 Euro pro Stunde, in Malta bei fünf Euro. Das entspricht 30 bis 50 Prozent der Produktionskosten im Vergleich zu Deutschland.
Als Billiglohnland will Stefanie Anzinger Malta indes nicht mehr hinstellen. Mit den Arbeitskosten sei man zwar noch in Europa wettbewerbsfähig, aber tatsächlich nicht mehr im weltweiten Vergleich vor allem mit fernöstlichen Ländern, unterstreicht auch Henry Borg, der Präsident der in diesem Jahr neu gegründeten deutsch-maltesischen Handelskammer:
Womit wir im Wettbewerb bestehen können ist unsere Geschicklichkeit, unser Einfallsreichtum, unsere Bereitschaft, neue komplexere Fertigkeiten zu erlernen. Unser hoher Ausbildungsstandard und die Ausbildung an den Universitäten.
Da sich inzwischen selbst maltesische Unternehmen gezwungen sehen, im asiatischen Raum produzieren zu lassen, glaubt die Regierung unterdessen nicht mehr daran, dass Maltas Zukunft im Bereich des produzierenden Gewerbes liegt. Minister Gatt betont:
Daher ist unsere fundamentale Politik auf den Dienstleistungssektor ausgerichtet. Tourismus, Finanzen, Computer und IT. Wir verbessern unsere Fähigkeiten, indem wir die Anzahl der Hochschulabgänger und anderer weiterführender Schulen erhöhen. Ferner beziehen wir den Faktor ein, dass der nordafrikanische Markt vor einer Öffnung für den Tourismus und die IT-Industrie steht und Malta hierfür strategisch bestens positioniert ist.
So sehen sich die Malteser denn auch gern als europäischer Brückenkopf zu Nordafrika und als Hub, als wichtige Station auf dem Seeweg von Gibraltar zum Suezkanal. Albert Friggieri, Präsident des deutsch-maltesischen Zirkels und geschäftsführender Direktor von drei deutschen Firmen in Malta, die zur ProMinent-Gruppe gehören, hebt hervor:
Für einige Firmen ist die Lage Maltas wichtig, in der Mitte des Mittelmeers nahe zu Nordafrika. Malta hat gute Beziehungen zu den dortigen Ländern. Bietet damit ein gutes Sprungbrett dorthin.
Als Brückenkopf für Reeder, die Steuern und Heuern sparen wollen, sehen sich die Malteser unterdessen nicht mehr so gern. Der Inselstaat ist zwar der viertgrößte Flaggenstaat der Welt mit einer Tonnage von rund 28 Millionen Tonnen. Den Vorwurf, ein schwarzes Schaf unter den Billigflaggenländern gewesen zu sein, weist Reginald Fava zurück:
Unsere Flagge war kein schwarzes Schaf. Vielmehr handelt es sich um eine vorteilhafte Flagge. Wir sind sehr stark in der Schiffsregistratur. Wir haben unsere eigenen Regeln und unsere eigene rigide Regulierung, um sicherzustellen, dass die Schiffe dem Standard genügen und keine schwarzen Schafe unter ihnen sind. Dies wird von unserer Behörde überwacht. Der Begriff schwarzes Schaf trifft also für unsere Schiffe nicht zu und sollte daher eliminiert werden.
Abschied genommen hat die Inselrepublik - im Hinblick auf die EU-Mitgliedschaft wiederum gezwungenermaßen - von der einst forcierten Idee, sich als weiteres exotisches Off-Shore-Finanzzentrum zu etablieren. Die Gründung solcher Finanzinstitute, deren Tätigkeit sich ausschließlich auf die Aktivitäten außerhalb Maltas bezieht, ist nicht mehr möglich. Nach dem Wechsel zum Onshore-Finanzwesen sind noch rund 50 Unternehmen übriggeblieben, die rund 6000 Mitarbeiter beschäftigen. Mit der Malta Financial Services Authority wurde eine der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vergleichbare und EU-Standard entsprechende Banken-, Versicherungs- und Börsenaufsichtsbehörde geschaffen. Deren Präsident, Professor J. V. Bannister, sieht noch Möglichkeiten zum Ausbau des Finanzplatzes:
Für das Privatkundengeschäft sind genügend Banken vorhanden, um die rund 400 000 Einwohner zu versorgen. Aber wenn Sie Malta als Basis nehmen für Bankgeschäfte zur Finanzierung des Handels in der Mittelmeerregion und von Investitionen oder für Finanz-Management - dann ist Malta nach unserer Ansicht der ideale Platz.
Als Drehkreuz des mediterranen Handels und Wandels - in dieser Rolle sehen sich die offiziellen Malteser nach den jahrhundertelangen Seeschlachten um ihren Archipel, den Winston Churchill einst als unsinkbaren Flugzeugträger bezeichnet hat, tatsächlich am liebsten.
Soll heißen, alles was mit Schifffahrt und Häfen zu tun hat, bleibt trotz des notwendigen Strukturwandels wichtig für den Archipel. Allerdings - die Hinterlassenschaft der Briten, die den Grand Harbour, den großen Naturhafen der Hauptstadt Valletta, zum bedeutenden Marinestützpunkt inklusive Reparaturbetrieb ausgebaut hatten, ist heute einer der Problemfälle für Maltas Strukturwandel. Die staatseigenen Betriebe und zugleich größten Arbeitgeber des Landes, die Schiffswerft "Malta Shipbuilding" und die Schiffsreparaturwerkstatt "Malta Drydocks", konnten bisher nur durch hohe Subventionen am Leben gehalten werden. Die Verluste der beiden Unternehmen beliefen sich im vergangenen Jahr mit über 26 Millionen Liri - das entspricht rund 65 Millionen Euro - um 34 Prozent über den Erwartungen. Dennoch denkt der Inselstaat nicht an eine Stilllegung der Betriebe, wie Reginald Fava betont:
I do not think that we are in a position to stop our maritime business. It is a business which has to keep developing.
Weiterentwickeln, wie Fava fordert, das verlangt ein Sanierungsprogramm zur Verbesserung der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der beiden Werftunternehmen. Die von unabhängigen Beraterfirmen vorgeschlagenen Restrukturierungskonzepte stießen allerdings zunächst auf erheblichen Widerstand bei der Arbeiterschaft und den Gewerkschaften. Anfang November war es dann nach monatelangen Verhandlungen endlich soweit. Dazu erklärte der Chef des erst in der neuen Legislaturperiode geschaffenen Ministeriums für IT und Investment, Austin Gatt:
Ich denke wir sind auf dem richtigen Weg mit der Unterzeichnung eines Abkommens über die Werften. Damit sollte es eine Chance geben, deren Überlebensfähigkeit zu sichern. Die Vereinbarung sieht in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften einen Stellenabbau von 2 600 auf 1 600 Mitarbeiter vor. Wir haben gleichzeitig die Entgeltstruktur verändert.
Drei Vereinbarungen wurde am Abend des 4. November nach monatelangen Verhandlungen zwischen der Regierung in Valletta und der Gewerkschaft General Workers’ Union zur Rettung der Schiffsindustrie unterzeichnet. Sie sehen im Kern die Übernahme des Vermögens und der Schulden durch die Regierung vor, des weiteren die Gründung einer neuen Gesellschaft, die Malta Shipyards, die von den bisher insgesamt 2600 Mitarbeitern 1700 zu neuen Konditionen übernimmt sowie die Werft und die Docks von der Regierung mietet, schließlich die Gründung eines weiteren Unternehmens, in dem die nicht in den Vorruhestand gehenden Arbeiter aufgefangen und anderen staatlichen Institutionen und Unternehmen angeboten werden. Regierung und Gewerkschaft gaben sich zufrieden; sind es auch die Arbeiter? Anette Butterweck hat sich umgehört:
Die Trockendocks von Malta am frühen Vormittag. Für den 53jährigen Dock-Arbeiter Ronald Borg, der hier seit über 20 Jahren beschäftigt ist, hat sich nichts geändert. Er ist einer der 1700 Malteser, der von Malta Shipyards übernommen worden ist. Dennoch ist er keineswegs so glücklich darüber, wie man annehmen könnte:
Ich wäre lieber gegangen. Ich hätte dann 5000 Pfund bekommen - etwa ein Jahresgehalt.
Anders dagegen der 62jährige John Micallef, der nur zu gerne für die verbleibenden Monate bei den Dockyards geblieben wäre:
Ich arbeite seit 45 Jahren bei den Trockendocks und bin einer von den 900, die in die andere Firma gesteckt wurden, weil ich über 56 bin und wegen meines Gesundheitszustandes. Ich werde dort aber nicht anfangen, sondern jetzt in Rente gehen. Eigentlich sollte das erst im nächsten Juli sein und ich hatte mich schon darauf gefreut. Aber samstags hat man uns gekündigt und man konnte sich nicht einmal mehr von seinen Freunden verabschieden. Tschup-Bum - das war’s.
Victor Camilleri, der ebenfalls zu den 900 Arbeitern gehört, die die Drydocks verlassen mussten, und der sich stark in der Gewerkschaft engagiert hatte, verteidigt zunächst das Abkommen. Er hatte jedoch mit einer fairen Abwicklung der Umstrukturierung gerechnet.
Meiner Ansicht nach ist es eine gute Vereinbarung. Die Regierung wollte 900 Stellen abbauen und die Gewerkschaft war immer darauf bedacht, dass wirklich niemand seine Arbeit verliert. Probleme gibt es aber jetzt dadurch, dass die Beurteilung der Tauglichkeit der Arbeiter allein in den Händen des Managements lag. Die Gewerkschaft hatte bei der Auswahl keinerlei Mitspracherecht. Ich hatte aber darauf vertraut, dass man zur Erhaltung der Werften 1700 wirklich fähige Arbeiter aussucht. Das Gegenteil ist jedoch eingetreten: Viele der guten Kräfte sind ausgeschieden und Arbeiter, die ihren Job aufgrund ihres Alters oder wegen Krankheit eigentlich nicht mehr richtig ausüben können, hat man behalten.
An der weiteren wirtschaftlichen Umstrukturierung Maltas geht indes kein Weg vorbei. Mit der Restrukturierung der Schiffsindustrie sind die Probleme des Inselstaates keinesfalls beseitigt. Auch andere Staatsbetriebe schreiben rote Zahlen und tragen zum hohen Staatsdefizit bei. Reginald Fava:
Sie kennen unsere wesentliche Herausforderung, die im Bereich des Strukturdefizits liegt, das das Land von Jahr zu Jahr hat. Wir sind froh zu sehen, dass es Entschlossenheit gibt. Und wir bestehen darauf , dass dies ein Problem ist, das das Land lösen muss.
Im mit über 47 000 Beschäftigten chronisch überbesetzten öffentlichen Sektor - dem gut 88 000 Mitarbeiter in der Privatwirtschaft gegenüberstehen - tut sich indes zu wenig, wie die deutsche Bundesagentur für Außenwirtschaft feststellte. Die beschlossenen Privatisierungen kommen nur schleppend voran. Denn ungeachtet der Zustimmung zur Reform der Schiffsindustrie hält die Workers’ Union davon wenig, wie Sprecher Charles Vella unterstreicht:
Als Gewerkschaft sind wir gegen jede Privatisierung, da nach unserer Erfahrung alle Privatisierungen staatlicher Unternehmen mit Entlassungen verbunden waren. Das widerspricht unseren Prinzipien zur Sicherung der Arbeitsplätze.
Um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, muss Malta - nicht zuletzt auch wegen der EU - aber nicht nur die Privatisierung forcieren, sondern darüber hinaus auch die Subventionen herunterfahren. Helmut Domas, der Kanzler der deutschen Botschaft:
Mittel- und langfristig müssen natürlich auch einige Subventionen beschränkt und zurückgefahren werden. Malta merkt ja auch jetzt schon, dass sie einiges, was sie bisher der Bevölkerung bieten, nicht weiter so halten können. Zum Beispiel die freie Gesundheitsfürsorge, auch die Pensionen werden zur Zeit einer Überprüfung unterzogen. Der Öffentliche Dienst ist noch recht groß. Da gibt es also auch Bestrebungen, ein neues Gesetz einzubringen, natürlich auch mit dem Ziel, den Öffentlichen Dienst zu reduzieren und darum möglichst auch zu privatisieren und Outsourcing zu betreiben.
Ungeachtet des Widerstands der Gewerkschaften wurden immerhin der Flughafen und die Post teilprivatisiert. Am Flughafen beteiligte sich ein Konsortium unter Federführung des Wiener Flughafenbetreibers. Bei der Post stiegen die Neuseeländer als Partner ein. Die Privatisierung des Freihafens, des zweitgrößten Container-Umschlagplatzes im Mittelmeer, ist in die Wege geleitet. Dazu Minister Gatt:
Wir hatten eine internationale Ausschreibung. Wir sprechen mit den meisten wichtigen Unternehmen in diesem Sektor, um einen strategischen Partner zu finden, den Ausbau des Hafens auch ohne die Regierung voranzutreiben.
Angesichts der Erfolgsgeschichte des Freeports, mit rund 600 Mitarbeitern einer der bedeutendsten Arbeitgeber der Inselrepublik, scheint es an Interessenten tatsächlich nicht zu mangeln. Mark Portelli, einer der Geschäftsführer des Freeports, beschreibt die Entwicklung des Hafens so:
In diesem Jahr haben wir rund 1,3 Millionen Container-Einheiten abgefertigt. Das ist für uns ein großer Erfolg. Wir hatten ein gewaltiges Wachstum in den letzten 15 Jahren mit einem von Jahr zu Jahr größeren Umschlag.
Allerdings sieht Portelli selbst für den erwarteten weiteren Ausbau des Freihafens für die Arbeiter der Schiffswerften wegen der anders gearteten Tätigkeit keine Möglichkeit, beim Freeport unterzukommen. Das Bestreben der Regierung, den Arbeitern neue Chancen in anderen Industriesektoren zu eröffnen, beurteilt Stefanie Anzinger von der maltesischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft Malta Development Corporation/MDC dagegen positiver:
Ich habe mich in der letzten Zeit mit einigen Betrieben unterhalten, die Personen, Ingenieure, Techniker aus diesem Bereich gesucht haben, also Metallverarbeitung usw., und die mir versichert haben, dass sie in der letzten Zeit von den Trockendocks sehr gute Bewerber hatten, die auch in der Industrie sehr gut zu verwenden sind.
Was den zitierten Wunsch jenes Arbeiters nach einer Jahres-Abfindung von seiner Werft erklären mag. Schon vor zehn bis 15 Jahren hatte Malta wegen des Niedergangs der Werften und der Textilindustrie nach Alternativen für seine Arbeitnehmer gesucht. Das heißt, Investoren aus dem Ausland sollten neue Arbeitsplätze schaffen. Inzwischen haben sich neben etwa 400 heimischen Betrieben rund 200 ausländische Produktions-Firmen auf Malta angesiedelt, darunter fast 55 aus Deutschland. Mit einem Paket von Vorteilen lockten die Malteser die Investoren. Birgit Bosch, Chefin der Firma Lasercomb, deren Muttergesellschaft in der Region Stuttgart sitzt und die Schneidemaschinen für die Verpackungsindustrie herstellt, erläutert:
Wir sind noch unter dem alten Gesetz nach Malta gekommen. Unter Off-shore-Bedingungen also zahlen wir für zehn Jahre keine Steuern. Wir haben hier ein schönes und subventioniertes Fabrikgebäude. Wir importieren unsere Rohwaren zoll- und mehrwertsteuer-frei unter der Auflage, dass wir alles wieder exportieren.
Die Anstrengungen, ausländische Investoren ins Land zu holen, gehen unterdessen auf vielen Ebenen weiter. Vor allem an hochtechnologischen Fertigungsstätten der Elektroindustrie und des Maschinenbaus sind die Malteser interessiert. Peter Wolfmeyer, der Chef der Zenit GmbH, des Zentrum für Innovation und Technik in NRW, weist zudem auf veränderte Vorzeichen angesichts der bevorstehenden EU-Mitgliedschaft Maltas hin:
Das Interesse an technologischer Kooperation wächst auf beiden Seiten. Umwelttechnik steht dabei ganz im Vordergrund. Wasseraufbereitung, Deponiesicherung, Entsorgung. Mit deutschen Unternehmen werden Gespräche geführt, gemeinsame Projekte zu starten.
Tatsächlich hat Malta auf dem Weg nach Europa und zur Erfüllung des EU-Vertragswerks den größten Nachholbedarf im Umweltbereich, allerdings deshalb auch mit verlängerten Übergangsfristen. Dem Vorwurf des Protektionismus und zu starker Bürokratie begegnet Minister Gatt mit dem Hinweis, die wenigen Bereiche, in denen es noch staatlichen Schutz gebe, würden mit dem EU-Beitritt abgeschafft sein. Und Reginald Fava unterstreicht das Bemühen, bürokratische Hürden abzubauen. Der MDC-Geschäftsführer Mario Galea meint im Hinblick auf Investitionen sogar:
Verhandlungen gehen auf Malta immer sehr schnell, da wir keine Bürokratie haben. Auf jede konkrete Anfrage antworten wir innerhalb von vier Wochen mit einem letter of intent. Generell kann man sechs bis acht Monate nach Einreichen eines Geschäftsplans mit der operativen Arbeit beginnen.
Auch wenn das neue Wirtschaftsförderungsgesetz, der Business Promotion Act 2001, nicht mehr so vorteilhaft ist wie das alte, so bietet es immer noch genügend Investitionsanreize durch reduzierte Steuersätze, Steuergutschriften, günstige Darlehensbedingungen, Ausbildungszuschüsse und die Bereitstellung von Fertigungsstätten durch die staatliche MDC. So verwaltet die Gesellschaft zehn Industriegebiete, in denen Fabrikgebäude zum Preis von 34 Euro pro Quadratmeter und Jahr gemietet werden können. Das sei sehr wenig im Vergleich zu Deutschland, unterstreicht Simon Alden von der MDC und weist noch auf einen anderen Vorteil hin:
Die Lohnkosten in Deutschland liegen bei 26 Euro pro Stunde, in Malta bei fünf Euro. Das entspricht 30 bis 50 Prozent der Produktionskosten im Vergleich zu Deutschland.
Als Billiglohnland will Stefanie Anzinger Malta indes nicht mehr hinstellen. Mit den Arbeitskosten sei man zwar noch in Europa wettbewerbsfähig, aber tatsächlich nicht mehr im weltweiten Vergleich vor allem mit fernöstlichen Ländern, unterstreicht auch Henry Borg, der Präsident der in diesem Jahr neu gegründeten deutsch-maltesischen Handelskammer:
Womit wir im Wettbewerb bestehen können ist unsere Geschicklichkeit, unser Einfallsreichtum, unsere Bereitschaft, neue komplexere Fertigkeiten zu erlernen. Unser hoher Ausbildungsstandard und die Ausbildung an den Universitäten.
Da sich inzwischen selbst maltesische Unternehmen gezwungen sehen, im asiatischen Raum produzieren zu lassen, glaubt die Regierung unterdessen nicht mehr daran, dass Maltas Zukunft im Bereich des produzierenden Gewerbes liegt. Minister Gatt betont:
Daher ist unsere fundamentale Politik auf den Dienstleistungssektor ausgerichtet. Tourismus, Finanzen, Computer und IT. Wir verbessern unsere Fähigkeiten, indem wir die Anzahl der Hochschulabgänger und anderer weiterführender Schulen erhöhen. Ferner beziehen wir den Faktor ein, dass der nordafrikanische Markt vor einer Öffnung für den Tourismus und die IT-Industrie steht und Malta hierfür strategisch bestens positioniert ist.
So sehen sich die Malteser denn auch gern als europäischer Brückenkopf zu Nordafrika und als Hub, als wichtige Station auf dem Seeweg von Gibraltar zum Suezkanal. Albert Friggieri, Präsident des deutsch-maltesischen Zirkels und geschäftsführender Direktor von drei deutschen Firmen in Malta, die zur ProMinent-Gruppe gehören, hebt hervor:
Für einige Firmen ist die Lage Maltas wichtig, in der Mitte des Mittelmeers nahe zu Nordafrika. Malta hat gute Beziehungen zu den dortigen Ländern. Bietet damit ein gutes Sprungbrett dorthin.
Als Brückenkopf für Reeder, die Steuern und Heuern sparen wollen, sehen sich die Malteser unterdessen nicht mehr so gern. Der Inselstaat ist zwar der viertgrößte Flaggenstaat der Welt mit einer Tonnage von rund 28 Millionen Tonnen. Den Vorwurf, ein schwarzes Schaf unter den Billigflaggenländern gewesen zu sein, weist Reginald Fava zurück:
Unsere Flagge war kein schwarzes Schaf. Vielmehr handelt es sich um eine vorteilhafte Flagge. Wir sind sehr stark in der Schiffsregistratur. Wir haben unsere eigenen Regeln und unsere eigene rigide Regulierung, um sicherzustellen, dass die Schiffe dem Standard genügen und keine schwarzen Schafe unter ihnen sind. Dies wird von unserer Behörde überwacht. Der Begriff schwarzes Schaf trifft also für unsere Schiffe nicht zu und sollte daher eliminiert werden.
Abschied genommen hat die Inselrepublik - im Hinblick auf die EU-Mitgliedschaft wiederum gezwungenermaßen - von der einst forcierten Idee, sich als weiteres exotisches Off-Shore-Finanzzentrum zu etablieren. Die Gründung solcher Finanzinstitute, deren Tätigkeit sich ausschließlich auf die Aktivitäten außerhalb Maltas bezieht, ist nicht mehr möglich. Nach dem Wechsel zum Onshore-Finanzwesen sind noch rund 50 Unternehmen übriggeblieben, die rund 6000 Mitarbeiter beschäftigen. Mit der Malta Financial Services Authority wurde eine der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vergleichbare und EU-Standard entsprechende Banken-, Versicherungs- und Börsenaufsichtsbehörde geschaffen. Deren Präsident, Professor J. V. Bannister, sieht noch Möglichkeiten zum Ausbau des Finanzplatzes:
Für das Privatkundengeschäft sind genügend Banken vorhanden, um die rund 400 000 Einwohner zu versorgen. Aber wenn Sie Malta als Basis nehmen für Bankgeschäfte zur Finanzierung des Handels in der Mittelmeerregion und von Investitionen oder für Finanz-Management - dann ist Malta nach unserer Ansicht der ideale Platz.
Als Drehkreuz des mediterranen Handels und Wandels - in dieser Rolle sehen sich die offiziellen Malteser nach den jahrhundertelangen Seeschlachten um ihren Archipel, den Winston Churchill einst als unsinkbaren Flugzeugträger bezeichnet hat, tatsächlich am liebsten.